Bereits in der Kindheit entscheidet sich, wer später in Aktien investiert
Der Gender Pay Gap, die Lohnlücke zwischen dem Gehalt von Frauen und Männern, dürften vielen bekannt sein. Im vergangenen Jahr erzielten Frauen laut Statistischem Bundesamt fast 40 Prozent weniger Einkommen als Männer. Auch der Gender Pension Gap, also die sich daran anschließende Altersvorsorgelücke, wurde schon vielfach diskutiert. Beide Phänomene haben ihre Wurzeln in der unterschiedlichen Sozialisierung von Frauen und Männern und damit auch in den vorherrschenden Machtverhältnissen. Und beide Gaps haben eine klare Folge: Frauen stehen hinsichtlich ihrer Finanzen meist schlechter da als Männer.
Ein weiterer Faktor, der diesen Umstand verschärft, ist der sogenannte Gender Investment Gap. Frauen investieren demnach seltener als Männer ihr Geld in Aktien, ETF und Co., was wiederum negativ auf ihre finanzielle Gesamtsituation und nicht zuletzt auf ihre Altersvorsorge zurückfällt. Denn dass sich ein Investment an der Börse auf lange Sicht rentiert und die Entwertung des Geldes minimiert, hat sich mittlerweile rumgesprochen.
Die Gründe für die Zurückhaltung der Frauen liegen auf der Hand: Wer weniger hat, will das Wenige nicht durch vermeintlich riskante Investments verlieren. Und: „Frauen wurden über Jahrhunderte vom Geld ferngehalten“, erklärt die Grande Dame der Finanzberatung, Helma Sick, im procontra-Interview.
Finanzthemen werden häufiger mit Söhnen besprochen
Eine aktuelle Studie bestätigt die Investment-Lücke: Demnach investieren gut 32 Prozent der Männer am Aktienmarkt. Bei den Frauen sind es nur knapp 18 Prozent. Damit wagen fast doppelt so viele Männer wie Frauen den Gang aufs Börsenparkett. Dafür gibt es verschiedene Gründe, allerdings haben allesamt offenbar eine Gemeinsamkeit: die Kindheit. „Die Ergebnisse zeigen, dass in deutschen Haushalten das Thema ,Finanzen' häufiger und regelmäßiger mit Söhnen als mit Töchtern besprochen wird“, erklärt Alexandra Niessen-Ruenzi, die als Professorin an der Universität Mannheim zu geschlechtsspezifischen Unterschieden an Kapitalmärkten forscht und gemeinsam mit ihrer Kollegin Vanessa Mueden die aktuelle Studie „Finanzielle Sozialisierung und der Gender Investment Gap“ veröffentlicht hat.
Demnach haben 24,8 Prozent der befragten Frauen angegeben, dass ihre Eltern mit ihnen aktiv über finanzielle Angelegenheiten gesprochen haben. Bei den Männern waren es immerhin 28,4 Prozent. Ebenso berichteten 24,2 Prozent der Frauen im Vergleich zu 28,6 Prozent der Männer, dass in ihrer Familie regelmäßig über finanzielle Angelegenheiten gesprochen wurde. Woran liegt das? „Es könnte entweder der Fall sein, dass Finanzen als ein traditionell männliches Thema mit Töchtern tatsächlich weniger diskutiert wird als mit Söhnen. Oder es könnte sein, dass Töchter weniger an dem Thema interessiert sind und daher die Eltern sie seltener in Diskussionen darüber einbeziehen“, mutmaßen die Autorinnen.
Schulfach „Finanzen“ könnte Unterschiede verringern
Niessen-Ruenzi wirft auch ein Schlaglicht auf das Thema Finanzbildung an Schulen, schließlich könnten hier mögliche familiäre Gründe für das fehlende Wissen abgefedert werden. Dazu muss man jedoch wissen: Von einem Pflichtfach Finanzen ist man in Deutschland noch weit entfernt. Einzig die FDP forderte es in ihrem Wahlprogramm, in den Koalitionsvertrag hat es das Ansinnen indessen nicht geschafft.
Und selbst wenn in Schulen ein entsprechendes Fach angeboten wird, zeigen sich auch hier klare Präferenzen. So geben Frauen häufiger als Männer an, in der Schule keine Finanzkompetenzen erlernt zu haben. Das könnte darauf hindeuten, dass sie derlei Angebote schlicht nicht wahrnehmen. Wäre der Unterricht jedoch verpflichtend, könnte das den Gender Investment Gap womöglich etwas abschwächen. Niessen-Ruenzi ist überzeugt: „Eine frühe und strukturiertere Ausbildung zu Finanzthemen scheint geboten, um die finanziellen Auswirkungen der unterschiedlichen finanziellen Sozialisation von Männern und Frauen abzumildern.“
Gibt es wirklich zu wenig weibliche Vorbilder?
Allerdings fehlt es laut der Expertin auch an weiblichen Vorbildern. Während Frauen in puncto Finanzen vor allem Familienmitglieder einschließlich Vater, Mutter und Partner nennen, sieht das bei Männern anders aus. Sie nennen lediglich den Vater als finanzielles Role Modell, gefolgt vom eigenen Finanzberater oder berühmten Investoren wie Waren Buffet oder Elon Musk.
Dabei gibt es mittlerweile auch populäre Frauen in der Finanzbranche. So macht die US-amerikanische Investorin Cathy Woods immer wieder von sich reden. Im deutschsprachigen Raum können neben der bereits genannten Helma Sick immer mehr Investmentexpertinnnen als Vorbild dienen. Die Gründerin des Frauenfinanzportals herMoney, Anne Connelly, ist nur eine von ihnen. Connelly wurde übrigens frühzeitig mit dem Thema Geld konfrontiert: Ihr Großvater war Banker, ihre Mutter hat bei einem Versicherer gearbeitet.
„Immer mehr furchtlose Mädchen“
Im Umkehrschluss gilt also: Wer in der Kindheit nicht mit Finanzthemen in Berührung gekommen ist, wird sich auch später seltener dafür erwärmen. Und wo es kein Finanzwissen gibt, ist auch das spätere Finanzvertrauen und Interesse rar gesät. Von den über 2.000 Befragten sind es folglich häufiger Männer, deren Freunde und Kollegen am Aktienmarkt investieren und mit denen sie dann Erfahrungen austauschen. Das sieht bei Frauen wieder anders aus. Ein weiterer Grund, warum sich Frauen seltener am Aktienmarkt beteiligen. Das Problem setzt sich also fort.
Niessen-Ruenzi führt auch historische Entwicklungen ins Feld, um die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu erklären. Schließlich war es erst 1958 Frauen überhaupt gestattet ein eigenes Bankkonto zu eröffnen. Der Aktienmarkt blieb damit lange Zeit eine reine Männerdomäne. „Das hat sich geändert, und in den letzten Jahren beobachten wir, dass immer mehr furchtlose Mädchen an die Wall Street gehen“, heißt es in der Studie. Ein Grund dafür: Heute sind mehr Frauen berufstätig. Indirekte Vorbilder wie eine berufstätige Mutter erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen später den Gang auf das Börsenparkett wagen, so die Expertin.
Finanz-Reklame: In erster Linie für Männer
Ein anderer Aspekt könnte auch eine Rolle spielen: Nach wie vor richtet sich Werbung für Finanzprodukte selten an Frauen. „70 Prozent der Personen, die in der Reklame für Finanzprodukte auftauchen, sind Männer. Die implizite Botschaft dahinter lautet: Das ist eine Männerdomäne, damit brauchen sich Frauen nicht zu beschäftigen“, erklärt Niessen-Ruenzi. Genau mit diesem Thema beschäftigt sich die Expertin als nächstes, um zu zeigen, wie Frauen in der Finanzwerbung dargestellt werden.
Dass Marketing ein starker Hebel sein kann, um für Themen zu werben, Ängste zu nehmen und Bedürfnisse zu wecken, liegt schließlich auf der Hand. Hier könnte auch die Wirtschaft ansetzen und Frauen signalisieren, dass es sich sehr wohl um ein Thema für sie handelt, fordert die Wissenschaftlerin. Womöglich beißt sich aber an der Stelle der Hund in den Schwanz: Solange Frauen weniger Geld zur Verfügung haben, fällt die Überwindung, das mühsam Ersparte an die Börse zu tragen, schwer.