Bürgerversicherung: Warum PKV-Abschaffung nicht geht

Die Bürgerversicherung könnte die Probleme der Krankenversicherung lösen, behauptet die Bertelsmann-Stiftung. Das ist Nonsens und ginge auch rechtlich nicht, sagt ein Volkswirtschaftsprofessor. Warum Kopfpauschalen ein besserer Weg wären.

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07:03 Uhr | 19. März | 2020
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Um die GKV zu stärken, könnte man von einkommensabhängigen Beiträgen auf Kopfpauschalen umstellen und den Solidarausgleich ins Steuersystem verlagern, meint Professor Friedrich Breyer von der Uni Konstanz. Bild: Uni Konstanz

Die Einführung einer Bürgerversicherung könnte Milliarden sparen, legt das Gutachten „Geteilter Krankenversicherungsmarkt“ im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung nahe. Gäbe es die PKV nicht und nur noch die GKV, würde jeder im Schnitt 145 Euro weniger im Jahr bezahlen. Ärzte, Beamte, Gutverdiener und Selbstständige verhielten sich demnach unsolidarisch, so eine Folgerung aus der Studie. Damit wird jedoch nur eine unsachliche Neiddebatte geschürt (procontra berichtete).

Zur Erinnerung: Die Bürgerversicherung wäre eine Einheitsversicherung. Sie setze voraus, dass die PKV die Krankenvollversicherung als Unternehmensgegenstand mittelfristig beendet, erklärt Udo Steiner, früherer Richter im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Die bestehenden Verträge könne der Gesetzgeber gegen den Willen der Kunden nicht in die Bürgerversicherung überführen. Dies wäre ein unzulässiger Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG) der Versicherer und der Versicherten. Ein solches verfassungsrechtliches Risiko würde der deutsche Gesetzgeber wohl nicht eingehen.

Verfassungsrechtliche Pflöcke zugunsten der PKV

Wenn der Gesetzgeber jedoch ein Angebot an die Bestandsversicherten der PKV zum Wechsel in die Bürgerversicherung machen und zugleich Neuabschlüsse untersagen würde, ginge das auch nicht. Denn die Schließung der PKV für alle erstmalig Versicherten würde den Beruf des privaten Anbieters von Leistungen der Krankenvollversicherung beseitigen und somit auf einen Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG) hinauslaufen.

Für gesetzliche Regelungen der Krankenversicherung stehen dem Gesetzgeber nur Artikel 74 Absatz. 1 Nr. 11 GG (privatrechtliches Versicherungswesen) und Nr. 12 (Sozialversicherung) zur Verfügung. Der Gesetzgeber kann die jeweiligen Modelle nur systemkonform weiterentwickeln, aber nicht in ihrer Substanz verändern.

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Bürgerversicherung nur ideologische Chimäre?

Das sieht auch Friedrich Breyer so. Der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz sagt: „Weder kann der Gesetzgeber geltende Versicherungsverträge für ungültig erklären, noch kann er die Alterungsrückstellungen konfiszieren, die aus Sicht der Versicherten Eigentumscharakter haben und nach Artikel 14 GG geschützt sind.“ Breyer hält die Bürgerversicherung für „eine Chimäre, die nur noch eine Rolle als Wahlkampfschlager linker Parteien spielt, solange die Bürger den Schwindel nicht durchschauen“, schrieb er kürzlich in der FAZ (procontra berichtete).

Breyer ist auch Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums. Er sieht die Interpretation der Ergebnisse der Studie durch die Bertelsmann-Stiftung und einige Parteien kritisch: Bei genauer Lektüre der Studie erkenne man, dass die genannten Einsparpotenziale einer Bürgerversicherung keineswegs daher rührten, dass die Privatversicherten gesünder seien. Denn in Wahrheit verursachten sie rund zehn Prozent höhere Gesundheitsausgaben als die GKV-Versicherten. Positiv sei allenfalls die Einnahmenseite, da die PKV-Versicherten im Mittel 50 Prozent höheres beitragspflichtiges Einkommen einbringen würden.

Warum die Kopfpauschale eine Alternative wäre

„Wenn man die GKV stärken will, muss man die Privatversicherten nicht zur Mitgliedschaft zwingen, sondern lediglich ihr Einkommen auf geeignete Weise zur Finanzierung heranziehen“, folgert Breyer. Das ginge ziemlich einfach: Man stellt die Beitragserhebung in der GKV von einkommensabhängigen Beiträgen auf Kopfpauschalen um und verlagert den Solidarausgleich ins Steuersystem.

Der Weg: Jeder Haushalt, dessen Gesamtbeitrag (Höhe der Pauschale multipliziert mit Anzahl der Haushaltsmitglieder) höher ist als ein bestimmter Anteil am Einkommen, erhält die Differenz vom Finanzamt beim Jahresausgleich zurück. Dazu müsste der Einkommensteuertarif nur moderat angehoben werden, argumentiert Breyer. Somit würden die PKV-Versicherten als Steuerzahler zur Finanzierung herangezogen – wie teilweise in anderen Ländern (procontra berichtete).

„Die Ursache für den beklagten Mangel an Solidarität ist also nicht die Existenz der PKV, sondern eine Einkommensumverteilung innerhalb der GKV, die viel besser im Steuersystem aufgehoben wäre“, so der Wissenschaftler. Ein Übergang zu Kopfpauschalen mit steuerfinanziertem Sozialausgleich „würde diesen Missstand auf verfassungskonforme Weise beheben“.

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