Kolumne

Das Potenzial der KI in der Versicherungsbranche

Die künstliche Intelligenz kann die Versicherungsbranche beim Meistern komplexer Herausforderungen unterstützen. Und doch wirft Maximilian Happacher, Vorstandsvorsitzender der DAV, einen differenzierten Blick auf KI.

09:09 Uhr | 10. September | 2024
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Maximilian Happacher, Vorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung

| Quelle: Deutsche Aktuarvereinigung

Künstliche Intelligenz (KI) ist derzeit in aller Munde und wird als eine der bedeutendsten technologischen Entwicklungen unserer Zeit gefeiert. Doch während die Begeisterung groß ist, sollten wir einen differenzierten Blick auf diese Technologie werfen. KI hat das Potenzial, uns bei der Bewältigung komplexer Herausforderungen, wie dem demografischen Wandel, zu unterstützen. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, die Entwicklung in geordnete Bahnen zu lenken und sicherzustellen, dass sie unseren Werten entspricht und unter unserer Kontrolle bleibt. Ein einfaches „Weiter so“ ohne KI ist keine Option, da dies uns langfristig gegenüber Akteuren mit weniger Bedenken ins Hintertreffen geraten lassen würde. Die aktive und verantwortungsvolle Gestaltung von KI ist daher nicht nur interessant und anspruchsvoll, sondern auch essenziell für die Aufrechterhaltung einer pluralistischen Gesellschaft.

Chancen der KI in der Versicherungsbranche

In der Versicherungsbranche bietet KI vielfältige Chancen, um Produkte und Services individueller auszurichten und die Versicherbarkeit zu erhöhen. Beispielsweise ermöglicht KI die Analyse von weitaus größeren Datenbeständen für eine bessere Risikoeinschätzung. Zusammen mit Sensorik-Daten im Auto kann KI das Unfallrisiko präziser bewerten und somit maßgeschneiderte Versicherungsangebote entwickeln. Zudem kann KI unstrukturierte Daten erschließen und analysieren, was das Risikoverständnis auf Versicherer-Seite verbessert und die Versicherbarkeit von bisher nicht versicherbaren Risiken ermöglicht.

KI kann helfen, Prozesse zu optimieren

KI kann in verschiedenen Bereichen von Versicherungsunternehmen zu signifikanten Optimierungen führen. Dazu gehören digitale Beratungs- und Verkaufsmöglichkeiten, schnellere und effizientere Schadenabwicklungen sowie Leistungsregulierungen. Auch der Schutz vor Versicherungsbetrug kann durch KI verbessert werden, was wiederum im Interesse des Versichertenkollektivs ist. KI kann – richtig eingesetzt – Entscheidungen objektivieren und somit Diskriminierung vermeiden.

Die Rolle der Aktuarinnen und Aktuare

Ein häufig geäußerter Kritikpunkt ist die „Black Box“-Natur vieler KI-Systeme. Die Öffentlichkeit sieht die zugrunde liegenden Algorithmen oft als schwer verständlich an. Hier spielen Aktuarinnen und Aktuare eine entscheidende Rolle, da sie in der Lage sind, die Funktionsweise von Modellen verständlich zu kommunizieren. Sie können relevante Annahmen und Parameter sowie die entscheidenden Zusammenhänge und Sensitivitäten der Modellierung erläutern und die Ergebnisse interpretieren.

Aktuarinnen und Aktuare sind zudem darin geschult, sorgfältige Datensichtungen und -vorbereitungen vorzunehmen, die je nach Fragestellung passenden Methoden auszuwählen und die Modellergebnisse umfangreich zu testen. Dies hilft, unsachgemäße Ergebnisse schnell zu erkennen und zu korrigieren. Ihre Expertise in Daten- und Modellierungskompetenz sowie ihre Fähigkeiten in Kommunikation und Regulatorik machen sie zu unverzichtbaren Akteuren bei der Einführung und laufenden Entwicklung von KI-Systemen in der Versicherungsbranche. Die Deutsche Aktuarvereinigung e.V. (DAV) bietet ihren Mitgliedern gezielte Weiterbildungsmöglichkeiten, wie die Ausbildung zum oder zur Certified Actuarial Data Scientist (CADS), um sie auf diese Herausforderungen vorzubereiten.

Doppelregulierung sollte vermieden werden

Eine der Herausforderungen bei der Regulierung von KI ist die Vermeidung von Doppelregulierung. Die Versicherungsbranche ist bereits durch zahlreiche nationale und internationale Gesetze stark reguliert. Daher ist es wichtig, dass die Vorgaben des kürzlich verabschiedeten AI Acts konsistent in die bestehende Regulierung integriert werden. Eine Doppelregulierung würde nur zu unnötigem Mehraufwand und Unsicherheiten führen. Prüfungen sollten ähnlich wie bei Solvency II risikoorientiert und proportional sein.

Fazit:

KI bietet immense Chancen für die Versicherungsbranche, von effizienteren Abläufen über neue Produkte bis hin zu einer höheren Versicherbarkeit von Risiken. Eine verantwortungsvolle Regulierung von KI-Anwendungen ist notwendig, um Rechtssicherheit und Vertrauen in die Technologien zu gewährleisten. Die aktive Gestaltung und Implementierung von KI ist aber nicht nur eine technische und wirtschaftliche Herausforderung, sondern auch eine ethische und gesellschaftliche Aufgabe. Als Deutsche Aktuarvereinigung tragen wir dazu bei, dass KI verantwortungsvoll eingesetzt wird, um die Chancen dieser Technologie zu nutzen und die Risiken zu minimieren. Unsere Expertise und unser Engagement sind dabei unerlässlich, um diese Entwicklung aktiv zu begleiten und sicherzustellen, dass KI verantwortungsvoll und im Einklang mit den ethischen Grundsätzen und regulatorischen Anforderungen eingesetzt wird.