Welche Sanktionen drohen Lebensversicherern bei Verstößen?
Eine Handvoll Lebensversicherer visiert die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) aktuell mit dem Fadenkreuz an. Konkret prüft sie jene Anbieter, deren Effektivkosten und Abschlussprovisionen am höchsten ausfallen. Die Forderungen an die Versicherer haben die Finanzaufseher im aktuellen Merkblatt zu „wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten“ kürzlich offiziell formuliert. Und die haben es durchaus in sich. Demnach sollen die Anbieter eine bestimmte Rendite gewährleisten, die Produktkosten, sowie die Beratungs- und Vertriebsvergütungen überprüfen, dabei auch die Rückvergütungen (Kickbacks) unter die Lupe nehmen und die Stornowahrscheinlichkeit avisieren.
Wie genau die BaFin ihre Forderungen indessen durchsetzen will und womit Versicherer bei Verstößen rechnen müssen, lässt das Merkblatt zunächst offen. Die Behörde erklärt darin lediglich, sie prüfe nur die Beachtung der Vorgaben zum Produktfreigabeverfahren. Eine Produktregulierung erfolge nicht. „Wir haben erst einmal die aufsichtliche Erwartungshaltung formuliert“, räumt BaFin-Sprecher Norbert Pieper ein. „Der Aufsichtsansatz der BaFin ist nicht mehr Teil des Merkblatts, sondern soll gesondert dargestellt werden.“ In den kommenden Wochen wolle sich die Behörde dazu genauer äußern.
Sanfter Druck: Gespräche statt Drohgebärden
Welche Unternehmen aktuell im Prüfungsverfahren stehen, will Pieper nicht sagen. Er betont, die BaFin wolle mit ihren Forderungen nicht dem Geschäft der Versicherer schaden, sondern Exzesse verhindern. Wie aber kann und wird die Aufsicht reagieren, wenn sich Versicherer nicht an die genannten Forderungen halten? Es sei nicht sinnvoll, eine Drohkulisse aufzubauen, so Pieper. Vielmehr gehe es darum, die Unternehmen in Gesprächen zum Einlenken zu bewegen. „Die Aufsicht ist nicht zwangsläufig am effektivsten, wenn sie die Keule schwingt.“
Auch wenn die BaFin Mittel und Wege habe, um gegen unverbesserliche Lebensversicherer vorzugehen, fehle bislang noch die Benchmark, sagt Pieper. Das heißt: Bisher gab es noch keine vergleichbare Situation, in der die Behörde Effektivkosten beziehungsweise Vertriebsvergütung der Lebensversicherer unter die Lupe genommen hat, um im Zweifel einzugreifen.
Ein breiter Strauß an Maßnahmen sei denkbar, um Unternehmen zum Einlenken zu bewegen. Welche das konkret sind, dazu will sich Pieper nicht äußern. Welche Optionen die BaFin bei renitenten Lebensversicherern aber tatsächlich hat, lässt sich im Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG) nachlesen. „Darin steht, dass die BaFin gegenüber dem Versicherer und Vorstand alle Maßnahmen ergreifen darf, um Missstände zu beseitigen“, sagt Hans-Peter Schwintowski, Professor für Versicherungsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. „Und ein Missstand ist alles, was den Aufsichtszielen widerspricht.“ Dabei sei der Interpretationsspielraum äußerst groß. Handelt es sich um einen Missstand, wenn einem 70-Jährigen eine Risikolebensversicherung verkauft wird? Und was, wenn der Kunde das für ihn kaum rentable Produkt dennoch kaufen will? „Dann ist der Fall erledigt“, so Schwintowski.
Verhindert ein Interessenkonflikt mögliche Sanktionen?
Der BaFin stehen drei Instrumente zur Verfügung, um Versicherer zu maßregeln: Sie kann Geldbußen verhängen, ein Produktverbot aussprechen und könnte sogar, wenn es hart auf hart kommt, den Vorstand auswechseln. Allerdings hält Schwintowski die beiden letztgenannten Maßnahmen für ausgeschlossen. Selbst Bußgelder seien eher unwahrscheinlich. „In den vergangenen Jahren gab es keinen Fall, den die BaFin mit rechtlichen Mitteln beendet hat. Bisher blieb sie inaktiv.“
Warum das so ist, war schön häufiger Gegenstand der Kritik – seitens der Behörde selbst. Sie hat in der Vergangenheit ihre Zurückhaltung mit fehlender Man-Power begründet. Es habe schlicht an Personal gefehlt, um Forderungen durchzusetzen. Zur Wahrheit gehört aber auch: „Die BaFin ist in den vergangenen Jahrzehnten nicht als Retter der Enterbten aufgetreten“, so der Experte.
Warum das so ist, lässt sich nur vermuten. Schwintowski glaubt, es könnte einen Interessenkonflikt geben. Gerade weil die Finanzaufseher die angezählten Versicherer beaufsichtigt, also mit den Anbietern sprechen muss, entstehe Vertrauen. Das macht es schwer, wieder Distanz herzustellen. „Das Vertrauenspotenzial will die BaFin nicht verspielen“, so der Professor. Er bemängelt, das Verfahren der Behörde wäre eher „eine Art Gesellschaftsspiel, das nicht wirklich wirkt“.
Erfahrungswerte fehlen zum Teil noch
Und es gibt noch ein anderes Problem: Bisher hat die BaFin schlichtweg kaum Erfahrungen damit, Lebensversicherer zu maßregeln. „Das Merkblatt solle zwar keine Maßregelung darstellen, aber was ist es denn sonst?“, meint Schwintowski.
Bei Pensionskassen griff die BaFin in der Vergangenheit hingegen schon hart durch. So untersagten die Finanzaufseher 2021 beispielsweise der Caritas Pensionskasse und der Kölner Pensionskasse das Versicherungsgeschäft, nachdem die Unternehmen die Mindestkapitalanforderungen nicht erfüllen konnten. Drei Jahre zuvor hatten sie den Anbietern bereits das Neugeschäft verboten. Derzeit stehen 20 Pensionskassen unter intensivierter Aufsicht. „Die Maßnahmen gegenüber Pensionskassen waren gesetzlich zwingend vorgeschrieben“, erklärt BaFin-Sprecher Pieper allerdings.
Zuletzt kündigte die Behörde an, jenen Versicherer öffentlich zu nennen, dem wegen mangelhafter IT Kapitalaufschläge in Höhe von voraussichtlich zwei Milliarden Euro drohen. Andere Fälle seien derzeit noch in der Prüfung, erklärte vor wenigen Tagen Versicherungsaufseher Frank Grund bei der Jahrespressekonferenz der BaFin.