„Kein Interesse, gekündigte Mitarbeiter in die Privatinsolvenz zu treiben“
Beim Ringen um Fachkräfte rumort es auch seit einigen Monaten zwischen Strukturvertrieben und dem freien Maklervertrieb. Strukturvertriebe stören sich an Abwerbeaktivitäten, ehemalige Strukkis beklagen den Umgang mit ihnen (procontra berichtete), nachdem sie ihre Kündigung eingereicht haben.
procontra: In den vergangenen Monaten sorgte das Buhlen um Berater für Unruhe im Markt. Konkret störten Sie sich dabei an den Methoden der Fonds Finanz, um Vermittler aus den Strukturvertrieben zu lösen. Was stieß Ihnen dabei besonders auf?
Martin Pöll: Es spricht nichts dagegen, wenn Unternehmen um Fachkräfte werben oder sich Mitarbeiter, die sich neu orientieren wollen, aktiv bei anderen Unternehmen bewerben. Das ist Teil der freien Marktwirtschaft. Was von der Rechtsprechung jedoch untersagt ist, ist die gewerbsmäßige Abwerbung, wo strukturell versucht wird, Vermittler aus anderen Vertrieben rauszulösen. Das fand in der Vergangenheit statt, und da ist für mich eine Grenze überschritten worden.
procontra: Das Gesetz räumt suchenden Unternehmen großen Freiraum ein. Wie sah diese Grenzüberschreitung konkret aus?
Pöll: Wenn das suchende Unternehmen auf einen einzelnen Vertrieb bzw. eine Gruppe von Vertrieben gezielt zugeht und dort im großen Stil mit strukturierter Vorgehensweise rekrutiert, dann definiert es die Rechtsprechung als nicht mehr zulässig. Ebenso wurden Werbematerialien von uns verunglimpft und zur Kommunikation in den sozialen Netzwerken eingesetzt. Das hatte aus unserer Sicht mit fairem Wettbewerb um Fachkräfte nichts mehr zu tun.
Anmerkung der Redaktion: Lesen Sie hier, wie Rechtsanwalt Manfred Hammer, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz und Spezialist für Wettbewerbsrecht der Kanzlei Menold Bezler, den Fall einschätzt.
procontra: Bei einem Wechsel regelt die Kündigungsfrist, wie lange beide Seiten noch ihre Pflichten erfüllen müssen. Was erwarten sie diesbezüglich von ihren scheidenden Mitarbeitern?
Stefanie Alt: Im Mittelpunkt steht für uns die ordnungsgemäße Betreuung der Mandanten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist. Wir erwarten auch, dass keine anderen Mitarbeiter für ein neues Unternehmen angeworben oder Mandanten mitgenommen werden, um sie dann mit neuen Verträgen eindecken zu können. Denn bei strukturierten und systematisierten Umdeckungen ganzer Bestände verlaufen diese – unabhängig von wettbewerbsrechtlichen Fragen – in vielen Fällen zum Nachteil der Mandanten.
procontra: Konnten Sie dieses Verhalten in allen Fällen feststellen?
Alt: Der Großteil verhält sich vertragsgerecht. Natürlich kommt es auch vor, dass die Betreuung während der Kündigungsfrist vernachlässigt wird. Entweder weil sich der Mitarbeiter nicht mehr zuständig fühlt oder weil er sich bereits neu orientiert.
procontra: Was sehen Sie im Gegenzug als Ihre Pflichten während einer Kündigungsfrist an?
Pöll: Wir müssen unsere Abrechnung aufrechterhalten sowie das technische System, damit der Vermittler die gewünschte Betreuung weiter gewährleisten kann.
procontra: Das heißt, sie zahlen bestehende Provisionsansprüche weiterhin so aus, als befände sich der Mitarbeiter nicht in einer Kündigungsfrist?!
Pöll: Der Handelsvertretervertrag gibt uns während der Kündigungsfrist die Möglichkeit, das Stornoreservekonto des Mitarbeiters erst auf 100 Prozent aufzufüllen, bevor Provisionen ausgezahlt werden müssen. Das dient dazu, das Stornorisiko zunächst vollständig abzudecken.
procontra: Das heißt, laufende Einkünfte werden erst mal gestoppt?
Pöll: Nein. Das wäre nur der Fall, wenn die Stornoabsicherung bislang zu niedrig war. In vielen Fällen muss diese Option gar nicht gezogen werden. Vielmehr ist dies abhängig von der Qualität des Geschäfts. Eine niedrige Stornoquote bedeutet in der Regel eine hohe Absicherung, die wiederum eine sofortige Auszahlung von Provisionsansprüchen erlaubt.
Der Handelsvertretervertrag gibt uns während der Kündigungsfrist die Möglichkeit, das Stornoreservekonto des Mitarbeiters erst auf 100 Prozent aufzufüllen, bevor Provisionen ausgezahlt werden müssen.Martin Pöll
procontra: Uns liegen jedoch Aussagen einer Vielzahl ehemaliger Mitarbeiter vor, wonach diese Option in fast allen Fällen und nicht nur in Ausnahmen gezogen wurde. Auch dann, wenn die Qualitätskennziffern des Mitarbeiters sehr positiv waren. Wie ist das zu erklären?
Pöll: Es geht bei der Entscheidung um mehr als nur die Qualitätskennziffern. Es ist auch nicht gesagt, dass die 100-prozentige Sicherheit verlangt wird, wenn ein Mitarbeiter kündigt. Mir liegt jede Kündigung persönlich vor. Ich schaue mir dann die Stornoabsicherung, Servicequote und weitere Faktoren des Mitarbeiters an, und erst dann entscheide ich individuell, ob die Stornoabsicherung auf 100 Prozent überhaupt eingestellt wird.
procontra: In Zusammenhang mit einer langen Kündigungsfrist, die bei Telis bis zu 18 Monate zum Quartalsende betragen kann, entstehen ernsthafte Existenznöte, wenn kein Geld fließt.
Pöll: Auch dieses Szenario lässt sich, zum Beispiel über einen Aufhebungsvertrag oder in Form einer anderen Sicherheit, vermeiden. Hier stehe ich immer für ein Gespräch bereit, um nach Lösungen im Sinne beider Parteien zu suchen. Da es teilweise auch offene Forderungen unsererseits gegenüber dem gekündigten Mitarbeiter gibt, habe ich gar kein wirtschaftliches Interesse, dem Mitarbeiter die Liquidität abzudrehen oder ihn in die Privatinsolvenz zu treiben.
procontra: Dennoch fehlt während der Kündigungsfrist oft das laufende Einkommen.
Pöll: Ich habe bereits beschrieben, unter welchen Umständen zunächst die Stornoabsicherung erhöht wird, bevor es zu weiteren Auszahlungen kommt. In der Praxis liegt die Ursache für den Wegfall laufender Einnahmen meist beim Mitarbeiter selbst. Nämlich dann, wenn kein Neugeschäft mehr mit den Mandanten bei uns generiert und damit auch keine neuen Provisionsansprüche mehr erworben werden. Oft wird bereits in der Kündigungsfrist neues Geschäft über das zukünftige Unternehmen eingereicht.
Das wird auch von Blindpool-Konstrukten, die Nummern zum Einreichen von Geschäft zur Verfügung stellen, ermöglicht. Teilweise unter erheblicher Verschleierung der Herkunft der Registrierungsnummern nach 34d.
procontra: Wie soll Neugeschäft generiert werden, wenn Ihre Beratungssoftware TOS nach einer Kündigung gesperrt wird?
Pöll: Das System wird nicht automatisch nach einer Kündigung gesperrt. Vielmehr erfolgt der Status der Inaktivität, wenn der Mitarbeiter die Betreuung, wie erwähnt, vernachlässigt oder kein Neugeschäft mehr generiert. Ist das drei Monate lang der Fall, droht die Sperrung des Systems. Darüber wird er informiert und hat auch jederzeit die Möglichkeit, die Aktivität mit einer einfachen Mail wieder anzufordern. Wir sperren kein System nur aufgrund einer Kündigung. Wenn jemand kündigt, gewährleisten wir ein System, das die ordnungsgemäße Betreuung der Mandanten und die Generierung von Neugeschäft jederzeit ermöglicht.
Wir sperren kein System nur aufgrund einer Kündigung.Martin Pöll
procontra: Was passiert mit dem Guthaben auf dem Sicherungskonto, wenn der Mitarbeiter aus dem Unternehmen ausgeschieden ist?
Pöll: Sobald die Haftungszeiten abgelaufen sind, erhält der Mitarbeiter seinen Provisionsanspruch automatisch ausgezahlt. In der Praxis ist es oft so, dass der ehemalige Mitarbeiter Verträge bei seinem neuen Unternehmen umdeckt und sich so Stornorisiken realisieren, die dann seinem Kontokorrentkonto als Minus eingebucht werden. Kommt es dann zu einer Unterdeckung, also ist das Minus auf dem Kontokorrentkonto höher als das Guthaben auf dem Sicherheitskonto, stellen wir diesen Saldo fällig.
procontra: Das Sicherheitskonto dient als Sicherheit im Falle von Storni. Warum wird dann ein Storno auf dem Kontokorrentkonto als Minus verbucht, anstatt das Stornovolumen dem Sicherheitskonto zu entnehmen?
Alt: Hier muss man differenzieren. Kommt es zu einem Storno, wird der Teil der Provision, der beim Abschluss dem Sicherheitskonto zugeführt wurde, auch aus dem Sicherheitskonto wieder genommen. Logischerweise wird der restliche Teil der Provision, der bei Abschluss dem Vermittler über sein Kontokorrentkonto direkt ausgezahlt wurde, auch über dieses Konto wieder fällig gestellt. Beide Konten werden im Stornofall also im gleichen Umfang belastet, wie sie bei Abschluss mit einer Gutschrift geschlüsselt wurden. Diese Vorgehensweise ist im Handelsvertretervertrag festgelegt, genau wie die Mindestabsicherung von 50 Prozent. Letztlich erfordert daher die mangelnde Absicherung eine Buchung auf dem Kontokorrentkonto.
procontra: Das Einkommen Ihrer Vertreter setzt sich aus einem Konstrukt vieler Einzelkomponenten zusammen. Da werden Bewertungssummen in Einheiten umgerechnet und Provisionen für Abschluss, Betreuung, Dynamiken, Stufendifferenz, Qualitätsbonus und, und, und gezahlt. Ist diese Komplexität nötig?
Pöll: Es ist in der Tat eine komplexe Thematik. Doch im Grunde sind die einzelnen Positionen jeweils Anreize, in bestimmten Bereichen aktiv zu werden bzw. zu bleiben. Wer seine Mandanten nach unseren Ansprüchen betreut, erhält beispielsweise einen Qualitätsbonus. Wer viel Umsatz schreibt, profitiert von den Abschlussprovisionen, und wer den Ausbau seiner Struktur vorantreibt, erhält in der Regel eben mehr Differenzprovisionen.
procontra: Dienen die Umrechnung in Einheiten und die Kleinteiligkeit von Einkommensbausteinen nicht vielmehr dazu, die Vergleichbarkeit mit anderen Vertriebswegen zu verhindern? Zum Beispiel zu jenen, die nach Promille vergüten?
Pöll: Nein. Ein Promillesystem kann eine Differenzprovision, wie wir sie anbieten, nicht darstellen. Wenn ich jedoch die Vergütung auf Euro pro Einheit normiere, kann ich diese Provisionen zwischen einem Berater und seiner Führungskraft abbilden.
procontra: Das ginge doch auch mit einem Promillewert.
Pöll: Dann können Sie aber keinen Karriereplan darstellen. Vermittelt ein Berater eine bestimmte Anzahl von Einheiten über einen bestimmten Zeitraum, steigt er in der Karrierestufe auf. Dazu benötigen wir ein System, das die Messung der Leistungen erlaubt. Das Einheitensystem wurde auch nicht geschaffen, um zu verschleiern – das Einheitenprinzip existiert schon viel länger als das Promillesystem.
Das Einheitensystem wurde nicht geschaffen, um zu verschleiern – es existiert schon viel länger als das Promillesystem.Martin Pöll
procontra: Höhere Provisionen im Maklervertrieb nennen viele Strukturvertriebler als Grund für ihre Kündigung. Wie sehen Sie diesen Vergleich, wenn Sie statt der marktmöglichen 45 oder mehr Promille, zum Beispiel im Leben-Geschäft, nur 15 bieten?
Pöll: Dieser Vergleich hinkt gewaltig. Richtig ist, dass viele unserer Berater zunächst im Nebenberuf starten und mit großem Aufwand durch die Betreuung im Außendienst sowie unsere Ausbildungsakademie zum Unternehmensberater für den privaten Haushalt ausgebildet werden. Natürlich können diese Menschen nicht schon zu Beginn die gleiche Vergütung bekommen, die ein Unternehmensberater mit entsprechender Berufserfahrung erhält. Schon allein deshalb, da die Erlaubnis zur Vermittlung nach Paragraf 34d GewO zu Beginn fehlt, die Beratung nicht durch ihn selbst durchgeführt wird und die Investition der Führungskraft in die Ausbildung geschützt werden muss.
Addiert man die verschiedenen Einkommenskomponenten zusammen, dann sind die Abschlussprovisionen bei erfahrenen Beratern weit höher und in etwa auf dem Niveau, das Sie erwähnt haben. Dabei sind die Verdienstmöglichkeiten gar nicht ausschlaggebend, sondern vielmehr die Möglichkeiten, Gewinn zu erzielen. Also eine Betrachtung nach Ausgaben und Kosten. Unterm Strich, behaupte ich, bleibt in unserem Vertriebsweg mehr übrig als bei vielen anderen Marktteilnehmern, da wir die Ausgabenseite gering halten können.
procontra: Von welchen gewinnschmälernden Ausgaben sprechen Sie? Maklerpools bieten ihren Partnern oft ein kostenfreies Dienstleistungspaket aus Beratungstools, Vergleichsrechnern, Backoffice, Abrechnungsmanagement etc. – natürlich im Gegenzug zu einer Anbindung.
Pöll: Das mag sein. Nun muss man aber betrachten und hinterfragen, ob das Dienstleistungspaket genauso umfangreich und effizienzsteigernd ist, wie wir es zur Verfügung stellen. Sprich nicht nur das bloße Vorhandensein von Technik, sondern deren Quantität und Qualität miteinander vergleichen. Da bin ich der Meinung, dass unsere Dienstleistungen die geringeren Abschlussprovisionen im Vergleich zum freien Vertrieb überkompensieren, sodass bei gleichem Geschäft bei uns am Ende ein höherer Gewinn herauskommt.
Unterm Strich bleibt in unserem Vertriebsweg mehr übrig als bei vielen anderen Marktteilnehmern, da wir die Ausgabenseite gering halten können.Martin Pöll
procontra: Auch Sie erheben Gebühren. Etwa für die Nutzung Ihres Beratungssystems TelisOnlineSystem (TOS), für Nachbearbeitungen, für die Aufbereitung von Ablaufterminen, Bürokostenzuschuss oder auch für Veranstaltungen, die besucht werden müssen. Das schmälert doch auch den Gewinn Ihrer Handelsvertreter.
Pöll: Zur Klarstellung – es gibt bei uns keine kostenpflichtigen Veranstaltungen, die besucht werden müssen. Wer das erzählt, sagt die Unwahrheit. Es gibt darüber hinaus einige wenige Gebühren, die für lizenzpflichtige EDV-Systeme, die bei entsprechender Nutzung weiterbelastet werden. Auch hier ist die Qualität der Software, die unsere Berater zur Verfügung gestellt bekommen, unserer Meinung nach nicht vergleichbar mit Systemen, die komplett kostenfrei verfügbar sind.
procontra: Die ganze Aufregung um die Wechselbewegungen und Abwerbeaktionen hat sicherlich auch ein Reflektieren auf die eigene Situation bewirkt. Welche Ansätze haben Sie erkannt, um zukünftig Beratern Ihre Vorteile noch klarer zu vermitteln?
Alt: Als Schwäche haben wir unsere Kommunikation identifiziert. Hier wollen wir zukünftig klarer herausstellen, welche Vorteile der Systemvertrieb auch gegenüber der freien Maklerschaft hat. Hier sehen wir unsere technische und systemische Unterstützung in der Beratung als großen Trumpf, ebenso die Verdienstmöglichkeiten und die Gemeinschaft, die in der Struktur gelebt wird.
Wir wollen zukünftig klarer herausstellen, welche Vorteile der Systemvertrieb auch gegenüber der freien Maklerschaft hat.Stefanie Alt