pro&contra

bAV: Braucht es eine Opt Out-Pflicht im Unternehmen?

Die betriebliche Altersversorgung kann eine wichtige Säule beim Vermögensaufbau sein und ihren Beitrag zum Einkommen im Alter leisten. Aber reicht die bisherige Pflicht der Arbeitgeber aus, oder braucht es hier noch mehr Druck? bAV-Epertin Cordula Vis-Paulus sagt ja, Bundestagsabgeordneter Matthias Birkwald, Die Linke, sieht das anders.

13:07 Uhr | 19. Juli | 2024
Betriebliche Altersversorgung: Braucht es eine Opt Out-Pflicht im Unternehmen?

Cordula Vis-Paulus spricht sich für eine Opt Out-Pflicht der Unternehmen bei der bAV aus. Matthias Birkwald, Die Linke, sieht das nicht so und favorisiert einen anderen Weg.

| Quelle: Cordula Vis-Paulus; Matthias Birkwald

pro: „Betrieblich gestaltetes Opt Out hat viele Vorteile“

Cordula Vis-Paulus, bAV-Expertin

Bei der betrieblichen Altersversorgung (bAV) müssen sich Arbeitnehmer aktiv für den Abschluss eines Vertrags entscheiden - das sogenannte Opt In. Allerdings gibt es auch das Opt Out (Opting out oder Stay In), das dieses System umkehrt. Alle Beschäftigten werden zur bAV zu einem festgelegten Zeitpunkt angemeldet. Nur wer innerhalb einer geregelten Frist widerspricht, erhält keine Zusage auf Altersvorsorge.

Bisher basiert das Opt In mit Teilnahme am Versorgungskonzept auf einer Hol-Schuld und der Aktivität des Mitarbeitenden. Hier türmen sich einige Hürden auf: wenig eigenes Finanz- und Altersvorsorgeinteresse (zusammengefasst als Behavioral Finance, also Argumente wie „es ist noch so weit weg“, „da kenne ich mich nicht aus“, „es wird schon irgendwie gutgehen“, „das sind doch alles Betrüger“, „ETFs sind tausendmal besser geeignet“). Aber auch, dass die im Unternehmen für bAV zuständige Person vielleicht nicht bekannt ist, oder der Nutzen nicht auf der Hand liegt, ebenso wie Schüchternheit, etwas vom Chef zu fordern, halten viele vom Handeln ab.

Führt es beim Opt In also dazu, dass eine gute Rente der menschlichen Trägheit zum Opfer fällt, führt das Trägheitsmoment beim Opt Out dazu, dass die Mitarbeiter zu träge sind, sich aus dem System zu verabschieden – das Ergebnis ist eine bessere Rente.

Der Arbeitgeber entscheidet über Anbieter, die Ausgestaltung der betrieblichen Altersvorsorge, und über die Beitragsfinanzierung. Der Begriff Opt Out sagt aber nichts über die Finanzierung der Einzahlungen aus. Hier kann die bAV sowohl arbeitgeberfinanziert als auch mischfinanziert aus Entgeltumwandlung zuzüglich eines Arbeitgeberanteils vereinbart werden.

Hinzu kommt beim Opt In, dass die oft geringen Arbeitgeberzuschüsse weiter Mitarbeitende abhalten. Die Nutzungsquoten sind oft einstellig, manchmal auch zweistellig, aber oft erreichen sie höchstens 15 Prozent. Der Mehrwert eines bAV-Angebots für den Arbeitgeber ist in diesen Fällen nicht zu erwarten. Einfach, weil durch die geringe Beteiligungsquote keine positive Gruppendynamik eintritt.

Bei Opt Out hingegen werden hohe und lang haltende Nutzungsquoten durch eine hohe Akzeptanz der Mitarbeitenden erreicht. Je nach Branche sprechen wir von 85 bis 90 Prozent, in Einzelfällen sogar bis zu 100 Prozent Beteiligung. Der Mehrwert für den Arbeitgeber tritt mit Implementierung des Versorgungswerkes ein und basiert unter anderem auf einer positiven Gruppendynamik, die durch geeignete Kommunikationsstrategien verstärkt werden kann. Der Faktor „Flurfunk“ trägt bei Opt Out-Strategien wesentlich zum Erfolg und zur Sichtbarkeit dieses Benefits bei. Sichtbar zu sein, ist in der heutigen Zeit einer der Erfolgsfaktoren – auch für Benefits.

Durch die unternehmensindividuelle Gestaltung kann die bAV als Wettbewerbsvorteil zur Mitarbeitergewinnung eingesetzt werden, weil der Arbeitgeber attraktiver wird, und außerdem bekommen Bewerber einen Eindruck über die Wertekultur des Unternehmens. Und für die bereits tätigen Mitarbeitenden hat sich ein durch die Personalabteilung begleitetes Opt In-Verfahren bewährt.

contra: „Verbreitung darf nicht über Ausgestaltung hinwegtäuschen“

Matthias Birkwald, Die Linke, Mitglied des Bundestages

Betriebsrenten gliedern sich als zweite Schicht zwischen Gesetzlicher Rente und privater Vorsorge in das deutsche Alterssicherungssystem ein. Das Paradigma des Drei-Schichten-Systems der Alterssicherung kann nur so lange aufrechterhalten werden, wie es auch funktionierende zweite und dritte Schichten gibt. Doch da sieht es schlecht aus. Die Abschlüsse neuer Riester-Verträge sinken jedes Jahr auf ein neues Rekord-Tief, die Verbreitung der Betriebsrenten liegt aktuell bei 53,5 Prozent sozialversicherungspflichtig Beschäftigter mit bAV-Anwartschaft. Doch die Verbreitung sagt nichts über die Leistungsfähigkeit der Alterssicherung aus. Diese Erkenntnis liegt bei Riester auf der Hand. Bei den Betriebsrenten muss es auch darum gehen. 

Schon jetzt nutzt knapp die Hälfte der Beschäftigten für ihre betriebliche Altersversorgung die sogenannte Entgeltumwandlung, die die einzige Form der Betriebsrente ist, auf die aktuell ein gesetzlicher Anspruch besteht. Entgeltumwandlung bedeutet für die Beschäftigten Gehaltsverzicht, da sie einen Teil ihres Gehaltes über den Arbeitgeber für die Altersvorsorge einzahlen. Hinzu kommen - aufgrund der Sozialabgabenfreiheit - Beitragsausfälle in den Sozialversicherungssystemen, geringere gesetzliche Renten, aber auch ein niedrigeres Arbeitslosen- und Krankengeld bei den Versicherten, sowie negative Rückkopplungseffekte auf die jährliche Rentenanpassung. Zusätzlich werden die Garantien bei betrieblicher und privater Altersvorsorge immer weiter abgebaut. Für die Beschäftigten bedeutet das, dass sich ihre Beiträge vielleicht gar nicht rentieren werden, und sie keine Garantie haben, ihre eingezahlten Beiträge zurückzuerhalten. Dies auch noch verpflichtend zu machen, würde mehr schaden als nützen.

Die betriebliche Altersversorgung soll die gesetzliche Rente ergänzen und heißt nicht ohne Grund Versorgung statt Vorsorge. Diverse Verbraucherschutzzentralen weisen darauf hin, dass der Erfolg einer betrieblichen Altersversorgung im Wesentlichen auf einer substanziellen Beteiligung der Arbeitgeber beruht. "Je nach Alter sollte der Arbeitgeberanteil wenigstens 40 Prozent betragen." Echte betriebliche Altersversorgung als sichere, planbare und verlässliche Zusatzrente im Alter, muss deshalb überwiegend und verpflichtend durch die Chefs und zumindest paritätisch finanziert werden. Eine Betriebsrente muss bezogen auf die zu erwartenden Leistungen planbar und auch in der Rentenbezugsphase inflationssicher sein. Zentrale Bedingung für ergänzende, gute Betriebsrenten sind starke Gewerkschaften und eine hohe Tarifbindung.

Klar ist: Die Gesetzliche Rente muss gestärkt werden! Daneben braucht es gute Betriebsrenten mit mindestens paritätischer Finanzierung und die private Vorsorge darf nicht weiter mit staatlichen Mitteln, die im Sande der Versicherungsbranche versinken, gefördert werden. Dass das funktioniert, zeigt ein Blick ins von der FDP beim Thema Rente hoch gelobte Schweden. Dort erhalten 90 Prozent der Menschen eine vollständig vom Arbeitgeber finanzierte Betriebsrente. Machen wir‘s wie Schweden.