Neue Wege nötig?

Flexible Rentenphase: Versicherer in der Förderfalle

Immer mehr Versicherungssparer nehmen bei Renteneintritt das Kapital und verzichten auf Leibrente. Sie wollen Flexibilität. Ein Vertriebsargument steht dem entgegen.

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14:08 Uhr | 19. August | 2025
Jürgen Bierbaum, Vorstand Leben der Alte Leipziger

Jürgen Bierbaum, Vorstand Leben bei der LV 1871, die mit der MeinPlan Fondsrente eine Kombination aus Leibrente und variabler Zusatzrente anbietet.

| Quelle: Alte Leipziger

Was Sie erfahren werden:

* Wie Versicherer mehr Flexibilität beim Rentenbezug ermöglichen.

* Warum die bisherigen Maßnahmen an Grenzen stoßen.

* Welche Produkte den Kundenbedarf bereits adressieren.

Um es gleich zu sagen – mit den Worten von Karin Van de Put, Projektmanagerin bei den Versicherungsforen Leipzig: „In der Altersvorsorge müssen sich Versicherungsprodukte deutlich wandeln, um neben ETFs und anderen freien Geldanlagen relevant zu bleiben.“ Tatsächlich: Trotz Dauerförderung – Stichwort Ertragsanteilsbesteuerung – sind private Rentenversicherungen nicht gerade der Renner. Junge Menschen setzen zunehmend auf flexible und kostengünstige Aktien-ETFs, wie Statistiken belegen. 

Aber es kommt für die Branche noch schlimmer. Auch beim Übergang von der Anspar- in die Rentenphase fällt die Entscheidung oft gegen eine Verrentung aus. Vor die Wahl gestellt, entscheiden sich zwei von drei Versicherungsnehmer für eine Kapitalauszahlung statt einer monatlich festen Rente – lebenslange Garantie hin oder her. „An dieser Stelle verlieren wir zu viele Kunden“, räumt Herbert Schneidemann, Vorstandschef der Bayerischen gegenüber procontra ein. Lukas Linnenbrink, Professor für Versicherungs- und Risikomanagement an der Fachhochschule Dortmund spricht von „mangelnder Nachfrage nach einer Rentenzahlung“. Im Ergebnis fließt bei den betroffenen Versicherern Kapital ab; auf Dauer keine erfreuliche Situation. 

Passen starre Privatrenten nicht zum Bedarf?

Gründe für die fehlende Lust auf starre Privatrenten nennt Constantin Papaspyratos, Chefökonom beim Bund der Versicherten: „Sie passen einfach nicht mehr zum Bedarf. Anders als in früheren Jahrzehnten sind heute viele Menschen mit plötzlich steigenden Ausgaben konfrontiert, wenn zum Beispiel der Lebenspartner ins Pflegeheim muss oder das Eigenheim ein neues Dach benötigt oder energetisch modernisiert werden muss.“ Zudem würden Empfänger einer privaten Rente durchaus wahrnehmen, dass in der Gesetzlichen Rentenversicherung die Leistungen in den vergangenen Jahren oft ordentlich steigen, aktuell um 3,74 Prozent nach 4,57 Prozent 2024. 

Individuellere Auszahlpläne  

Aus der Branche selbst erschallt immer häufiger der Ruf nach einem attraktiveren Angebot für Kunden durch mehr Flexibilität in der Rentenbezugsphase. „Gefragt sind individuelle Auszahlpläne, die sich an persönliche Lebenssituationen anpassen lassen – statt starrer monatlicher Leibrenten“, sagt Bastian K. Roeder, Vorstand des Maklerpools BCA. Und er hat festgestellt: „Vor allem hybride Modelle, die ein Kombination aus klassischer Rente und fondsgebundenem Rentenbezug ermöglichen, gewinnen an Attraktivität.“ Sie böten nicht nur mehr Selbstbestimmung, sondern auch die Chance, über einen Zeitraum von häufig 20 Jahren oder mehr weiterhin von Kapitalmarkterträgen zu profitieren. Zudem steige der Wunsch nach Wahlfreiheit bei der Fondsauswahl, nach Wechselmöglichkeiten während der Rentenphase und nach der Option, Kapital flexibel zu entnehmen oder zu übertragen – ohne steuerliche Nachteile. Auf die Frage, welche Produkte so was leisten, sagt er: „Angebote wie FondsPur von Volkswohl Bund, Rente Invest von Continentale oder CleverInvest von HDI zeigen, wohin die Reise geht.“ Und er ergänzt: „Der Markt steht hier am Anfang.“ 

Im Januar 2021 veröffentlichte das Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) den Marktüberblick „Innovative Rentenbezugsphasen in der Lebensversicherung“. Damals hatte das ifa 38 Produkte von 27 Anbietern identifiziert. Es gab drei recht gleichverteilte Kategorien: Produkte mit innovativer Kapitalanlage, Angebote mit Flexibilität in der Rentenbezugsphase sowie Produkte, deren Rentenhöhe von Einflussfaktoren wie Beruf oder Pflegebedürftigkeit abhängen. In der Untersuchung – sie steht auf einer Website des ifa zum Herunterladen zur Verfügung – monieren die Autoren, dass Vermittler und Kunden „häufig übersehen, dass es heutzutage eine sehr große Vielfalt an Produktausgestaltungen in der Rentenbezugsphase gibt“.  

Vor allem hybride Modelle gewinnen an Attraktivität.
Bastian K. Roeder

Rentenphase in Vergütung einbeziehen 

In diesem Zusammenhang dürfte vermutlich auch die Vergütung eine Rolle spielen. So betont Van de Put, dass „das bisherige Modell stark auf den Vertragsabschluss ausgerichtet ist. Flexibilität in der Rentenphase wurde lange nicht honoriert und daher auch nicht aktiv gestaltet oder vertrieben.“ In Zukunft müsse die Vergütung die laufende Betreuung und Ruhestandsplanung stärker betonen. Eine interessante Meinung vertritt Nicolas R. Ausing, Geschäftsführer neo makler. In „Makler Meinung“ bringt er eine Courtage auf Basis der Kundenrendite ins Gespräch.  

Beim Produktangebot jedenfalls kommt schon mal Bewegung in die Sache. Auch die LV 1871 bietet mit der MeinPlan Fondsrente eine Kombination aus Leibrente und variabler Zusatzrente. Ähnlich WWK mit ihrer FondsRente 2.0: Hat ein Rentner plötzlich Kapitalbedarf, kann die Rente durch Umschichtung des Fondsguthaben erhöht werden. Was eine fondsbasierte Auszahlphase an monatlicher Mehrrente bringen kann, zeigt die Alte Leipziger in dem Beispiel. „Bei diesem Produkt“, erklärt Jürgen Bierbaum, Vorstand Leben, „kann der Kunde den vereinbarten Rentenbeginn bis maximal zum Alter von 90 Jahren nach hinten schieben. Das Guthaben bleibt im Fonds investiert. Bis zum neuen Rentenbeginn kann der Kunde einen monatlichen Auszahlbetrag wählen oder auch unregelmäßig Auszahlungen beantragen. Es können auch Zuzahlungen geleistet werden.“ Spätestens ab 90 Jahre wird der Rest des Guthabens als klassische Rente oder Einmalleistung an den Kunden ausgezahlt.“  

Steuervorteil hängt (noch) an Leibrente 

Ein Problem bleibt: Die teilweise Steuerfreiheit – Stichwort Ertragsanteilsbesteuerung – verlangt, eine lebenslange Rente, die nicht fallen darf. „Wenn Versicherer die Steuervorteile der Leibrente nicht verlieren wollen, dürfen sie keine echten variablen Auszahlungspläne mit sinkender Rente anbieten“, betont Van de Put. Sie hält die Regelung „für nicht mehr zeitgemäß. Eine moderate Senkung sollte zulässig sein.“ Gegenüber procontra ließen mehrere Vorstände von Versicherungsgesellschaften erkennen, dass sie sich chancenreicherer Investments in der Rentenbezugsphasen vorstellen können, „wenn die Politik mitspielt“. Die Deutsche Aktuarvereinigung hat einen Vorschlag: „Auch moderat schwankende Renten sollen als Leibrenten gelten dürfen, wenn sie lebenslang zahlen und eine gewisse Glättung beinhalten. Das würde moderne Lösungen mit nachhaltiger Absicherung steuerlich gleichstellen.“ 

Fazit:

Die Versicherer sitzen quasi in der Förderfalle. Das uralte Vertriebsargument der teilweisen Steuerfreiheit schränkt die von vielen Kunden gewünschte Flexibilität der Produkte in der Rentenbezugsphase ein. Jetzt soll der Gesetzgeber mehr Freiheiten ermöglichen – ohne die Steuervorteile einzukassieren. Dafür brauchen die Versicherer die Leibrente. In der Zwischenzeit kreieren sie unter den gegebenen Bedingungen halbwegs flexiblen Angebot. Das macht die Beratung nicht einfacher.