Gastbeitrag

Wirecard-Skandal: Muss die D&O-Versicherung bei Vorsatz leisten?

Im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal ist oft die Frage diskutiert worden, ob D&O-Versicherer bei vorsätzlicher Strafbegehung überhaupt leisten müssen. Hierzu äußert sich in unserem Gastbeitrag Andreas Heinsen, Geschäftsführer und Rechtsanwalt bei der Allcura 4VS GmbH.

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11:08 Uhr | 26. August | 2024
Rechtsanwalt Andreas Heinsen

Andreas Heinsen, Geschäftsführer und Rechtsanwalt bei der ALLCURA 4VS GmbH, ist Experte für D&O-Versicherungen.

| Quelle: ALLCURA 4VS GmbH

Versicherungen wollen nicht mehr für Wirecard-Manager zahlen – unter dieser Überschrift berichtete procontra dieser Tage über jüngste Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Bilanzskandal. Nach Informationen des Handelsblatts stehen offenbar 17 ehemalige Wirecard-Manager vor dem finanziellen Ruin. Ihre D&O-Versicherungen mauern, wollen für Anwaltskosten und Schadenersatzforderungen nicht mehr aufkommen. Der Hauptgrund: Die Deckungssumme des Grundversicherers Chubb von 15 Millionen Euro ist aufgebraucht, und die anderen Gesellschaften aus dem D&O-Versicherungskonsortium verweigern die Zahlung.

Laut Handelsblatt hatte Chubb schon früher seine Zahlungen einstellen wollen. Der US-Versicherer begründete das mit dem Verdacht, dass der Hauptangeklagte, Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, von den Bilanzfälschungen gewusst und sich strafbar gemacht habe. Ein Gericht wies dieses Ansinnen jedoch zurück.

Die Learnings aus dem Wirecard-Skandal

Andreas Heinsen, Geschäftsführer und Rechtsanwalt bei der Allcura 4VS GmbH, einem Hamburger Konzeptmakler, äußert sich für procontra in einem Gastbeitrag zu den Hintergründen und erklärt, welche Learnings die Versicherungsbranche aus dem Wirecard-Fall ziehen kann.

„Normalerweise erreichen D&O-Schäden nicht die Publizität der Gerichte, da die Versicherer – wie der Teufel das Weihwasser – vermeiden wollen, sich Grundsatzurteile zu ihren teilweise innovativen und an den VVG-Regelungen schrammenden Klauseln einzufangen.

Hier ist es anders, weil sich die Versicherer ,unterschwellig‘ aufgrund des vorgeworfenen milliardenschweren Betrugskomplexes wohl aufgefordert sahen, die Leistungen aus dem D&O-Vertrag zumindest für die höchste Vorstandsriege grundsätzlich wegen Vorsatzes zu verweigern. Diesem Ansinnen erteilten die Gerichte zu Recht eine klare Absage.

Erstmal müssen Versicherer zahlen

So hat das OLG Frankfurt am Main bereits 2021 im einstweiligen Verfügungsverfahren eine deutlich formulierte Leistungsverfügung gegenüber dem D&O-Versicherer erlassen. Versicherer müssen Verteidigungskosten im Zuge eines geführten Ermittlungsverfahrens vorläufig übernehmen, obwohl der Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzt.

Er hat auch vorläufigen Abwehrkostenschutz zu gewähren, bis eine wissentliche oder vorsätzliche Pflichtverletzung durch ein rechtskräftiges Zivil- oder Strafurteil festgestellt ist, so wie es die AVB auch beinhalteten. Das OLG hatte in diesem Zusammenhang auch klargestellt, dass es einem Versicherer bis dahin auch versagt ist, sich auf einen Ausschluss wegen arglistiger Täuschung zu berufen, was neben behaupteten Obliegenheitsverletzungen eine Standardeinlassung der Versicherer darstellt.  

Frage von Schuld und Regress

Die Frage von Schuld und Regress wegen vorsätzlicher Strafbegehung stellt sich zum Zeitpunkt der Deckungsentscheidung nicht und würde den Versicherungsschutz auch völlig aushöhlen. Diese Prüfung erfolgt nach rechtskräftiger Verurteilung auf Basis der vereinbarten Regressregelungen, die zum Beispiel Regressverzichte bei Strafbefehlen und sogar bedingten Vorsatzverurteilungen vorsehen können, wie augenscheinlich auch im Diesel-Verfahren von Audi – zumindest riecht der Geständnis-Deal mit dem Gericht sehr stark danach. 

Auch bei den Kosten für spezialisierte Presserechtler zeigte sich das OLG wenig nachsichtig mit den AVBs des Versicherers. Es kommt nicht darauf an, ob die Berichterstattung sich mit dem Versicherungsfall einer konkreten zivilrechtlichen Inanspruchnahme befasse oder sich auf den durch das Ermittlungsverfahren ausgelösten Versicherungsfall beziehe. Bei verständiger Auslegung der AVB soll gerade Schutz vor existenzieller Beschädigung des Ansehens im Zusammenhang mit strafrechtlichen Vorwürfen gewährt werden, es wird dem Versicherten ausdrücklich umfassender Reputationsschutz zugesagt, der bis zum Sublimit auch zu leisten ist.

Bei der Deckungssumme von 15 Millionen Euro des führenden Versicherers – bisher nur für die Abwehrkosten von 17 Verfahrensbeteiligten verbraucht – zog der nachfolgende Versicherer für seine 10 Millionen Euro Deckungslinie erfolgreich die Serienschadenklausel, eine Berufung wurde wegen fehlender Erfolgsaussichten zurückgenommen.

Wer bekommt welche Kosten erstattet?

Dieser Fall zeigt, welche Komplexität eine in seinen Leistungen aufgeblähte D&O-Police hat. Gerade bei den Innenhaftungsfällen steht das Abwehrinteresse des Managements immer im Vordergrund und wenn - wie hier - sehr viele Beteiligte im Fokus von Straf- und Zivilverfahren stehen, dann ist die Deckungssumme sehr schnell verbraucht.

Eine Strafrechts-Rechtsschutzleistung im D&O-Vertrag kann man aus vielfältigen Gesichtspunkten kritisch sehen. Nur wenige wissen, dass alle Abwehrkosten aller Versicherten auf die Deckungssumme angerechnet werden, die dann für Entschädigungszahlungen im Laufe des Verfahrens immer mehr an Wert verliert. Und wer bekommt welche Kosten erstattet, wenn der Topf zur Neige geht? Gilt das Windhundprinzip des schnellsten Rechnungsstellers oder eine Kopfquotelung? Hoch strittig und komplex.

Nicht auf D&O-Policen alleine verlassen

Als die Deckungssumme erschöpft war, haben sich auch die ersten Anwälte von Bord gemacht, ohne Geld keine Rechtsvertretung. Daher ist mein Plädoyer und dies sollte eigentlich auch das Interesse der versicherten Unternehmen und deren Leistungsinteresse auf die möglichst ungeschmälerte Deckungssumme sein, den strafrechtlichen Teil aus der D&O-Police zu entkoppeln, auch wegen der möglichen Interessenkollisionen von Straf- und Zivilverfahren, die hier mit dem Vorsatzvorwurf aufgrund der Untersuchungshaft auch zu Tage getreten ist.

Vorständen ist weiterhin zu empfehlen, sich nicht nur auf die D&O-Unternehmenspolice zu verlassen, sondern ergänzenden individuellen Deckungsschutz zumindest für die strafrechtlichen Abwehrkosten - dies ist dann klassisch Rechtsschutz - einzukaufen bzw. auch über ihre Anstellungsverträge und den Anstellungsvertrags-Rechtsschutz zu regeln."