Kolumne
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hatte dem Drängen der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) und anderen Vertretern der Versicherungswirtschaft nachgegeben und angekündigt, den Höchstrechnungszins von 0,25 auf ein Prozent anzuheben. Die Versicherungswirtschaft jubelt. Die ganze Versicherungswirtschaft?
Nein. Es ist an der Zeit, genauer hinzuschauen. Denn die Zeichen scheinen längst wieder in umgekehrte Richtung zu zeigen: Im März senkte die Schweiz den Leitzins, die Schwedische Reichsbank folgte im Mai – und auch die beiden großen Zentralbanken Fed und EZB haben Zinssenkungen bereits in Aussicht gestellt. Vor diesem Hintergrund wirkt die Entscheidung des BMF bestenfalls anachronistisch, denn Garantiezinsprodukte scheinen offenbar nur unter dem Vorzeichen steigender Zinsen zu funktionieren.
Viele Versicherer haben die Zinsanstiegsphase dazu genutzt, um neue Wege bei der Lebensversicherung einzuschlagen. Bereits die Hälfte des Neugeschäfts kommt heute aus kapitalmarktbasierten Produkten wie der Fondspolice. Damit folgen Versicherer dem langfristigen Trend, auf renditeträchtige Produkte des Kapitalmarktes zu setzen.
Die Versicherungsbranche darf nun nicht der Versuchung erliegen, mit dem Rechnungszins wieder Garantieprodukte durch die Hintertür einzuführen. Diese Entwicklung wäre nicht nur wenig nachhaltig, langfristig ginge sie auch am Markt vorbei. Schlimmer: Sie könnte sogar einen Niedergang der Versicherungswirtschaft begünstigen, eine Erfahrung wie sie die Baubranche nach 2022 gemacht hat.
Spätestens mit Einführung der digitalen Rentenübersicht werden Versicherte genau über die Arbeit ihrer Versicherer wachen. Die neue Transparenz wird auch dazu beitragen, die enormen Kosten der Garantien sichtbar zu machen und damit dort einzuordnen, wo sie hingehören: Ins Museum.