Interview mit Thorben Schlätzer

„Bei Versicherungsmaklern lassen sich mit KI schnell Erfolge erzielen"

Die Nutzung von Künstlicher Intelligenz in der Versicherungsbranche ist kein Selbstläufer. Wie Dreifach.ai-Chef Thorben Schlätzer im Interview ausführt, können Makler aber im Bereich der Bestandsaktivierung und Schadenbearbeitung bereits von automatisierten Prozessen profitieren.

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12:03 Uhr | 27. März | 2025
Thorben Schlätzer vor seinem Laptop

Thorben Schlätzer, Gründer und Geschäftsführer von Dreifach.ai, bringt ein fundiertes Wissen aus der Finanz- und Versicherungswelt mit – kombiniert mit seiner Leidenschaft für Technologie.

| Quelle: Dreifach.ai

procontra:

Sie haben Ihr Unternehmen Dreifach.ai erst im Januar vergangenen Jahres gestartet. Warum haben Sie sich ausgerechnet für die stark regulierte Versicherungsbranche entschieden?

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Thorben Schlätzer:

Wir sind kein Insurtech, das die Versicherungsbranche von außen aufrollen möchte. Ich habe meine Ausbildung bei der Sparkasse gemacht, dann den Versicherungsfachmann erlernt und ein Studium des Versicherungswesens abgeschlossen. Durch meine Cousins habe ich schon als Jugendlicher das Programmieren gelernt und nach meinem Studium mein erstes Start-up gegründet, das Software für Industrie-Underwriter zum Auslesen von Dokumenten entwickelt hat. So bin ich dann bei Künstlicher Intelligenz (KI) gelandet. Die Versicherungswirtschaft passt zu mir – hier fühle ich mich wohl. Und der Bedarf ist groß: Denn letztlich geht es im Maklergeschäft um die Organisation von Kunden- und Versichererdaten. Das birgt großes Potenzial für KI-Technologie.

procontra:

Warum haben Sie sich speziell auf KI-Anwendungen für Versicherungsmakler fokussiert, obwohl diese nicht über große IT-Abteilungen wie Versicherer verfügen?

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Schlätzer:

Gerade deshalb. Die kleineren und mittelständischen Unternehmen bewegen sich deutlich schneller als große Versicherer. Deshalb haben wir uns auf Makler spezialisiert – das können Unternehmen mit fünf, aber auch mit 150 Mitarbeitern sein. Natürlich beraten wir auch Versicherer, wenn es um die Einführung von KI geht, aber diese haben oft mit veralteten Systemen und unklarer Datenorganisation zu kämpfen. Makler dagegen sind flexibler und können schneller Entscheidungen treffen, um Verbesserungen umzusetzen. Bei kleineren, gut strukturierten Einheiten lässt sich damit schneller ein „Quick-Win“ erzielen.

procontra:

In einer Umfrage auf procontra-online.de haben wir Versicherungsmakler gefragt, ob sie viele Prozesse bereits digitalisiert haben oder noch wie vor 20 Jahren arbeiten. Das Ergebnis war 50 zu 50. Warum sollte ein Makler, dessen Geschäft ohne KI gut läuft, diese Technologie einführen? Es kostet ja auch Zeit und Geld.

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Schlätzer:

Es ist schwer, Menschen zu etwas zu bewegen, wenn sie den Mehrwert nicht erkennen. Ich befürchte aber, dass diejenigen, die sich der Digitalisierung verschließen, irgendwann feststellen werden, dass sie den Zug verpasst haben. Selbst wenn ich in den 60ern bin und es für mich keine Rolle mehr spielt, hängt trotzdem ein Unternehmen dran, das vielleicht weitergeführt werden soll. Wenn ich nicht digitalisiere, sinkt auch der Unternehmenswert. Ich würde empfehlen, erstmal Hemmschwellen abzubauen und einfach mal mit ChatGPT oder ähnlichen Tools zu arbeiten, um zu sehen, wie weit man damit kommt.

procontra:

Die Erwartungen an KI sind derzeit sehr hoch. Ich habe den Eindruck, dass es viele frustriert, dass noch nicht alles möglich ist. Nehmen Makler deshalb Abstand vom Thema?

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Schlätzer:

Viele Makler sind zunächst beeindruckt, wie schnell sie Prozesse mit KI beschleunigen können. Aber oft handelt es sich nur um eine Lösung, die 80 Prozent des Problems abdeckt. Um die letzten 20 Prozent zu erreichen, wird es dann jedoch schwieriger und dauert länger.

procontra:

Haben Sie ein konkretes Beispiel für so eine Herausforderung?

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Schlätzer:

Ein Klassiker ist das Vergleichen von Versicherungsbedingungen unterschiedlicher Anbieter. Das klingt einfach, aber es handelt sich um sehr fachliche Themen, die in den Bedingungen geregelt sind. Außerdem werden oft unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet. Die nötige fachliche Tiefe, um diese Unterschiede zu verstehen, haben KI-Systeme wie ChatGPT noch nicht.

procontra:

Mit welchen Anwendungen können Makler Ihrer Erfahrung nach schnelle Erfolge erzielen?

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Schlätzer:

Makler erhalten täglich eine riesige Menge an E-Mails. Hier kann man schnell einen „Quick-Win“ mit KI erzielen. Die KI kann einfache Servicefragen beantworten und bei komplexeren Anfragen die relevanten Daten auslesen, um eine Antwort zu generieren. Auch wenn die KI nur 80 Prozent der Arbeit übernimmt, reicht das oft schon aus, um einen Mehrwert zu schaffen. Und das Beste ist: Die KI wird mit der Zeit immer besser. Was heute 80 Prozent sind, könnten morgen schon 95 Prozent sein. Ein Anknüpfungspunkt dafür kann die Einführung vom Microsoft Copilot sein.

procontra:

Wie kann ein Makler KI ganz praktisch nutzen, ohne auf einen Dienstleister angewiesen zu sein?

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Schlätzer:

Im Privatkundengeschäft kann KI zum Beispiel bei der Bestandsaktivierung hilfreich sein. Sie kann Anlässe oder relevante News aus dem Internet identifizieren, die der Makler als Grundlage für Beratungsgespräche nutzen kann. Ein Beispiel: Nehmen wir an, die neue Regierung bringt eine neue Rentenreform auf den Weg. KI könnte dann helfen zu erkennen, welche Kunden darauf angesprochen werden können, wie sich diese Reform auf ihre Altersvorsorge auswirken könnte. Und die Ansprache selbst entsprechend auf die Kunden individuell zuschneiden.

procontra:

Sie unterstützen auch Makler im Gewerbebereich. Geht es dort darum, Mitarbeiter einzusparen?

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Schlätzer:

Wir sehen KI nicht als Ersatz für Mitarbeiter, sondern als Unterstützung zur Beschleunigung von Prozessen. Natürlich ist KI in einigen Bereichen schneller und präziser als der Mensch. Aber bei der fachlichen Verknüpfung von Informationen und der Kommunikation gegenüber dem Kunden ist der Mensch nach wie vor unersetzlich.

procontra:

Wo kann KI heute schon konkret unterstützen?

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Schlätzer:

Zum Beispiel im Kfz- oder Wohngebäudegeschäft, wo es viele Schadenmeldungen gibt. Kunden können bereits Tools nutzen, um Schäden zu melden, aber oft senden sie noch eine E-Mail. Dadurch entstehen jede Menge unstrukturierte E-Mail-Informationen. Die KI kann diese Nachrichten automatisch auslesen und strukturierte Daten daraus gewinnen. So entlastet die KI den Makler und ermöglicht ihm, sich auf die eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren. Die „Magie“ der Arbeit des Maklers liegt darin, wie er mit den gewonnenen Daten weiterarbeitet.

procontra:

Jeder, der bereits mit KI gearbeitet hat, wird feststellen, dass sie Fehler macht. Kann das für Makler zu Problemen führen, etwa in Bezug auf Haftung?

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Schlätzer:

Es ist nicht so, dass Menschen keine Fehler machen. Die KI extrahiert die Daten, aber der Anwender prüft diese auf Plausibilität. Der Mensch bleibt der Entscheider und hat die Kontrolle über den Prozess. Solange man das beibehält, können wir dafür sorgen, dass Fehler von KI nicht geschäftskritisch werden.

procontra:

Auf Ihrer Website zeigen Sie ein Video, in dem die KI telefonisch einen Schaden aufnimmt. Wie verhindern Sie, dass sich der Kunde wie ein Kunde zweiter Klasse fühlt?

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Schlätzer:

Transparenz ist wichtig. Der Kunde sollte wissen, dass er mit einer KI spricht. Zudem kann man ihm die Entscheidung überlassen, ob er den ersten Kontakt über die KI abwickeln möchte. Der Makler kann dann später das Gespräch übernehmen. Bei E-Mails sollte auch klar erkennbar sein, dass ein digitaler Assistent antwortet. In vielen Geschäftsvorfällen ist das für einen Kunden sogar komfortabler, weil er 24/7 mit seinem Ansprechpartner in den Kontakt treten kann.

procontra:

Datenschutz ist für Makler ein großes Thema. Kann man einfach ChatGPT nutzen, um es auszuprobieren?

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Schlätzer:

Für Makler ist es wichtig zu wissen, dass ChatGPT nicht datenschutzkonform ist. Heißt: Kundendaten gehören nicht in ChatGPT! Es gibt jedoch KI-Modelle, die datenschutzkonform sind, weil sie in der EU verortet sind. Hier bieten unterschiedliche Anbieter etwas an – auch mein Unternehmen Dreifach.ai

procontra:

Müssen Makler unbedingt Cloud-basierend arbeiten, um Prozesse mit KI zu optimieren?

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Schlätzer:

Cloud-basierte Systeme sind keine zwingende Voraussetzung für KI, aber sie erleichtern die Arbeit enorm. Heute ist es schwer vorstellbar, wettbewerbsfähig zu bleiben, wenn man nicht zumindest teilweise in der Cloud arbeitet.

procontra:

Gibt es denn zwingende Voraussetzungen für den Einsatz von KI?

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Schlätzer:

Um KI erfolgreich zu nutzen, ist es wichtig, grundlegende Voraussetzungen zu schaffen. Ein guter Anfang kann sein, einfach mal mit ChatGPT zu experimentieren und herauszufinden, wie KI im Alltag eingesetzt werden kann. Entscheidend ist, sich Gedanken darüber zu machen, wie man in den kommenden Jahren arbeiten möchte und welche Tätigkeiten man selbst übernehmen oder auslagern möchte. KI kann helfen, Prozesse zu optimieren und Engpässe zu überwinden. Wer sich klar mit seinen Zielen auseinandersetzt, kann von der Technologie profitieren.

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