BU- und Grundfähigkeitsversicherungen

Warum Millionen Deutsche zögern und wie flexible Alternativen den Markt verändern

Immer mehr Menschen brauchen eine Arbeitskraftabsicherung. Mit flexiblen Tarifen und alternativen Produkten will die Branche das ändern – und mit Hilfe der Arbeitgeber.

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14:12 Uhr | 14. Dezember | 2023
Arbeitskraft

Obwohl viele Arbeitnehmer überzeugt sind, dass sie nicht bis zum Rentenalter arbeiten werden können, sind längst nicht alle gegen dieses Risiko abgesichert.

| Quelle: grinvalds

Da sind sich Versicherer, Vermittler und Verbraucherschützer ausnahmsweise mal einig: Der Verlust der Arbeitskraft muss finanziell abgesichert sein. Erste Wahl ist traditionell eine Berufsunfähigkeitspolice. Doch auch Grundfähigkeits- oder Schwere-Krankheiten-Versicherungen sollten gleichberechtigt an den Start der Beratung gehen, um nicht als „unliebsame“ Notlösung wahrgenommen zu werden.

Durchdringung bleibt schwach

Trotz der hohen Notwendigkeit haben zig Millionen Bundesbürger keine BU-Police abgeschlossen. „Seit Jahren gelingt es unserer Branche nicht, die Durchdringungsquote von bundesweit rund einem Drittel zu erhöhen“, sagt zum Beispiel Stefan Holzer, Leiter Versicherungsproduktion von Swiss Life Deutschland und Mitglied der Geschäftsleitung gegenüber procontra. Oder in Zahlen: Von rund 45 Millionen Beschäftigen in Deutschland haben nur rund 15 Millionen eine BU-Versicherung.

An der Qualität der Produkte liegt das offenbar nicht. Analysehäuser bestätigen das im Schnitt hohe Leistungsniveau vieler Anbieter. So erhalten aktuell fast hundert BU-Tarife unterschiedlicher Anbieter von Franke und Bornberg die höchste Ratingnote. Nur einige Beispiele: Plus von Allianz, Comfort von Condor, Premium von Gothaer, EGO Top von HDI und BU Flex von Swiss Life. Die Teilnahme an der Analyse ist für Versicherer allerdings freiwillig. Folglich finden sich dort eh nur vorzeigbare Tarife.

Top-Leistungen dank Wettbewerb

Das in weiten Teilen hohe Leistungsniveau der Tarife ist ein Beleg für den Kampf der Produktgeber und Vermittler – vielleicht nicht um jeden Kunden –, aber zumindest um die gleichen Zielgruppen. „Wir haben einen wettbewerbsstarken BU-Markt mit einem qualitativ sehr hochwertigen Schutz“, betont Torben Wamser, Product Owner für den Einkommensschutz bei Signal Iduna. Und er fügt hinzu, dass der Markt „dementsprechend kostenintensiv sein kann“. Das spiegeln auch die Beiträge wieder. Umfragen belegen, dass deren Höhe ein Grund dafür ist, keine BU-Police zu kaufen.

Bezahlbare Tarife können Versicherer anbieten, wenn sie auf Kunden mit vermeintlich geringem Risiko zielen; Akademiker zum Beispiel. Doch im Markt gibt es erste Stimmen, dass gerade in dieser Zielgruppe das Risiko, aus psychologischen Gründen berufsunfähig zu werden, unterschätzt wird. Auf dem Gipfeltreffen Biometrie in der procontra-Ausgabe Oktober-November 2023 war das ein Thema.

Risiken bleiben draußen

Thorsten Saal, Bereichsleiter Mathematik bei Morgen & Morgen weist im Zusammenhang einer zunehmenden Ausdifferenzierung innerhalb eines Tarifs auf ein weiteres „großes Problem“ hin: „Das macht den Tarif zwar für gute Risiken preislich attraktiv, erhöht aber die Gefahren einer Risikoselektion. Die teuren Risiken sind meistens bei Menschen zu finden, die sich eine adäquate Risikoabsicherung nicht mehr leisten können.“ So ergebe sich eine Verlagerung der Abschlüsse in Richtung „guter Risiken“. Und wörtlich: „Für die breite Durchdringung ist das nicht förderlich.“

Auf die Probleme reagieren die Versicherer mit neuen Lösungen. Ein Möglichkeit, Beiträge bezahlbar zu halten, ist ein Abschluss in jungen Jahren. Diesen Weg beschreiten immer mehr Produktanbieter. Standard Life Deutschland etwa bietet Studierenden aus „dem Großteil der Studienrichtungen“ seit Ende Juni die Möglichkeit, sich mit einer vereinfachten Gesundheitsprüfung gegen das BU-Risiko abzusichern. Und LV1871 vertreibt seit Mai einen BU-Tarif für Schüler ab sechs Jahre. Mit wenigen Fragen zum Gesundheitszustand erhielten sie einen vollwertigen BU-Schutz. Laut Klaus Math, Vorstand des Versicherers, „kann sich die Risikoeinstufung nicht mehr verschlechtern, auch wenn später ein risikoreicher Beruf ergriffen werden sollte“.

Flexibel zum Abschluss

Solche Tarife bieten sogar auf lange Sicht eine gewisse Flexibilität; wie generell Verträge mit der Klausel Nachversicherungsgarantie. Dann kann die BU-Rente – oft ohne erneute Gesundheitsprüfung – erhöht werden, wenn sich zum Beispiel der Bedarf wegen Heirat oder Geburt eines Kindes ändert. Saal zufolge fragen einige Versicherer mittlerweile beispielsweise auch nicht mehr nach riskanten Hobbies oder Auslandsaufenthalten. Ob solche Entwicklungen zu mehr Abschlüssen führen, bleibt abzuwarten. Vermittler jedenfalls begrüßen die neuen Möglichkeiten. Für Makler Torsten Breitag ist „die Konfiguration der Gesamtabsicherung mit maximaler und belastbarer Flexibilität“ ein wichtiger Aspekt beim Abschluss einer BU-Police.

Immer mehr BU-Tarife bieten flexible Leistungsbausteine an.
Thorsten Saal

Versicherungsmathematiker Saal sieht einen weiteren Trend in Richtung Flexibilität: „Immer mehr BU-Tarife bieten Leistungsbausteine an.“ Aufgabe der Vermittler sei es, die unterschiedlichen Optionen individuell passend auf die Kundensituation zusammenzustellen. Insgesamt also ist durchaus Bewegung auf dem Markt für BU-Versicherungen, wenn auch erst nach Analyse der Tarifbedingungen erkennbar. Das bedeutet: Ohne Beratung finden Kunden nur mit Mühe einen bedarfsgerechte Schutz.

GF-Police geht auch

Und falls Vermittler auf dem BU-Markt nicht fündig werden, gibt es auch dafür Möglichkeiten. Erstens Produktalternativen. Und zweitens den Weg über den Arbeitgeber. 

Eine zweitbeste Lösung nach einer BU- ist insbesondere eine Grundfähigkeitspolice (GF-Police). Dazu wieder Saal: „Die stark gestiegene Anzahl an GF-Tarifen zeigt die Bewegung hin zu Angeboten, die für den Kunden bezahlbar und durch die Leistungsauslöser gut erklärbar scheinen.“ Einfach sei die Produktauswahl aber auch in diesem Fall nicht. Zum Beispiel würden die Versicherer die Leistungsauslöser unterschiedlich definieren. Auch könnten sie häufig als Option zu- oder abgewählt werden.

Hinzu kommt die ständige Bewegung in der Tariflandschaft. Ergo zum Beispiel hat jetzt die GF-Police „Body Protect“ in drei Varianten auf den Markt gebracht. Dem Versicherer zufolge sind alle Typen mit Bausteinen kombinierbar. Eine Option sei „Sport Plus“. Zum Beispiel Hobbysportlern, Yogatrainer und Sportlehrer könnten weitere Grundfähigkeiten absichern, die für viele Sportarten und Hobbies wichtig seien, wie zum Beispiel Kniegelenk, räumliches Sehen und Koordination. Ein anderer Baustein sei „Pflege Plus“. Wird der Versicherte pflegebedürftig, erhalte er zusätzlich zur vereinbarten Rente eine lebenslange Pflegerente in gleicher Höhe.

Betrieb nicht vergessen

Die zweite oben erwähnte Möglichkeit für Beschäftigte noch in den Genuss einer BU-Police zu kommen, ist der Abschluss über den Betrieb. Das gehe oft sogar mit Vorerkrankungen. Absicherungsexperte Wamser von Signal Iduna sieht „einen deutlichen Trend hin zur betrieblichen Vorsorge“, die neben einer Altersvorsorge Schutz gegen Krankheit, Verlust von Grundfähigkeiten und Berufsunfähigkeit enthalten kann.

Für Holzer von Swiss Life Deutschland ist die betriebliche BU, die im Idealfall komplett vom Arbeitgeber finanziert wird, „der Schlüssel für eine höhere Durchdringung im Markt“. Den Tarif Swiss Life BU Pro habe man jetzt weiter ausgebaut, um zum Beispiel um eine Beitragsübernahme bei auslaufender Lohnfortzahlung aufgrund von längerer Krankheit. Auch für Chefs sei die betriebliche BU vorteilhaft. Arbeitgeber sicherten die finanzielle Existenz ihrer Mitarbeitenden für den Fall des Verlustes der Arbeitskraft ab und positionierten sich gleichzeitig als attraktive Unternehmen.

Fazit: Der BU-Markt ist schwierig. Angesichts der Tarifvielfalt ist eine Beratung für eine bedarfsgerechte Produktauswahl wichtiger denn je. Eine BU-Police bleibt das erste Ziel. Eine GF-Versicherung kann bestehende Lücken zumindest teilweise schließen. Auch auf die Möglichkeit der Absicherung über den Betrieb können und sollten Berater hinweisen. Dann könnte sich irgendwann auch die Durchdringungsquote verbessern.