Versicherungsbranche kritisiert EU-Regularien

„Nachhaltigkeitsberichte sollten keine Datenfriedhöfe sein“

Der Regulierungswillen seitens der Europäischen Union wird von der Versicherungswirtschaft immer wieder kritisiert. Besonders die Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung bereitet der Branche Kopfzerbrechen. Zu Recht?

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12:10 Uhr | 10. Oktober | 2023
Versicherungsbranche kritisiert EU-Regularien  „Nachhaltigkeitsberichte sollten keine Datenfriedhöfe sein.“

Die Versicherungsbranche beklagt die Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung. Diese würden Unternehmen überfordern und zu Datenfriedhöfen führen.

| Quelle: stu99

Immer wieder stöhnt die Versicherungsbranche über Regeln, die ihr sowohl hierzulande als auch auf europäischer Ebene auferlegt werden. Ein Stein des Anstoßes bestehen beispielsweise in den Nachhaltigkeitsberichten, also in der sogenannten CSR-Berichtspflicht.

Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) beklagt, die Pflicht würde auch kleinere und mittlere Unternehmen treffen. Für sie sei der Aufwand für ein solches Reporting, in dem sie Auskunft über ihre Nachhaltigkeitsstrategie geben sollen, schlicht hoch. Zu hoch. Oder wie es der GDV ausdrückt: „Fehlende proportionale Lösungen erschweren KMU-Versicherern die Anwendung der CSRD“, hieß es am Dienstag bei einem Mediengespräch des GDV in Berlin.

Hinter der Abkürzung verbirgt sich die Corporate Sustainability Reporting Directive, die vor einem Jahr vom EU-Parlament umfassend überarbeitet worden und seit Januar 2023 in Kraft getreten ist. Die EU verfolgt damit das Ziel, Finanzströme in nachhaltige Investitionen lenken.

Kritik an One-Fits-All-Anforderungen

Wenngleich der Lobbyverband der Versicherungsbranche die Berichterstattung für relevant hält, bemängelt er jedoch den damit verbundenen Aufwand. Demnach müsse ein kleiner regionaler Versicherungsverein mit elf Angestellten und einem Umsatz von knapp 60 Millionen Euro genau die gleich Detailtiefe im Reporting bedienen und sei gleichen Standards unterworfen wie ein global agierender Dax-Konzern mit über 600.000 Angestellten und einem vierfach so hohen Umsatz.

„Kleine Unternehmen werden wie große Unternehmen eingestuft, sie müssen die gleichen Standards erfüllen. Aber wie groß ist deren Einfluss auf Nachhaltigkeit wirklich?“, fragt Christoph Jurecka, Vorstandsmitglied und CFO der Münchener Rück und Vorsitzender des GDV-Regulierungsausschusses . Aber stimmt das so überhaupt?

Ein Blick in die Regelungen zeigt: Die Einführung erfolgt gestuft nach Unternehmensgröße. Börsennotierte Kleinstunternehmen sind von der Berichtspflicht, die ab Januar 2024 gelten und bis April 2025 vorliegen soll, ausgenommen.

Unternehmen, die zwei der folgenden drei Kriterien erfüllen, müssen erst für das Berichtsjahr 2025 das Reporting veröffentlichen:

  • Unternehmen mit einer Bilanzsumme von mindestens 20 Millionen Euro

  • Nettoumsatzerlöse von mindestens 40 Millionen Euro

  • Durchschnittliche Beschäftigtenzahl von mindestens 250

Berichterstattung ab 2025 für das Geschäftsjahr 2024

Unternehmen, die bereits unter die vorherige Non Financial Reporting Directive NFRD fallen

Berichterstattung ab 2026 für das Geschäftsjahr 2025

Unternehmen mit beschränkter Haftung sowie Versicherungsunternehmen und Kreditinstitute, die mindestens zwei der folgenden drei Größenkriterien erfüllen

  • 40 Millionen Euro Umsatz

  • 20 Millionen Euro Bilanzsumme

  • 250 Mitarbeitende

Berichterstattung ab 2027 für das Geschäftsjahr 2026

  1. Börsennotierte kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU), sogenannte nicht-komplexe Kreditinstitute und firmeneigene (Rück-)Versicherungsunternehmen

  2. Dabei gelten Ausnahmeregelungen für sogenannte Kleinstunternehmen, welche zwei der drei folgenden Größenkriterien unterschreiten:

    • 700.000 Euro Umsatz

    • 350.000 Euro Bilanzsumme

    • 10 Mitarbeitende

Berichterstattung ab 2029 für das Geschäftsjahr 2028

Nicht-EU-Unternehmen mit Niederlassungen oder Tochterunternehmen in der EU; sofern sie einen Umsatz von über 150 Millionen Euro in der EU erzielen

Kleine und mittlere börsennotierte Unternehmen müssen erst für das Berichtsjahr 2026 ein CSR vorlegen. Richtig ist auch, dass die Angaben, die Unternehmen dann machen müssen, äußerst detailliert sein müssen. „Dichte und Fülle der Berichtsanforderungen überfordern die Unternehmen“, so Jurecka. Er fordert, dass bei der Berichterstattung nur diejenigen Inhalte in den Fokus genommen werden sollten, die nachweislich zu mehr Nachhaltigkeit führen, vor allem mit Blick auf den Klimawandel. „Nachhaltigkeitsberichte sollten keine Datenfriedhöfe sein.“

Deutschland: Ein Land der KMU

Er stellt allerdings auch die Wirkung in puncto Nachhaltigkeit, die kleine Unternehmen haben können, in Frage. „Es macht keinen Sinn, dass ein kleiner Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit mit einer Handvoll Beschäftigten die gleichen Anforderungen erfüllen muss wie ein DAX-Konzern“, kritisierte Jurecka. Allerdings zählte nach Angaben des Statistischen Bundesamts mit knapp 3,2 Millionen im Jahr 2021 die deutliche Mehrheit der Unternehmen in Deutschland zu den kleinen und mittleren Unternehmen. Dabei sind die meisten KMU im Bereich Handel tätig. In Summe ist die Wirkung der kleinen und mittleren Unternehmen folglich nicht zu unterschätzen. Wenngleich also die Argumentation des Vorstands an der Stelle nicht ganz trägt, bleibt die Tatsache, dass die neue Berichtspflicht Unternehmen einiges abverlangt, bestehen.

Zumal die vom GDV genannten Einwände ebenfalls eine gewisse Bewandtnis haben: Warum sollte sich ein Rechtsschutzversicherer hinsichtlich seines Versicherungsbestands mit dem Thema Kreislaufwirtschaft beschäftigen? Ist es für jeden Versicherer von Relevanz, dass er über Arbeitsunfälle berichten muss? Der Verband sorgt sich, dass die Besonderheiten der Versicherungswirtschaft in den EU-Regularien nicht abgebildet werden. Zudem droht ein doppelter Aufwand, weil es noch keine sektorspezifischen Standards gebe. „Wir sollten warten, bis Standards festgelegt sind“, fordert auch Jurecka. Erst dann lassen sich die Berichte auch vergleichen.