Rechtsschutz: BGH-Urteil mit Folgen für Deckungszusagen

Bei Rechtsschutzpolicen, die ja Streitfälle finanziell abfedern sollen, beginnt der Streit oft mit dem eigenen Versicherer – um die Deckungszusage. Mit einem neuen BGH-Urteil bekommen Kunden nun öfter grünes Licht. Wie das Urteil umgesetzt wird.

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09:05 Uhr | 25. Mai | 2021
Der BGH hat nicht die gesamte Klausel der ARB 2016 für unwirksam erklärt, sondern die Revision der Verbraucherzentrale zurückgewiesen, sagt Arag-Pressesprecher Klaus Danner. Bild: Arag

Der BGH hat gerade nicht die gesamte Klausel der ARB 2016 für unwirksam erklärt, sondern die Revision der Verbraucherzentrale zurückgewiesen, sagt Arag-Pressesprecher Klaus Danner. Bild: Arag

Rechtsschutzversicherungen stehen derzeit hoch im Kurs. Policen-Inhaber müssen sich keine Gedanken um Anwalts- und Gerichtskosten machen. Doch die Versicherer sehen angesichts explodierender Rechtskosten genau hin, wem sie die Deckungszusage geben und wem nicht. Einige Anbieter haben schon 2020 die Beiträge angehoben, andere werden folgen, weil sie nicht profitabel arbeiten.

In den Streit, wann eine Deckungszusage zu geben ist und wann nicht, hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) eingeschaltet. Danach muss der Kunde bei der Begründung für den Rechtsschutzfall keine gegnerischen Argumente mehr anführen. Eine solche Klausel benachteiligt ihn nach Treu und Glauben, entschied der BGH mit Urteil vom 31. März 2021 (Az.: IV ZR 221/19).

Gegnerische Meinung zählt nicht mehr 

Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen gegen eine Klausel der Arag Rechtsschutzversicherung in den ARB 2016, die bei der zeitlichen Bestimmung des Rechtsschutzfalls unter anderem auch darauf abstellte, welche Argumente der Gegner über den Zeitpunkt des Streitfalls vorbringt. Darin sahen die Verbraucherschützer die Gefahr einer „uferlosen Rückverlagerung" des Streitfalls, der den Rechtsschutz aushöhlen könnte, wenn der Schaden vor Beginn des Versicherungsschutzes verlegt wird.

Das sah der BGH genau so und erklärte den Klausel-Halbsatz „und den Gegner“ für unwirksam, den Rest der Klausel aber für in Ordnung. Bislang lautete die Klausel (in Paragraf 4) so:

Sie haben Anspruch auf Versicherungsschutz, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Diesen Anspruch haben Sie aber nur, wenn der Versicherungsfall nach Beginn des Versicherungsschutzes und vor dessen Ende eingetreten ist. Der Versicherungsfall ist ... (c) in allen anderen Fällen der Zeitpunkt, zu dem Sie oder ein anderer (zum Beispiel der Gegner oder ein Dritter) gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften verstoßen hat oder verstoßen haben soll. Hierbei berücksichtigen wir alle Tatsachen (das heißt konkrete Sachverhalte im Gegensatz zu Werturteilen), die durch Sie und den Gegner vorgetragen werden, um die jeweilige Interessenverfolgung zu stützen.“

Auch andere müssen Klausel anpassen

Michael Otto, Inhaber von Otto Assekuranzmakler KG in Isernhagen, sieht darin eine Verbesserung des Kundenschutzes, da „der Gegner im Streitfall naturgemäß immer eine andere Sicht auf die Dinge hat, den Schadenzeitpunkt zudem nach vorn verlagern und so den Rechtsschutz des Versicherten aushöhlen könnte“. Wichtig sei, dass nun Arag, wie vom BGH gefordert, seine "Kunden über die Unwirksamkeit der Klausel informiert und andere Anbieter das BGH-Urteil zur Anpassung ähnlicher Klauseln nutzen“, so Otto weiter, der auch 1. Stellvertretender Vorsitzender der Interessengemeinschaft Deutscher Versicherungsmakler ((IGVM) ist.

„Wir setzen die gerichtliche Anforderung selbstverständlich um und regulieren auch entsprechend“, sagt Christian Danner, Pressesprecher der Arag SE. Die Streichung der drei Worte „und den Gegner“ habe man sofort nach der BGH-Entscheidung vorgenommen und auch auf der Internetseite über den Ausgang des Verfahrens informiert sowie die geänderten ARB mit der gestrichen Passage hinterlegt. „Über die Streichung der drei Worte informieren wir die betroffenen Kunden bereits, beispielsweise per E-Mail“, so Danner auf Nachfrage von procontra weiter. Maklerkunden würden dabei ebenfalls „direkt von uns benachrichtigt“. Parallel habe man die Maklerpartner unmittelbar nach der BGH-Entscheidung über die Streichung der drei Worte per Newsletter informiert.

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Arag informiert, sieht aber keine praktischen Auswirkungen

Danner legt Wer auf die Feststellung, dass der BGH gerade nicht die gesamte Klausel für unwirksam erklärt hat, sondern die Revision der VZ NRW zurückwies, dieser 75 Prozent der Verfahrenskosten auferlegte und das erstinstanzliche Urteil des LG Düsseldorf bestätigte. Arag glaubt, dass sich das Urteil praktisch nicht auswirkt und daher in der „eigenständigen und unabhängigen Maklerberatung keine besondere Rolle spielen wird“.

Das sieht die IGVM völlig anders. „Hier wird versucht, die Auswirkungen zu verniedlichen und Verbraucher womöglich in die Irre zu führen“, sagt Otto. Er verweist auf das Urteil des OLG Düsseldorf als Vorinstanz, wo Arag noch argumentiert hatte, dass die Klausel nicht zu beanstanden sei, weil ein berechtigtes Interesse besteht, „Vorgeschehen aus der Zeit vor Geltung des Versicherungsschutzes bei der Frage, ob sich ein Versicherungsfall innerhalb der zeitlichen Grenzen des Versicherungsschutzes ereignet habe, zu berücksichtigen und Zweckabschlüssen entgegenzutreten“ (Az.: 20 U 111/18).

IGVM warnt vor Verniedlichung des BGH-Urteils

Wenn sich durch die Streichung der drei Worte nun praktisch gar nichts ändert, stellt sich für Otto die erstens die Frage, warum diese in die ARB 2016 aufgenommen wurden (in ARB 2015 waren sie nicht enthalten), und zweitens, warum bis zum BGH gestritten wurde und dadurch auch Versichertengeld verpulvert wurde. „Man hätte diesen Streit nach dem Urteil des LG Düsseldorf bereits für erledigt erklären können“, so der IGVM-Vize.

Die IGVM testet auch die Marktwirkung des BGH-Urteils und hakte bei anderen Rechtsschutzversicherern nach. Ergebnis der Stichprobe: „Selbstverständlich legen wir unsere ARB rechtsprechungskonform aus und berücksichtigen dabei auch das zitierte Urteil. Unsere ARB werden dementsprechend überarbeitet“, heißt es vom Makler-Competence-Center der Roland Rechtsschutz-Versicherung.

Auxilia sieht sich nicht betroffen

Anders bei der KS/Auxilia. „Die Auxilia hat eine andere Formulierung in ihren ARB als der entsprechende Mitbewerber, so dass eine Änderung unserer Regulierungspraxis bei der Bestimmung des Rechtsschutzfalles für die ARB 2016 aufgrund des BGH-Urteils nicht angezeigt ist“, ließ die Bezirksdirektion Hannover den Makler wissen.

Das ist eine kühne Behauptung, wie der Blick in die Auxilia-Bedingungen zeigt. Dort steht in Paragraf 4, dass bei Anspruch von außergerichtlichen oder gerichtlichen Forderungen des Versicherungsnehmers nicht nur die von ihm vorgetragenen oder behaupteten Verstöße der Gegenseite zu berücksichtigen sind, "sondern auch die von der Gegenseite im Wege der Anspruchsabwehr vorgetragenen oder behaupteten Verstöße des Versicherungsnehmers“.

Concordia hat bindende Arbeitsanweisungen erteilt

Klar positionierte sich dagegen die Concordia, die „viele Rechtsschutzversicherer von der BGH-Entscheidung betroffen“ sieht, auch sich selbst. Die Schadenregulierung orientiere sich ab sofort an der BGH-Entscheidung. „Alle Sachbearbeiter unseres Schadenabwicklungsunternehmens wurden per bindender Arbeitsanweisung instruiert“, heißt es aus der Rechtsschutzabteilung der Concordia Versicherungs-Gesellschaft.

Parallel dazu trage man aber auch Risikoträger und Bedingungsgeber den BGH-Vorgaben Rechnung. „Wir werden unsere aktuellen ARB zeitnah überarbeiten und pflichtgemäß auch alle Bestandskunden, die von der einkassierten Teil-Regelung der ARB betroffen sind, über deren Nichtgeltung informieren“, so die Information an den Makler. Dazu werde es - wie in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit - einen Hinweis in den jährlichen Beitragsrechnungen geben.

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