Der Corona-Effekt auf Insurtechs: Erst Gründung, dann Pleite?!

Die Corona-Krise brachte mit Joonko und Getsurance bereits zwei bekannte Insurtechs mangels Kapital ins Straucheln. Wie düster wird 2021, wie krisenfest sind die Jungunternehmen tatsächlich?

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15:01 Uhr | 11. Januar | 2021

Die Ambitionen waren groß, die Idee durchaus reizvoll: Joonko wollte dem branchenweit ungeliebten Platzhirsch Check24 Konkurrenz machen. Doch ziemlich genau ein Jahr nachdem das Berliner Insurtech mit einer Betaversion für den Vergleich von Kfz-Policen gestartet war, löst die einstige Vision sich wieder in Luft auf. „Die Pandemie hat uns gezeigt, dass mehr Kapitalpuffer nötig ist. Eine ausreichende Finanzierung konnten wir mit unseren Investoren leider zu diesem Zeitpunkt nicht realisieren“, erklärte CEO Dr. Carolin Gabor Ende Oktober. Die 43 Mitarbeiter sollen neue Job-Angebote von der finleap-Gruppe bekommen, die Joonko mit aufgebaut hat. Ebenfalls schlechte Neuigkeiten hatte es nur wenige Tage zuvor vom 2016 gegründeten BU-Anbieter Getsurance gegeben, der nach Zahlungsschwierigkeiten einen Insolvenzantrag stellen musste. Man sei auf der Suche nach einem neuen Investor, der zum Jahreswechsel einsteigen könnte, hieß es im Herbst. Nun, Mitte Januar 2021 nachgefragt, gibt es allerdings noch keine solche frohe Kunde zu vermelden.

Dass junge Firmen aufgeben müssen, ist erst einmal kein Corona-Spezifikum. Generell gilt: Über 80 Prozent aller Start-ups scheitern innerhalb der ersten drei Jahre, wirklich erfolgreich wird nur jedes zehnte. Trotz visionärer Ansätze gehört das hohe Risiko des Scheiterns dazu – einen Gesichtsverlust für Gründer bedeutet das nicht. Im Bereich Insurtechs gibt es laut Branchenexperte Dr. Nikolai Dördrechter sogar „unproportional wenige Pleiten“.

Die Investitionsbereitschaft schwankt

Mehr Kapital hätte Joonko und auch Getsurance helfen können. Die jungen Digitalaffinen stellen eine hart umkämpfte und dabei wechselwillige Zielgruppe dar, die Akquisitionskosten sind für Insurtechs entsprechend hoch – und bis der Wert des Kunden im Laufe der Zeit gehoben wurde, ist schon viel Geld geflossen. „In Wachstum zu investieren, ist teuer – das hat aber mit Corona nichts zu tun“, ordnet Dördrechter ein. Ein grundsätzliches Problem liege in ambitionierten Businessplänen mit maximal ausgereizten Unternehmensbewertungen. So werde im prognostizierten Kundenwachstum oft zu hoch gepokert: „50.000 Neukunden in einem Jahr sind eigentlich ein toller Erfolg – wenn den Inves­toren aber 300.000 versprochen wurden, reicht das schlichtweg nicht aus.“  

Durchaus der Corona-Krise zuzuschreiben ist aber die zeitweilige Zurückhaltung der Investoren. „Auch wenn das niemand offiziell zugegeben hat: 2020 haben sich Investoren für zwei bis drei Monate abgemeldet und in dieser Zeit nur mit dem bestehenden Portfolio beschäftigt“, weiß Dördrechter. Vermeintlich neue Deals waren mehrheitlich schon im vergangenen Jahr angeleiert worden. Statt neuer Pitches und offizieller Kapitalrunden haben bestehende Investoren InsurTechs in diesem Jahr vielfach im Stillen zu einer Brückenfinanzierung verholfen. Ob bei Project A, Holtzbrinck Ventures, Digital+ oder Earlybird: Venture Capital sei trotz der Krise ausreichend vorhanden, so Dördrechter. Auch gab es einige Positivbeispiele im vergangenen Jahr: Das Hamburger Schadensregulierungs-Insurtech Claimsforce sammelte im Sommer satte sieben Millionen Euro von Investoren ein, der Berliner White-Label-Versicherer Element polsterte sein Kapital um zehn Millionen Euro auf.

„Für die Venture-Capital-Geber könnte jetzt eine alte Anlegerweisheit Bestand haben: In Krisenzeiten steigen Mutige oft günstiger als sonst ein – auch bei Geschäftsmodellen, deren Potenzial sich erst in der Post-Corona-Zeit zeigen wird“, beobachtet Christian Gnam, Managing Director des Insurtech Hub München. Es geht wieder bergauf, das belegen Zahlen, die Willis Towers Watson im Herbst erhoben hat. Nachdem die Investments im ersten Quartal dieses Jahres Pandemie-bedingt geschrumpft waren, haben sie ein halbes Jahr später einen neuen Höchststand erreicht. Laut Michael Klüttgens, Leiter der Versicherungsberatung des Beratungsunternehmens, zeigen die Daten, „dass Investoren trotz der Covid-19-bedingten Umwälzungen großes Wachstumspotenzial für InsurTechs erkennen“. Obwohl sich im dritten Quartal keine Mega-Deals ergaben, machten Finanzierungen in deutsche Insurtechs demnach fünf Prozent aller weltweiten Transaktionen aus – und liegen damit sogar leicht über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre von vier Prozent.

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Kooperationen sind gefragt

Statt Risikokapital in Start-ups zu pumpen, setzen die großen Versicherungen derweil eher auf Kooperationen. „Beim klassischen Corporate Venture Capital sind wir im Bereich Insurtechs – Corona-unabhängig – bereits über den Zenit hinaus“, schätzt Dördrechter ein. Dass Versicherer tendenziell in puncto Investments sparsamer werden, liegt nicht zuletzt daran, dass es oft knirscht, wenn beide Welten aufeinandertreffen. Wird eine junge dynamische Einheit in einen solchen Tanker hineingehängt, funktioniert das naturgemäß nicht immer reibungslos.

Ein wichtiges Thema: Über die Digitalisierung von Geschäftsmodellen wird seit einem knappen Jahr viel gesprochen. Die Krise und der Zwang zum Social Distancing führten auch dem letzten Verfechter des analogen Alltags vor Augen, wie wichtig wachsende Digitalkompetenz ist. Auch in einer Branche, die oft als extrem schwerfällig gescholten wurde? „Wir beobachten bei den Versicherern eine Entscheidungsfreude und Schnelligkeit, wie sie bisher nicht üblich waren“, sagt Gnam vom Insurtech Hub. Viele der etablierten Versicherer holten jetzt die in der Vergangenheit versäumte Digitalisierung im Vertrieb im Laufschritt nach. Der eigene Vertrieb fordert nun die Lösungen ein, denen man vorher oft skeptisch gegenüberstand, denn selbst die Kunden, die vor der Corona-Krise wenig onlineaffin waren, verlangen nun nach digitalen Lösungen.

Große Sprünge sieht Dördrechter indes nicht bei allen. „Jenseits der Homeoffice-Kultur haben viele Versicherer seit Ausbruch der Pandemie kein Feuerwerk an neuen Digitalisierungsprojekten gestartet, sondern setzen nur ihre schon eingeschlagene Marschrichtung fort.“ Zwar habe es zweifelsohne einen Boost der digitalen Vertriebsinfrastrukturen gegeben, neue Ideen für Produkte und Disruptionen der Branche hätten die vergangenen Monate aber vermissen lassen.

Auf die Sparte kommt es an

Wie gut junge Unternehmen der Branche durch die Krise kommen, ist derweil eng an ihr Geschäftsfeld geknüpft. Digitale Gesundheitslösungen haben aktuell naheliegenderweise Hochkonjunktur, neben der Herausforderung Corona wirkt auch das Digitale-Versorgung-Gesetz als wichtiger Katalysator. Die Telemedizin ist einer der Techsektoren, die am stärksten von der Krise profitiert haben. Ähnliches dürfte bald auch für das Thema Enterprise 2.0 gelten: „Es ist schon jetzt offensichtlich, dass die Prozesse in der Arbeitswelt, die Interaktion mit Kunden, die betrieblichen IT-Systeme nach der Krise nicht zum Vor-Corona-Status zurückkehren werden“, so Gnam. Aber auch das Thema Fahrradversicherung hat durch den Fahrradboom als Sondereffekt der Krise an Potenzial gewonnen – nachdem es hier jahrelange Stagnation gegeben hatte. Das ohnehin langsame, aber stetige Schwinden des deutschen Autoenthusiasmus – vor allem innerhalb der Städte – wurde indessen in diesem Jahr beschleunigt. „Kfz wird perspektivisch weiter an Stückzahl verlieren, darauf stellen sich die Hersteller bereits ein“, sagt Dördrechter. Warum das Insurtech Getsafe ausgerechnet jetzt das hart umkämpfte Kfz-Geschäft entert, mag da verwundern.

Die Krise inspiriert zu zwei Trends

Dient diese Krise womöglich auch als Ini­tialzündung für neue Ideen im Versicherungsbereich? Dördrechter beobachtet hier zwei Effekte. Zum einen habe man beim konfliktreichen Thema „Betriebsschließung“ große Verunsicherung gesehen. Dass sie im Falle eines nationalen Notstands nicht entsprechend abgesichert sind, war den wenigsten Kunden bewusst. Das Learning daraus: „Wir benötigen mehr Klarheit darüber, welcher exakte, messbare Umstand eine Versicherungsleistung auslöst. Ich erwarte den Trend, dass es mehr Start-ups geben wird, die den Versicherungsfall an objektive Triggerevents knüpfen.“ Im Kleinen gibt es solche sogenannten parametrischen Versicherungen schon. InsurTechs wie Wetterheld koppeln die Leistung nicht mehr an die subjektive Einschätzung der Versicherungsmitarbeiter, sondern legen messbare Kriterien zugrunde. Als zweiten krisenbefeuerten Trend nimmt Dördrechter den Bereich „Predictive Insurance“ wahr, also das datengestützte vorsorgliche Handeln aufgrund einer zuverlässigeren, auf künstlicher Intelligenz basierenden Vorhersehbarkeit von Ereignissen, um Schadensfälle vor deren Eintreten zu verhindern.

Insurtechs profitieren vom gesellschaftlichen Wandel

Der Kreis der digitalaffinen Kunden wächst durch alle Bevölkerungsschichten, InsurTechs profitieren von diesem gesellschaftlichen Wandel. Das sieht auch Dördrechter so: „Der Trend hin zum digitalen Vertriebsapparat ist nicht umkehrbar.“ Davon zehren unter anderem Anbieter wie Clark, White-Labeling-Lösungen sind gefragt wie selten zuvor.

„Ich bin zuversichtlich, dass es nicht zu einer großen Pleitewelle kommt. Aber es wird vereinzelte Unternehmen geben, die aufgeben müssen“, so seine Prognose. Selbst der neuerliche Lockdown sei verkraftbar, da sich nun zumindest das Gros der Anbieter auf die Sondersituation der Pandemie einstellen konnte. Die entstandene Delle im stationären Vertrieb und bei den Neuabschlüssen führt in seinen Augen lediglich zu einer zeitlichen Verschiebung in ursprünglich ambitionierteren Wachstumsplänen der Insurtechs.Statt einer weiteren Bedrohung für Jungunternehmen durch Corona sieht der Experte derweil etwas anderes gefährdet, nämlich deren Beschreibung selbst: „Der Terminus Insurtech wird als differenzierendes Merkmal für Start-ups in der Versicherungsbranche immer mehr an Bedeutung verlieren, weil der ‚Tech‘-Part für alle etablierten Versicherer selbstverständlich geworden sein wird.“

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