30 Stunden Bildungsaufwand wären in bestimmten Fällen vertretbar
Der Entwurf einer „Retail Investment Strategy” oder „RIS” vom Mai 2023 treibt vor allem die deutsche Maklerschaft um. Dabei geht es um Fragen der Vergütung und des Anspruchs einer unabhängigen Beratung. Kurz gesagt will die EU-Kommission verhindern, dass man sich „unabhängig“ nennt, aber von Provisionen der Anbieter abhängig macht.
Droht schon wieder ein „German Vote“?
Die deutsche Bundesregierung ist – wie in vielen anderen Themenstellungen auch – uneinig, wie sie sich zur RIS positionieren soll. Es droht wieder einmal ein „German Vote“. So wird inzwischen das Abstimmungsverhalten Deutschlands bezeichnet: Erst befasst sich die „Ampel“ zu spät und zu wenig konsensorientiert mit europäischen Rechtssetzungsinitiativen, um dann auf den letzten Metern neue Forderungen aufzustellen oder sich mangels eigener Position bei Entscheidungen zu enthalten – was zu Verschiebungen oder auch zum Scheitern von Abstimmungen führt.
Die größte Oppositionspartei CDU/CSU setzt die Bundesregierung bisher vergeblich unter Druck. Unter dem Titel „Kapitalmarkt für Kleinanleger attraktiver machen“ beantragte sie im November 2023 eine Befassung des Bundestags mit der RIS. Eine öffentliche Expertenanhörung dazu erfolgte am 21. Februar im Finanzausschuss.
Tenor des Antrags ist, dass die Vermögensbildung mit Aktien und anderen Kapitalmarktanlegen in Kleinanlegerhand gerade nicht durch neue bürokratische Pflichten und Verbote gefördert werde, im Gegenteil. Die deutsche Bundesregierung solle sich für eine liberale Vergütungspraxis im Interesse eines breiten Beratungsangebots ebenso einsetzen wie gegen den Trend vorgehen, europäischen Aufsichtsbehörden immer mehr Macht zur Marktregulierung über Level 2- und Level 3-Rechtsakte zu geben. Auch solle der Zeitdruck sowohl aus der nationalen Umsetzung als auch einer geplanten Überprüfung der RIS auf ihre Wirksamkeit hin reduziert werden.
Kompromisspapier verzichtet auf Provisionsverbote
Einige der Wünsche der Union finden bereits Berücksichtigung in einem Kompromisspapier des Europaparlaments vom Januar zur Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD, die im Rahmen der RIS geändert werden soll. So werden die von deutschen Maklern kritisierten Provisionsverbote für unabhängige Vermittler entschärft. Eine Ermächtigung der Europäischen Versicherungsaufsichtsbehörde EIOPA, durch Benchmarks die Preise von Versicherungsanlageprodukten indirekt zu regulieren und Vermittler zu aufwändigen Preisvergleichen und Kostenanalysen zu zwingen, wird abgelehnt.
Allerdings heißt das nicht, dass die IDD nun auf einem guten Weg ist, mit nur geringen Anpassungen verabschiedungsreif zu werden – im Gegenteil. In dem Kompromisspapier finden sich neue Forderungen, die in Deutschland nur mit einer erheblichen Veränderung der bisherigen Aufsichtsstruktur und damit mit Mehrkosten für Vermittler umsetzbar wären.
Viel Regelungsaufwand für wenige Spezialfälle?
Das beginnt mit neuen Regelungen für den Fall, dass Versicherungsvermittler innerhalb der EU im Auftrag von oder mit enger Beziehung zu einem Vermittler von außerhalb der EU tätig werden. Dann sollen die Aufsichtsbehörden prüfen, ob der innerhalb der EU tätige Vermittler ausreichende Personalkapazität und Knowhow vorhält oder nur als „Briefkastenfirma“ fungiert. Außerdem sollen Vermittlerunternehmen, die eine juristische Person sind und in einem anderen EU-Land tätig werden, ebenfalls überprüft werden, ob sie nur pro forma ihren Sitz in einem anderen Mitgliedsland unterhalten, beispielsweise, weil sie unangenehmen Regulierungen im Gastland entgehen und sich auf die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit berufen wollen.
Neue Berichtspflicht für Vermittler geplant
Das mögen zwar verständliche Anliegen zur Verhinderung von Aufsichtsarbeit sein, aber doch wohl eher Einzelfälle. Ganz grundsätzlich ist die grenzüberschreitende Vermittlung ein seltener Ausnahmefall, wie die EIOPA vor wenigen Wochen in einem neuen Marktstrukturbericht feststellte. Die Folge für Deutschland kann sein, dass die Industrie- und Handelskammern als Aufsichtsbehörden „aufrüsten“ und sich die personelle Aufstockung von den Vermittlern bezahlen lassen müssen, um solche Überprüfungen durchführen zu können.
Das droht erst recht, wenn ein weiterer Vorschlag der EU-Parlamentarier beschlossen werden sollte. So fordern sozialdemokratische Abgeordnete eine jährliche Berichtspflicht für alle Vertreiber an ihre Aufsichtsbehörde einzuführen zu Art und Umfang der von ihnen vertriebenen Versicherungsanlageprodukte und den zugrunde liegenden Fonds oder sonstigen Anlagen. Eine jährliche Berichterstattung und Prüfung durch die IHK wird nicht ohne eine jährliche Aufsichtsgebühr funktionieren können, die es derzeit für Versicherungsvermittler noch nicht gibt.
Schwierig könnte auch der von der liberalen Berichterstatterin Yon-Courtin eingefügte Vorschlag für eine Plattform zur Verbesserung der Finanzbildung sein. Denn als Betreiber werden nur öffentliche Institutionen wie die Aufsichtsbehörden und Zentralbanken sowie Verbraucherschutzorganisationen genannt – private Stakeholder wie zum Beispiel die Anbieter und die Vermittler von Anlagen und Versicherungsanlagen wären nur auf „ad hoc-Basis“ willkommen. Wenn man tatsächlich den Anlagevertrieb fördern will, ist es nicht die beste Idee, die Vorfeldarbeit solchen Institutionen zu überlassen, die von Natur aus eher die Risiken in den Blick nehmen und Warnungen aussprechen.
Nachhaltigkeits-Pflichtweiterbildung
Auch zur Weiterbildung gibt es ergänzende Vorschläge. Von den Grünen kommt die Forderung, dass die Mitgliedsstaaten je nach festgestelltem Kenntnisstand des Vermittlers oder Angestellten mehr als nur 15 Stunden Weiterbildung im Kalenderjahr vorschreiben. Fraktionsübergreifend wird vorgeschlagen, verbindlich mindestens sieben Stunden der gesamten Weiterbildung im Jahr für den Bereich Mindestkenntnisse zur Nachhaltigkeit, zu Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden und der Integration in den Beratungsprozess vorzusehen. Dabei vertreiben viele Versicherungsunternehmen und auch viele Versicherungsvermittler keine Versicherungsanlageprodukte.
Allerdings wirft das eine weitere Frage auf, die für Vermittler eine hohe Relevanz hat, die sowohl Versicherungen als auch Finanzanlagen vermitteln. Denn im Zuge der RIS soll eine regelmäßige Weiterbildungspflicht von 15 Stunden im Kalenderjahr in der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie MiFID II eingeführt werden. Die Frage wird künftig noch drängender als bisher schon sein, ob ein und dieselbe Weiterbildung über Geldanlagen sowohl als Versicherungs- als auch künftig als Finanzanlagenweiterbildung anrechenbar sein wird.
Kompromissvorschlag zur Weiterbildung
Was fehlt, ist eine Klarstellung zur Weiterbildungspflicht der produktakzessorischen Vermittler. Bisher sieht die IDD eine Anpassungsmöglichkeit der Weiterbildungsvorgaben „hinsichtlich Kenntnissen und Fertigkeiten“ an die spezifische Tätigkeitsart vor, insbesondere im Fall der produktakzessorischen Vermittlung. Das wird in der deutschen Praxis teilweise so ausgelegt, dass die Weiterbildung weniger als 15 Stunden sein dürfe, vielleicht sogar ganz verzichtbar sei. Unter dem Gesichtspunkt der Wettbewerbsgerechtigkeit wäre es angemessen, eine klare Aussage zu einer Stundenzahl zu treffen. Österreich hat das getan und für solche Vermittler eine Mindestzahl von fünf Stunden festgesetzt.
Ein Kompromissvorschlag für alle anderen Versicherungsvertreiber, also Mitarbeiter in Versicherungsunternehmen, Versicherungsvermittler und deren Mitarbeiter wäre folgender: Für sie sollte es wie bisher bei 15 Stunden Weiterbildungspflicht im Kalenderjahr bleiben, ohne Einschränkung auf eine bestimmte Stundenzahl zur Nachhaltigkeit oder zu Versicherungsanlagen. Im Vermittlerregister wäre getrennt zu erfassen, ob ein Vermittler nur Versicherungen oder auch Versicherungsanlagen vertreiben will – ähnlich wie es bei der dreiteiligen Registrierung für die Finanzanlagenvermittlung der Fall ist.
Sodann könnte man nur für diejenigen Versicherungsvertreiber die Versicherungsanlageprodukte vertreiben und die Kunden dazu beraten, eine eigenständige Weiterbildungspflicht von zusätzlichen 15 Stunden im Kalenderjahr zu Anlagethemen einschließlich auch der Nachhaltigkeit festsetzen. Diese wäre gleichzeitig als Weiterbildung im Finanzanlagenbereich anzuerkennen.
Lösung für die Frage einer Doppelanrechnung
Damit wäre die immer wieder auch in den FAQ der deutschen Aufsichtsbehörden diskutierte Anrechenbarkeit von Schulungen rund um das Thema Anlagen als Versicherungsweiterbildung geklärt. Vermittler, die sowohl Versicherungsanlageprodukte als auch Finanzanlagen vermitteln, müssten nicht dieselben Inhalte doppelt lernen. Umgekehrt müssten Versicherungsvermittler, die gar keine Versicherungsanlagen vertreiben und beraten, hierzu keine Weiterbildung absolvieren, sondern nur die „normale“ Versicherungsweiterbildung.
Mehr belastet wären nur diejenigen Versicherungsvertreiber, die keine Finanzanlagen, aber Versicherungsanlagen vertreiben und nach dem obigen Vorschlag insgesamt 30 Stunden Weiterbildung zu absolvieren hätten. Das allerdings wäre auch nicht mehr als die Stundenzahl, die die deutsche Brancheninitiative „gut beraten“ bis zur IDD-Umsetzung verpflichtend vorsah und bis heute noch freiwillig empfiehlt. Angesichts der Komplexität und Vielschichtigkeit von Anlagethemen über die Versicherungsthemen hinaus wäre dieser Bildungsaufwand vertretbar.