Arbeitskraftabsicherung

Kritik an Schüler-BU: ins Ungewisse kalkuliert

Bei Berufsunfähigkeitsversicherungen wird die Zielgruppe immer jünger. Schüler-BU werden mit dem Vorteil der günstigen Beiträge verkauft, bergen aber auch Risiken in der Kalkulation der Tarife.

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16:01 Uhr | 16. Januar | 2025
Kind bekommt ein Pflaster

Schüler ab zehn Jahren sind eine besonders hart umkämpfte Zielgruppe.

| Quelle: Halfpoint Images

Was Sie erfahren werden:

  • Vertriebsansatz der Schüler-BU

  • Versteckte Risiken einer Schüler-BU

  • Kriterien bei der Produktauswahl

In der Assekuranz steht und fällt alles mit den Rechenkünsten der Mathematiker. Bei gegebenen Leistungen und definierter Größe des Kollektivs hängt die Höhe des Beitrags von der Wahrscheinlichkeit eines Leistungsfalls ab. Diese wiederum wird bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung vor allem bestimmt von den Kriterien Beruf, Alter und Gesundheitszustand der zu versichernden Person. So weit, so bekannt.

Beruf steht noch gar nicht fest

Aber was ist, wenn der Beruf noch gar nicht fest steht? Mehr noch: Wenn bereits ein Mensch im Alter von zehn Jahren oder jünger eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt – also in der Regel ohne klare Vorstellung, ob man in die Lehre oder zur Universität gehen möchte, ob man Erzieher oder Architekt werden möchte. Als Kind liegt einem die Welt zu Füssen; alles ist möglich – auch wenn es nicht immer gelingt.

Können die Aktuare der Versicherer für solche Tarife überhaupt verlässliche Wahrscheinlichkeiten und Modelle berechnen? Oder angelt man sich zwar früh den Kunden, doch das böse Erwachen kommt für das Kollektiv über später stark steigende Beiträge?

Hart umkämpfte Zielgruppe

Schüler ab zehn Jahren sind eine besonders hart umkämpfte Zielgruppe. Das liegt vor allem daran, dass das Produkt Berufsunfähigkeitsversicherung quasi in der Sackgasse steckt. Seit vielen Jahren stagniert die Durchdringungsquote auf niedrigem Niveau. Das hat erst kürzlich eine Umfrage von Forsa im Auftrag der Hannoversche Lebensversicherung bestätigt. Demnach besitzt nur jeder zweite abhängig Beschäftigte diesen Schutz gegen den Verlust der Arbeitskraft. Als wichtigsten Grund gaben die mehr als 1.000 Befragten zwischen 18 und 67 Jahren die Kosten an. Eine andere aktuelle Umfrage von Swiss Life zeigt aber auch, dass für Kunden der Preis allein nicht entscheidend ist, sondern die Verlässlichkeit im Ernstfall (siehe Grafik).

Gleichwohl wird eine Schüler-BU vor allem über den Preis verkauft. Vertriebserfolge hier halten den BU-Markt am Laufen, ist in der Branche zu vernehmen. Ob die Kalkulation auf Dauer trägt, wird selten hinterfragt. So zahlt ein 16jähriger im Schnitt 50 bis 60 Euro im Monat; halb so viel wie eine doppelt so alte Bankkauffrau. Und für risikoreichere Berufe verlangen Versicherer schnell mal 200 bis 300 Euro zusätzlich. Für Philipp Wedekind, Leiter Rating bei Franke und Bornberg weisen Schüler, Studenten und Azubis „einen guten Gesundheitszustand auf, was die Risikoprüfung vereinfacht, und die Prämien sind relativ günstig, was die Beratung attraktiver gestaltet.“ Der Analyst betont aber auch: „Allerdings bergen insbesondere Schüler langfristige Risiken. Da die Verträge oft 50 Jahre und länger laufen und der spätere Berufsweg schwer vorhersehbar ist, besteht ein erhebliches Kalkulationsrisiko für die Versicherer.“

Bei Nachversicherungen sollte weiterhin die Einstufung als ´Schüler/in´ möglich sein.
David Leadberater bei Hoesch & Parnter

Tarife müssen flexibel sein

Die Anbieter nehmen die Risiken vermutlich bewusst in Kauf, um mehr Geschäft zu machen. Auf Anfrage verweisen sie auf ihre Fertigkeiten in Sachen Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik. So betont Sebastian Weigelt, Leiter Intermediär-Vertrieb bei Swiss Life Deutschland, dass man „selbstverständlich“ professionell kalkuliere, „schließlich müssen alle Tarife sich den veränderten Erwerbs- und Lebensbiographien unserer Kunden immer flexibel anpassen.“

Kristine Rößler, Leiterin Geschäftsfeld Einkommensabsicherung bei Die Bayerische, die unter anderem mit den Tarifen BU Protect (ab 10 Jahre) und BU Protect Young (ab 15 Jahre) am Markt sind, erklärt: „In einer BU muss der Kunde einen Berufswechsel nicht nachmelden. Hier besteht für uns als Versicherer ein Änderungsrisiko. Auch bei Krankheiten ist bei so langen Zeiträumen schwer vorherzusagen, wie sich beispielsweise der medizinische Fortschritt auswirkt. Daher wird in der Kalkulation ein Zuschlag für das Irrtum- und Änderungsrisiko einberechnet.“

Die Schulform macht den Unterschied

Hermann Schrögenauer, Vorstand bei LV 1871, verweist auf den Tarife für junge Menschen Golden BU Start, der für weitere Bedarfe Erhöhungs-, Ausbau- und Überprüfungsmöglichkeiten enthalte. LV 1871 sei ein erfahrener Spezialist für BU-Versicherungen mit „guter Risikoprüfung“. „Mit diesem Know-how können wir auch die Zielgruppe der Schüler umsichtig kalkulieren und angemessene Prämien anbieten. Dementsprechend stufen wir Schüler sehr differenziert in die aktuell besuchte Schulform und -stufe ein.“

Dass Flexibilität ein wichtiges Abschlusskriterium für eine Schüler-BU ist, betont auch eine Sprecherin der Hannoversche. Zudem sei die finanzielle Stabilität des Versicherers essenziell, um die Leistungsversprechen sicherzustellen. Vor Vertragsabschluss sollten Vermittler daher auf die Bonität und das Rating des Produktgebers achten.

 

Was Makler empfehlen

Vor diesem Hintergrund ist die Vermittlung von Schüler-BUs nicht mehr ganz so einfach (siehe Maklers Meinung). David Böttenberg, Leadberater bei Hoesch & Partner, spricht von einer „Balance zwischen Absicherung und Flexibilität“. Empfehlenswert seien Tarife, die durch Nachversicherungsgarantien und Anpassungsoptionen eine Konfiguration an den späteren Lebensweg ermöglichen. Wichtig sei, „dass bei Nachversicherungen weiterhin die Einstufung als ´Schüler/in´ genutzt werden kann. Manche Versicherer nutzten die neue Berufsgruppeneinstufung und somit ist eine Erhöhung im Handwerk deutlich teurer“. Hoesch & Partner achte bei der Tarif- und Anbieterwahl auch auf „solide Kalkulation und langjährige Erfahrung“.

  • Ein früher und damit günstiger Abschluss liegt im Kundeninteresse.

  • Es gibt Anbieter mit dem notwendigen Kalkulations-Wissen.

  • Der Markt bietet flexible Tarife für Anpassungen an spätere Bedarfe.

  • Besser wäre es, dem gesamten BU-Markt wieder Schwung zu geben.

  • Ob die Rechnung über mehrere Jahrzehnte aufgeht, ist ungewiss.

  • Schülern mit Weg in Richtung „mehr Risiko“ droht eine Absicherungslücke.