Lebensversicherer brauchen (mehr) Investmentkompetenz

Der Spagat zwischen Auftun von Ertragsquellen und Erfüllung der Anforderungen an die Eigenmittel schmerzt die Lebensversicherer zunehmend. Das Risikoergebnis ist mittlerweile wichtiger als das Kapitalanlageergebnis.

14:06 Uhr | 29. Juni | 2021
Die Pflegetarife sollten auch nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit die Leistungen weiter dynamisieren“, sagt Assekurata-Krankenversicherungsexperte Gerhard Reichl.

Die Pflegetarife sollten auch nach Eintritt der Pflegebedürftigkeit die Leistungen weiter dynamisieren“, sagt Assekurata-Krankenversicherungsexperte Gerhard Reichl. Bild: Assekurata

In ihrem jährlichen Marktausblick zur Lebensversicherung nahm die Rating-Agentur Assekurata die Kapitalanlage der Anbieter besonders unter die Lupe. Laut Auswertung sind noch immer etwa 83 Prozent in festverzinslichen Wertpapieren investiert, die im anhaltenden Tiefzinsumfeld kaum Erträge abwerfen. Trotz kurzfristigen Zinsanstiegs zu Jahresbeginn wird sich an der Ertragskraft so schnell nichts ändern. Im Gegenteil – die Lebensversicherer sind durch Corona besonders in der Kapitalanlage betroffen, da die Zinsen weiter im Keller bleiben.

Gleichzeitig erfordern Staatsanleihen und Zinstitel kein Zurückhalten von Eigenmitteln und stärken so die Solvency-II-Quoten. Ein Spagat für die Anbieter. „Zwar ist das Zinsniveau seit Jahresbeginn etwas gestiegen, eine nachhaltige Trendumkehr können wir darin aber noch nicht erkennen“, sagt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata. „Diese Einschätzung teilt auch die Mehrheit der von uns ku?rzlich befragten Kapitalanleger, die die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen zum Jahresende 2021 weiterhin nahe Null erwarten.“

Neuanlage: Gefahr bei Unternehmensanleihen

Trotz niedriger Zinsen bleiben Staatsanleihen bei der Neuanlage weiter begehrt, was vor allem ihrer entlastenden Wirkung auf die Solvency-II-Quoten zuzuschreiben ist. Auch Immobilien und Unternehmensanleihen haben die befragten Asset Manager im Visier. Doch vor allem in Unternehmensanleihen (Corporate Bonds) sehen sie Analysten ein steigendes Risiko. Die Pandemie würde Spuren bei vielen Unternehmen und Branchen Spuren hinterlassen.

Die Gefahr von Downgradings oder sogar Ausfällen bei Unternehmensanleihen steige daher an. „Letztlich muss genau bewertet werden, ob das Risiko bei Unternehmensanleihen noch adäquat entlohnt wird und ob die Anlagen weiterhin den Richtlinien in der Kapitalanlage entsprechen“, meint Heermann. Rutscht eine Anleihe, durch ein Downgrade in den „non-investment-Grade“ Die Unternehmen versuchen ihre Kapitalanlage immer stärker zu diversifizieren.

Immobilien, Infrastrukturprojekte oder Private Equity und Private Debt sollen die Strukturen auf breitere Beine stellen und neue Ertragsquellen auftun. Doch das erfordert Know-how. Assekurata nannte eine „hohe Investmentkompetenz“, neben einer starken Bilanz und einem „glücklichen Händchen“ bei der Titelauswahl, als wichtigsten Erfolgsfaktor beim Umbau der Kapitalanlage. „Hier sind die Voraussetzungen in den Unternehmen sehr unterschiedlich.

Während regionale Immobilieninvestments auch noch von kleineren Lebensversicherern als Direktinvestment umgesetzt werden können, stehen spezifischere Anlagen, wie Private Equity oder überregionale Infrastrukturprojekte, meist nur großen Anbietern zur Verfügung, da sie dieses Know-how mittlerweile inhouse haben“, so Heermann. Kleineren Lebensversicherern stünden die (neuen) Asset-Klassen indirekt über Spezialfonds zur Verfügung.

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Zinszusatzreserve wirkt, neue Garantiegeneration betroffen

Ein zweiter fester Block der jährlichen Analyse ist die Entwicklung der Zinszusatzreserve (ZZR). Fazit: Sie wirkt und entlastet die Anbieter, stellt aber weiterhin eine große Herausforderung dar. Die ökonomische Entlastung wird deutlich, wenn man den durchschnittlichen Garantiezins im Bestand von 2,63 Prozent betrachtet. Dank der Zinszusatzreserve konnte dieser Zinssatz bereits auf 1,59 Prozent gesenkt bzw. ausfinanziert werden. Das nimmt enormen Druck von den Anbietern.

Dennoch sank der Referenzzins für die ZZR im Vorjahr nochmal deutlich von 1,92 auf 1,73 Prozent. Damit muss auch erstmals die Garantiegeneration von 1,75 Prozent (2012 bis 2015) nachfinanziert werden. Bleibt der Zins unverändert, fallen 2024 und 2028 auch die nächsten beiden Garantiegenerationen von 1,25 bzw. 0,9 Prozent. Der Finanzierungsdruck steigt weiter und wird den Analysten zufolge bis 2027 noch anhalten – 130 Milliarden Euro (aktuell 87 Mrd. €) wird die ZZR dann betragen.

Die ZZR entlastet, die Kapitalanlagerenditen gehen aber weiter zurück. Zur Finanzierung der ZZR müssen nach wie vor Bewertungsreserven aufgelöst werden. Das wird auch in Zukunft der Fall bleiben. Diese sind mit höheren Zinskupons ausgestattet, die in der Neuanlage nicht erreicht werden können. Die laufende Durchschnittsverzinsung geht infolge der zinsarmen Neuanlage also weiter zurück. Zuletzt von 3,08 Prozent (2019) auf 2,7 Prozent in 2020.

Die Situation wird auch durch Betrachtung der Ergebnisstruktur verdeutlicht. Hier spielt das Risikoergebnis mittlerweile eine dominante Rolle für den Rohüberschuss. 8,2 Prozent des Rohüberschusses in Relation zu den gebuchten Bruttoprämien stammen aus dem Risikoergebnis, während die Kapitalanlage hier auf 4,6 Prozent zurückging. Die Angaben gelten als 5-Jahresschnitt von 2015 bis 2019. Zum Vergleich: Im Zeitraum von 2010 bis 2014 lag dieser Schnitt noch bei 7,2 Prozent (Risikoergebnis) und 8,9 Prozent (Kapitalanlage).

Ausblick leicht negativ

Den Ausblick für die LV-Branche taxierte Assekurata bei „leicht negativ“. Faktoren dafür sind das weiter niedrige Zinsniveau, ZZR-Belastung auf den Rohüberschuss, Kapitalbedarf nach Solvency-II und auch die ungewisse politische Zukunft mit Blick auf die Bundestagswahl. Positiv hingegen wiegen, dass die Branche trotz Corona recht stabil im Neugeschäft blieb und eine Stornowelle ausblieb, das Spar- und Anlageverhalten der Verbraucher positiv stimmt und der leichte Zinsanstieg zu Jahresbeginn etwas Luft bei der ZZR und Solvency-II verschafft, auch wenn von einer Zinswende noch keine Rede sein kann.

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