Europäische Fondsnamensrichtlinie

Neue Namensregelung: Welche Fonds dürfen sich jetzt noch "grün" nennen?

Die neue Namensregelung für nachhaltige Fonds soll mehr Klarheit bringen und reines Greenwashing vermeiden. Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des BVI, über den Nutzen der Leitlinien.

14:09 Uhr | 02. September | 2024
Thomas Richter, BVI

Thomas Richter, BVI

| Quelle: BVI

Die EU/ESMA hat im Mai die Leitlinien zu Fondsnamen, die ESG- oder nachhaltigkeitsbezogene Begriffe verwenden, veröffentlicht. Thomas Richter ist Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands Bundesverband Investment und Asset Management (BVI). Er ist unter anderem im Vorstand des europäischen Fondsverbands EFAMA und des Weltfondsverbands IIFA.

procontra sprach mit ihm darüber, wie gut die Europäische Fondsnamensrichtlinie gelungen ist, wo Missverständnisse aufkommen können und wo nachgebessert werden müsste.

procontra:

Die europäische Finanzaufsicht ESMA will mit ihren Leitlinien zu Nachhaltigkeitsbegriffen wie ESG in Fondsnamen Greenwashing begegnen und mehr Klarheit schaffen. Inwieweit ist ihr das gelungen?

Thomas Richter:

Der Ansatz ist gut. Denn die ESMA-Leitlinien sind ein wichtiger Schritt weg von nationalen Vorgaben, hin zur EU-weiten Standardisierung der Mindestanforderungen an nachhaltige Fonds. Das fordern wir seit Jahren. Wir waren sehr unglücklich mit dem Vorpreschen der BaFin, die vor rund drei Jahren einen eigenen Entwurf für eine Fondsnamensrichtlinie veröffentlicht und angewandt hat. Das hat dazu geführt, dass es innerhalb der EU keine gleichen Wettbewerbsbedingungen mehr gab und dazu beigetragen, dass Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen vorzugsweise in Luxemburg aufgelegt wurden und nicht in Deutschland. Ein EU-Standard beseitigt diesen Standortnachteil Deutschlands. Außerdem erkennt die ESMA nun Transformationsstrategien als nachhaltig an. Auch das haben wir lange gefordert. Wenn Unternehmen sich von „braun“ nach „grün“ entwickeln wollen, darf man sie nicht vom Kapital abschneiden.

procontra:

Inwieweit sind der ESMA die Leitlinien nicht gelungen? Wo sehen Sie die größten Knackpunkte?

Richter:

Das Problem ist, dass einige Kriterien der Leitlinien zu viel Auslegungsspielraum enthalten. Es gibt unbestimmte Rechtsbegriffe, die Unsicherheit erzeugen. Was genau zum Beispiel bedeutet, dass Fonds mit nachhaltigkeitsbezogenen Namenszusätzen in „wesentlichem Umfang“ nachhaltig investieren sollen? Außerdem sollen die Kriterien auch auf Investitionen in grüne Anleihen angewendet werden. Allerdings sind grüne Anleihen grundsätzlich zweckgebunden. Das heißt, das Geld fließt in ein spezielles Projekt. Hier stellt sich die Frage, ob nur das Projekt nachhaltig sein muss oder auch der Emittent der Anleihe. Wenn ein Emittent, der beispielsweise im Kohlegeschäft tätig ist, eine grüne Anleihe für ein grünes Projekt begibt, ist das dann ein grünes Investment?

procontra:

Was wäre Ihr Vorschlag?

Richter:

Es muss auf Projektbasis entschieden werden, ob eine Anleihe grün ist. Die Verwendung der eingesammelten Gelder ist per se zweckgebunden. Ein weiteres großes Problem der Leitlinien ist die praxisferne Vorstellung einer Mindestquote nachhaltiger Investitionen von 80 Prozent. Soll diese Quote auch in der Startphase eines Fonds gelten? Das ist nicht möglich. Die Konsequenz wäre, dass die Fondsgesellschaft in der für den Vertrieb wichtigen Anlaufphase auf den Namenszusatz ESG oder ähnliches verzichten müsste.

procontra:

Einige Beobachter rechnen mit einem Rückgang im Angebot solcher Fonds, da relevante Punkte weiterhin Auslegungssache sind und daher mögliche Greenwashing-Vorwürfe nicht gebannt sind. Zum Beispiel, wann ein „Impact“ gegeben ist und wie er gemessen und überprüft wird. Womit rechnen Sie?

Richter:

Das ist das, was ich mit den unbestimmten Rechtsbegriffen meinte. Das löst nicht das Problem, dass man als Fondsgesellschaft Sicherheit möchte, um nicht dem Vorwurf der Grünfärberei ausgesetzt zu werden und wieder mehr Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen aufzulegen. Es war zwar dringend erforderlich, dass wir eine europäische Fondsnamensrichtlinie bekommen. Aber sie muss Rechtssicherheit schaffen.

procontra:

Sie begrüßen, dass nun auch Transformationsstrategien als nachhaltig anerkannt werden. „Transition“ ist allerdings ebenfalls ein unbestimmter Begriff.

Richter:

Den Begriff erkennt die ESMA erstmalig für Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen an. Bislang war es solchen Fonds oft verwehrt, mit dem klaren Ziel der Transformation in Unternehmen zu investieren, die ihre Geschäfte nachhaltiger gestalten wollen. Sie konnten nur in bereits nachhaltige Projekte oder Unternehmen investieren. Doch zum einen gibt es noch nicht so viel grüne Investitionsmöglichkeiten. Und jenen Unternehmen, die sich umstellen wollen, war der Zugang zu Kapital erschwert.

procontra:

Sie sind seit Juli Mitglied des Beratungsgremiums „Securities and Markets Stakeholder Group“, kurz SMSG der europäischen Finanzaufsicht. Zu Deutsch: „Gruppe der Anteilseigner im Bereich Wertpapiere und Märkte“. Wie kam es dazu?

Richter:

Die SMSG ist mehr als ein Beratungsgremium, denn die ESMA ist verpflichtet, sie zu konsultieren. Das gibt der Gruppe eine gewisse Bedeutung. Deutschland ist mit Abstand der größte Fondsmarkt in Europa, wir haben einen Anteil von 27 Prozent. Zudem ist der BVI der größte Fondsverband in Europa und ich glaube, wir sind auch der aktivste Verband. Wir stehen in intensivem Dialog mit den europäischen Regulierern, auch mit der ESMA, und sind bekannt dafür, die Dinge offen anzusprechen. Ich denke, darauf kommt es der EU-Behörde an. Sie will ein offenes Wort und kein Schönreden. Das hat bei meiner Berufung sicher eine Rolle gespielt.

procontra:

Welche Themen oder Aufgaben sind für Sie am wichtigsten, die das Gremium behandeln sollte oder bereits behandelt?

Richter:

Das Wichtigste ist, dass das Gremium praxisnahe Vorschläge unterbreitet und praxisnahe Regulierungsansätze findet – anders als die vorhin angesprochene 80-Prozent-Mindestquote. So etwas muss vorher diskutiert werden. Praxistauglichkeit ist mein Hauptanliegen. Als Branchenvertreter geht es in einem solchen Gremium nicht darum, Lobbyarbeit zu betreiben. Das wäre der falsche Ansatz. Sondern ich bin als objektiver und fairer Berater gefragt. Ich werde ein offenes und ehrliches Feedback aus der Praxis geben, um der ESMA zu helfen. Denn diesen Praxisbezug hat die Behörde nicht.

procontra:

Es ist wahrscheinlich illusorisch zu glauben, dass Sie jetzt im Gremium über die Mindestquote eine Diskussion anregen könnten.

Richter:

Richtig, das funktioniert so sicher nicht. Der Anstoß zu Themen kommt immer von der ESMA und nicht aus dem Gremium.

procontra:

Künstliche Intelligenz und „generative“ KI, die Texte, Gespräche, Bilder, Musik und vieles mehr erstellen kann, dürfte in zahlreichen Branchen flächendeckend Einzug halten, so auch im Finanzwesen. Wie wird sich das auf die Fondsbranche in Deutschland und das Asset-Management insgesamt auswirken?

Richter:

Darauf hat heute niemand eine Antwort. KI wird immer mehr in allen Tätigkeitsbereichen einer Fondsgesellschaft eingesetzt, vor allem in den Middle-Office-Prozessen, in denen Arbeit eingespart werden kann. Auch das Portfoliomanagement setzt KI stärker ein. Nach meiner Beobachtung nimmt dies von Jahr zu Jahr zu.

procontra:

Inwieweit investiert der BVI in KI oder plant dies zu tun?

Richter:

Wir haben in dem Bereich einiges unternommen. Bislang lehrt uns die Erfahrung, dass am Ende noch ein Mensch auf die KI-Auswertungen schauen muss. Die Ergebnisse sind nicht zu 100 Prozent zuverlässig. Das wird sich wahrscheinlich im Laufe der Zeit verbessern. Es geht uns bei der Anwendung von KI in erster Linie darum, dass viele Seiten an Material zu lesen sind. Natürlich gibt es zum Beispiel Richtlinien und Verordnungen, die man komplett selbst durchgehen muss. Aber es gibt auch Texte, in denen vieles enthalten ist, das unsere Branche nur am Rande betrifft. Da können wir uns die Lektüre von etwa 500 Seiten durchaus sparen, wenn eine KI das vorab geprüft hat. Das ist für uns ein Effizienzgewinn.

procontra:

In welcher Größenordnung investieren Sie derzeit?

Richter:

Im Moment bewegen wir uns noch auf niedrigem Niveau und konzentrieren uns auf die Auswertung von Texten. Ich rechne aber damit, dass der Umfang in den nächsten Jahren steigen wird. Wir wollen am Ball bleiben, haben aber keinen Wettbewerbsdruck und können die für uns hilfreichen Einsatzgebiete sorgfältig testen.

procontra:

Wie ist Ihr Ausblick zu den besprochenen Themengebieten?

Richter:

Nachhaltigkeit und KI sind beides Bereiche, in denen aktuell sehr viel passiert. Die europäische Fondsnamensrichtlinie ist derzeit das Thema Nummer eins in der Nachhaltigkeit. Der nächste Schritt, der dort kommen wird, ist die Reform von Artikel 8 und 9 der Offenlegungsverordnung. Dieses Thema wird die neue EU-Kommission angehen.