BU-Serie (VI): Die Krux mit dem Vergleich von BU-Tarifen
„Ein Drittel bis die Hälfte der getesteten BU-Tarife wird sehr gut oder exzellent bewertet und auch die Anzahl der Testsiegel hat sich inflationär entwickelt“, kritisiert Versicherungsmakler Bert Heidekamp, zugleich Analyst und Sachverständiger für BU-, Unfall- und Pflegeversicherungen. Das führe zunehmend zu Verunsicherung, statt Vertrauen oder Orientierung zu geben.
Nicht zuletzt deshalb hat Heidekamp auch die Online-Plattform fairtest.de gegründet, die Versicherungsbedingungen analysiert und bewertet. „Ich konzentriere mich in diesem Presseartikel auf andere Ratings und Vergleiche, die von Maklerkollegen vielfach unkritisch als heiliges Expertenwissen verwendet werden“, weiß Heidekamp aus Erfahrung.
Jedes Ratingergebnis sei subjektiv zu betrachten, das gelte auch für die Ergebnisse von fairtest.de. „Jeder Vermittler setzt Prioritäten, doch je weniger Spezialwissen, desto größer die Gefahr falscher Prioritäten“, so der BU-Sachverständige. Er wisse aus Gesprächen, dass es für manchen Vermittler viel wichtiger ist, dass im BU-Bedingungswerk keine Ausschluss-Klausel für Vorsatzdelikte im Straßenverkehr enthalten ist als eine Arbeitsunfähigkeits-Klausel (procontra berichtete).
Mehrere Ratings im Blick behalten
Oder dass die Anzahl der Nachversicherungsmöglichkeiten wichtiger ist als die damit verbunden Voraussetzungen. Oder wer künftig die Möglichkeit des Einschlusses der neuen Teilzeitklausel nicht berücksichtigt (procontra berichtete), könnte im BU-Fall benachteiligt werden. Oft würden Tarife selektiert, ohne die Wünsche des Kunden zu kennen und „nicht selten blind die Ergebnisse eines Ratings oder Vergleichs übernommen“, warnt Heidekamp. Einen Ausweg sieht der Experte darin, die Ergebnisse von beispielsweise fünf unterschiedlichen BU-Ratings zu summieren. „Es könnte ein Anhaltspunkt sein, dass ein Tarif gut ist, wenn er überall Bestnoten erhalten hat“, so der Makler.
Bei vielen Vergleichen steht der Beitrag laut Heidekamp im Vordergrund. Dies könnte langfristig den Versicherern, Vermittlern und letztlich den Kunden schaden. „Vermittler, die allein über einen Prämienvergleich arbeiten, haben ihren Beruf verfehlt“, stellt Heidekamp klar. Wer zum Beispiel für fünf Euro Beitragsersparnis Lücken im Versicherungsschutz riskiert, habe vielleicht schnellen Umsatz, aber später einen Haftungsprozess am Hals. Die Versicherer sind da nicht ganz unschuldig, förderten sie doch Umsätze über Provisionstreiberei und unterstützten noch heute Ratings, die den Preisvergleich in den Vordergrund stellen.
„Kunden kündigen zum Teil sehr gute Bestands-Tarife über Clark & Co., um sich dort günstiger neu zu versichern“, hat Heidekamp beobachtet. Viele hätten dabei nachweisbar wichtige Klauseln in ihren BU-Bedingungen nicht mehr versichert. „Qualität ist nicht alles, aber ohne Qualität ist alles nichts“, hat Professor Hans-Peter Schwintowski, ausgewiesener Experte für Privatversicherungsrecht, Humboldt-Universität zu Berlin, anlässlich der Verleihung von Qualitäts-Awards in der Pflegeversicherung 2018 gesagt, als er über die Risiken von Prämienvergleichen sprach (procontra berichtete).
Seite 1: Mehrere Ratings im Blick behalten Seite 2: Qualitätsunterschiede trotz sehr guten Ratings Seite 3: Ansprüche der jeweiligen Zielgruppe kaum in Ratings abgebildet
Eine Lösung könnte sein, dass man nur die Bedingungsqualität vergleicht. Am Ende müsse zwar der Kunde zahlen, aber die Qualität stehe im Vordergrund. „Statt dem Kunden eine Kaufempfehlung zu geben, ist es meist besser, den Kunden entscheiden zu lassen, denn nicht selten wird für sehr guten Schutz gern mehr investiert, wenn man es richtig erklärt“, so die Erfahrung des Spezialmaklers.
Ratingagenturen, die Bedingungen testen, nutzen dazu bestimmte wichtige Bewertungsfragen, die sich als Marktstandards herausgebildet haben. Bei Morgen & Morgen etwa sind dies im Teil-Rating BU-Bedingungen, das zu 40 Prozent in die Gesamtwertung eingeht, allein 16 Fragen, deren Antworten erhebliches Gewicht für die Bewertung haben, bei Franke und Bornberg 20 Mindeststandards.
Heidekamp geht teilweise noch weiter in die Tiefe, etwa durch die fairtest-Berufsgruppenbestimmung, da „manche Klausel für eine bestimmte Berufsgruppe wichtiger ist als für andere Gruppen“, so Heidekamp. Aus der Vielzahl wichtiger Bewertungsfragen zum BU-Tarifvergleich pickte er zwei Beispiele heraus, die in der Praxis zu Problemen führen können.
Beispiel 1: Rückwirkende Leistung für drei Jahre
Meldet der Kunde die BU verspätet, zahlt der Versicherer maximal bis zu drei Jahre rückwirkend. Diesen Punkt fand Finanztest in der Juli-Ausgabe 2019 wichtig. Die AachenMünchener, deren Tarif SBU (04.19) insgesamt sehr gut benotet wurde (1,3), zahlt BU-Leistungen grundsätzlich erst mit Beginn des Monats der Mitteilung, maximal drei Jahre rückwirkend.
Anders bei der Condor, deren Tarif SBU Comfort (01.2019) etwas schlechter bewertet wurde (ebenfalls sehr gut, Note 1,4). Dort gilt: Ist die versicherte Person sechs Monate ununterbrochen infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, mindestens zu 50 Prozent außerstande gewesen, ihren Beruf auszuüben, gilt dieser Zustand von Beginn an als BU. „Das ist eine deutlich kundenfreundlichere Klausel, die sich in erheblichem Unterschied an BU-Leistung niederschlagen kann“, weiß Heidekamp.
Ein Leistungsbeispiel zeigt den Unterschied
Beispiel: Eine Zahnarzthelferin hatte mit gleich zwei BU-Policen gegen Berufsunfähigkeit vorgesorgt. Wegen Kreditverpflichtungen arbeitete sie über Monate unter Einnahme von Schmerztabletten und regelmäßiger Physiotherapie weiter, obwohl sie eigentlich krank war. Diesen Zustand nennt man „Überobligation“. „Die Frau erhielt schließlich rückwirkend neun Jahre BU-Leistung von einem Versicherer und nur drei Jahre vom anderen, weil eine entsprechende Klausel dort eine rückwirkende Zahlung auf drei Jahre begrenzt“, berichtet Heidekamp. Überobligation sei kein Einzelfall, besonders bei Selbständigen.
Beispiel 2: BU, wenn Rententräger volle EU bescheinigt
Eine andere wichtige Bewertungsfrage bei BU-Bedingungen für Finanztest lautete: Erkennt die gesetzliche Rentenversicherung allein aus medizinischen Gründen eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung an, wird dies – teils altersabhängig – als Berufsunfähigkeit gewertet. „Das ist in der Tat gut so, wenn der BU-Versicherer so verfährt“, bestätigt Heidekamp. Gleichzeitig kritisiert er, dass BU-Tarife in der Juli-Ausgabe 2019 sehr gut bewertet werden, obwohl sie da inhaltlich meilenweit auseinander liegen.
Die Barmenia, deren Tarif SBU (01.18) insgesamt sehr gut benotet wurde (1,0), erkennt den BU-Fall wie oben beschrieben an. Die Hannoversche dagegen, deren Tarif SBU 19 (04.2019) ebenfalls sehr gut abschnitt (Note 0,8), hat dazu überhaupt keine Klausel. Dasselbe gilt für die Huk-Coburg, deren Tarif SBU Premium 2017.1 V4 (01.18) auch sehr gut bewertet wurde (1,2), aber ebenfalls dazu keine Regelung enthält. Im Ernstfall muss der Kunde dann trotz voller Erwerbsminderung um BU-Leistung streiten“, weiß Heidekamp. Und das schlage sich nicht mal in einer schlechteren Bewertung nieder. Nahezu jede BU-Untersuchung von Finanztest steht auch wegen solcher fachlichen Schwächen in der Kritik (procontra berichtete).
Leistungsbeispiel zeigt auch hier den Unterschied
Beispiel: Bei einem KFZ-Meister (53) hatte das Versorgungsamt einen Grad der Behinderung von 100 festgestellt. Der Mann konnte sich nicht mehr eigenständig versorgen und bezog volle gesetzliche Erwerbsunfähigkeitsrente. Dennoch verweigert die AachenMünchener die BU-Leistung, weil der Vertrag die oben genannte Klausel nicht enthielt. „Doch der Tarif war in der Vergangenheit regelmäßig sehr gut bewertet worden“, so Heidekamp. Zwar habe der Versicherer in neueren Bedingungen nachgebessert, doch wenn sich Vermittler zu jener Zeit am Rating orientierten und danach solche oder ähnliche Tarife vermittelten, könnte späte Haftung drohen.
Seite 1: Mehrere Ratings im Blick behalten Seite 2: Qualitätsunterschiede trotz sehr guten Ratings Seite 3: Ansprüche der jeweiligen Zielgruppe kaum in Ratings abgebildet
„Die BU-Versicherung ist eben ein hochkomplexes Produkt und die alleinige Orientierung an ‚Ratingnoten‘ wie in der Schule kann im Leistungsfall zu bösen Überraschungen führen“, warnt der Sachverständige. Fehlende oder unzureichend bewertete Klauseln in einem Rating können zu erheblichen Nachteilen führen. „Die Ansprüche der jeweiligen Zielgruppe kann der Makler nur in der Einzelberatung herausarbeiten“, so Heidekamp, denn im Rating fehlt es meist an spezifisch zugeordneten Fragen und Bewertungen.
Makler sollten bei der Verwendung von Ratingergebnissen dokumentieren, wenn das verwendete Rating nicht nachgeprüft wurde, weder die zugrunde gelegten Daten noch deren Bewertung. „Keinem noch so guten Rating oder Vergleichsprogramm sollte der Makler blind vertrauen, denn die Folge kann eine höhere Haftung bedeuten“, weiß Heidekamp. Vielen Kollegen sei nicht bekannt, dass der Vermittler durch Verwendung von Ratings und Vergleichsanalysen seinen Pflichtenkreis und somit die Haftung vergrößert. „Deswegen muss er dokumentieren, dass er die Ergebnisse nicht geprüft hat, um die Haftung wieder zu reduzieren“, erklärt der Sachverständige.
Die bisherigen Teile der Serie
Zur Chronologie der sechsteiligen BU-Serie, die hiermit endet: Im ersten Teil ging es am 18. Juli um die innovative Teilzeitklausel, die es Teilzeitbeschäftigten ermöglicht, im BU-Fall faire Leistung zu bekommen. Im zweiten Teil stand am 25. Juli die Kindervorsorge im Mittelpunkt. Teil drei befasste sich am 1. August mit der Beitragsfreiheit der Altersvorsorge im BU-Fall, Teil vier am 8. August mit Problemen zwischen BU- und Krankentagegeld-Schutz bei längerer Arbeitsunfähigkeit. In Teil fünf am 15. August stand der BU-Fall im Mittelpunkt.
Seite 1: Mehrere Ratings im Blick behalten Seite 2: Qualitätsunterschiede trotz sehr guten Ratings Seite 3: Ansprüche der jeweiligen Zielgruppe kaum in Ratings abgebildet