„Ein Mann und ein Kind sind keine Altersvorsorge“
Justine Ivakovic:
Meine Geschäftspartnerin und ich sind beide Scheidungskinder. Wir haben hautnah miterlebt, welche Herausforderungen eine Scheidung mit sich bringen kann. Auch im Beratungsalltag erlebe ich es immer wieder, dass Frauen Ende 40 bis Mitte 50 vor mir sitzen und keinerlei eigenständige finanzielle Vorsorge getroffen haben. Dabei wäre es gerade in jungen Jahren, bestenfalls mit dem ersten Einkommen, wichtig, direkt mit dem Aufbau von Rücklagen und dem Investieren zu beginnen. Der Faktor Zeit wird leider viel zu häufig unterschätzt.
procontra:
Es gibt immer mehr Beratungsangebote, die sich explizit an Frauen wenden. Was unterscheidet Ihre Beratung von anderen?
Ivakovic:
Wir haben uns vor drei Jahren auf die Beratung von Frauen spezialisiert. Meine Geschäftspartnerin Chiara und ich sind beide Certified Financial Planner und gehören mit unserer Ausbildung zu den Top 1 Prozent Beratern der Finanzbranche. Wir wollten unser Wissen auch außerhalb der persönlichen Beratung weitergeben und haben deswegen eine App für finanzielle Bildung, die „finance, baby!“, entwickelt. Dadurch können wir mehr Frauen erreichen und gleichzeitig zu einer besseren Finanzbildung beitragen. Außerdem ist unsere lebensbegleitende Betreuung im Rahmen unserer Mitgliedschaften „DI Frau Member“ deutschlandweit einzigartig.
procontra:
Ihre Beratung ist von Frauen für Frauen. Warum könnte nicht auch ein Mann das, was Sie in Ihrer Beratung machen?
Ivakovic:
Ein Mann könnte dieselben Inhalte vermitteln wie ich. Eine Frau braucht am Ende auch nur in den seltensten Fällen andere Finanzprodukte als ein Mann. Aber darum geht es nicht. Es geht um eine empathische und authentische Kundenbeziehung. Manchmal gibt es auch Themen, die von Frau zu Frau leichter angesprochen werden. Wir schaffen einen unkomplizierten Zugang zu Finanzwissen und sind für unsere Mandantinnen eher Mentorinnen als Beraterinnen.
procontra:
Wie gewinnen Sie neue Kundinnen? Schließlich sind Frauen eher zögerlich beim Thema Finanzen und Vorsorge. Was beachten Sie beim Aufbau Ihrer Klientel?
Ivakovic:
Groß geworden sind wir durch Empfehlungen unserer Mandantinnen. Zwischenzeitlich gewinnen wir über die App viele neue Klientinnen. Wir geben auch Kurse an der Volkshochschule, Workshops für Unternehmen und Privatpersonen und sind in einer AG für die 10. Klasse einer Realschule.
procontra:
Warum sind die Beratungsbedürfnisse von Frauen aus Ihrer Sicht anders als die von Männern?
Ivakovic:
Statistiken zeigen, dass Frauen und Männer bis zum Alter von 29 Jahren – im jeweils gleichen Alter – keine gravierenden Gehaltsunterschiede haben. Das beginnt ab dem 30. Lebensjahr. Interessant ist, dass Frauen in Deutschland im Schnitt mit 30 Jahren das erste Kind auf die Welt bringen. Das ist häufig der Auslöser für die gravierenden Unterschiede. Während eine Beziehung gut läuft, einigt man sich natürlich einvernehmlich, dass der, der weniger verdient, erstmal den Nachwuchs versorgt. Oft geht es finanziell auch gar nicht anders – sonst würde noch mehr Geld in der Haushaltskasse fehlen. In der Regel sind es die Frauen, die weniger Erwerbseinkommen zur Verfügung haben. Vergessen wird aber, während dieser Zeit die Vorsorge für die Frau weiter aufzubauen. Ein Mann ist keine Altersvorsorge. Kinder sind keine Altersvorsorge. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Dazu gehört es, Verantwortung zu übernehmen.
procontra:
Was braucht es, jenseits vom Verständnis für die gesellschaftlichen Strukturen und gendertypischen Themen, noch, um Frauen gut zu beraten?
Ivakovic:
Ich habe eben bereits den Gender Pay Gap thematisiert, der sicher zu den heiß diskutierten gendertypischen Themen gehört. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Lösung hierfür keine rein politische sein sollte. Unabhängig und selbstbestimmt zu sein bedeutet für mich, sich möglichst unabhängig von Dritten zu machen. Mir ist es in Beratungen immer wichtig, ein Verständnis für Möglichkeiten, aber auch die damit zusammenhängenden notwendigen Maßnahmen zu schaffen. Jede Entscheidung, ob bewusst oder unbewusst, beeinflusst unsere Zukunft. Wir haben es uns von Beginn an zum Ziel gemacht, mehr Bewusstsein zu schaffen.
Ivakovic:
Es gibt nur wenige Ausnahmen, wo das Sinn macht. Beispielsweise haben manche privaten Krankenversicherungstarife nach einer Entbindung einen Zeitraum, in dem Frauen trotz vollem Versicherungsschutz für einige Monate keine Beiträge zahlen müssen. Das ist definitiv eine finanzielle Entlastung.
procontra:
Es heißt immer, es brauche keine rosa, sondern passende Finanz- und Vorsorgeprodukte. Was sind denn passende Lösungen für Frauen?
Ivakovic:
Finanzplanung ist Lebensplanung. Und unser Leben ist keine Einbahnstraße. Wir sagen immer: „Möglichkeiten zu haben ist besser, als Möglichkeiten zu brauchen.“ Bei der Finanzplanung ist deshalb ein flexibles und vorausschauendes Konzept eine entscheidende Erfolgsgrundlage. Das beginnt bereits mit der Liquiditätsrücklage und spiegelt sich langfristig in einer breiten Diversifikation in unterschiedliche Assets wider. Die Finanzplanung fällt immer unterschiedlich aus, je nachdem welche Ziele und Wünsche verfolgt werden und wie der Status quo einer Mandantin aussieht. Frauen sind außerdem gut beraten, sich im Rahmen der Finanzplanung auch mit dem Thema Ehevertrag auseinanderzusetzen.
procontra:
Einer Ihrer Leitsprüche ist: „Frauen bestimmen selbst!“ Tun sie das nicht schon längst? An welchen Stellen hapert es noch?
Ivakovic:
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass insbesondere die Familienplanung immer wieder dazu führt, dass Frauen ihr selbstbestimmtes Leben und damit auch die finanzielle Unabhängigkeit aufgeben. Aufgrund fehlender finanzieller Aufklärung hat bis zu diesem Zeitpunkt oft wenig bis gar kein Vermögensaufbau stattgefunden und mit dem Nachwuchs fehlen plötzlich die finanziellen Mittel. Wäre bis zu diesem Zeitpunkt schon investiert worden, könnte das vorhandene Kapital weiterwachsen und die Zeit geht nicht verloren. So können aus möglichen 45 Jahren Investitionszeit bis zur Rente mal schnell nur noch 30 Jahre werden, wenn man mit Ende 30 beginnt. Hier sprechen wir mindestens von hohen fünfstelligen Beträgen, in der Regel sogar von hohen sechsstelligen Beträgen, die fehlen.