pro&contra

Gibt es in Deutschland zu viele Krankenkassen?

Auch wenn die Zahlen seit Jahren rückläufig sind, gibt es in Deutschland noch immer 95 verschiedene Krankenkassen. Sind das zu viele? Ja, eindeutig, findet Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK. Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbands, sieht das anders.

08:07 Uhr | 26. Juli | 2024
Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, und Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender BKK Dachverband e.V.

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, und Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender BKK Dachverband e.V.

| Quelle: Susie Knoll, VDK / BKK Dachverband

pro: „Doppelverwaltungen verschlingen viele Millionen Euro“

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland

In Deutschland konkurrieren 95 gesetzliche Krankenkassen um die Gunst der Versicherten. Diese Vielfalt ist historisch bedingt, aber mittlerweile vollkommen überholt. Früher orientierten sich die Krankenkassen mit ihren Angeboten an den Bedürfnissen der unterschiedlichen Berufsarten und an den Wohnorten der Versicherten. Für viele gab es keine Alternative zu ihrer Krankenkasse.

Seit 1996 können alle Menschen in Deutschland ihre gesetzliche Krankenversicherung frei wählen. Der Leistungskatalog der Kassen ist mittlerweile grundsätzlich bei allen gleich. Die Unterschiede sind marginal, manche übernehmen zusätzliche Impfungen, andere bezahlen auch für freiverkäufliche Arzneimittel. Es gibt heutzutage keine guten Gründe mehr für diese große Zahl an unterschiedlichen Versicherungen.

Im Gegenteil – diese Vielfalt produziert unnötige Doppelverwaltungen, die viele Millionen Euro verschlingen. Ein Beispiel: Jede Krankenversicherung muss sich um die Implementierung der elektronischen Patientenakte kümmern, dafür eine App programmieren, die den Zugriff auf die ePa ermöglicht, und das Angebot vermarkten. Das bedeutet im Zweifel: 95 verschiedene Apps, 95 verschiedene Programmierer-Teams, 95 Vorstände, die über die abschließende Implementierung entscheiden. Das alles bezahlen die Versicherten mit ihren Beitragsgeldern.

Jede Krankenkasse hat zudem ein eigenes Management, einen eigenen Aufsichtsrat, eigene Verwaltungsstrukturen. Ein Abbau dieser unnötigen Parallelverwaltungen könnte viel Geld für die wirklichen Aufgaben freisetzen: die Beratung und Versorgung der Versicherten. Warum muss es dieses Durcheinander an verschiedenen Krankenkassen eigentlich noch geben, wenn andere Zweige der Sozialversicherung auch gut mit einer einzigen Versicherung auskommen?

Einige werden antworten, dass der Wettbewerb die Versorgungsleistung der Krankenversicherungen erhöht. Doch der Wettbewerb begrenzt sich auf das Buhlen um eine kleine Gruppe Versicherter: Jede Krankenversicherung will junge, gesunde und gutverdienende Versicherte, die geringe Kosten verursachen und hohe Einnahmen versprechen. Alte und kranke Menschen sind hingegen eine Belastung. Mit ihnen lässt sich kein Überschuss erzielen.

Dabei dürfen gesetzliche Krankenversicherungen als Körperschaften des öffentlichen Rechts keine Gewinne machen. Am Ende fließen alle Einnahmen in einen Gesundheitsfonds. Die Gelder werden anschließend nach einem bestimmten Schlüssel wieder auf alle Krankenversicherungen verteilt. Reicht das verteilte Geld nicht aus, kann die Versicherung zur Deckung des Defizits den Zusatzbeitrag anpassen. Das System ist also kein Wettbewerb, sondern eine gigantische Umverteilung.

Alleine für die Verwaltung dieser Umverteilung werden riesige Summen verpulvert. Dieser unwirtschaftliche Umgang mit Beitragsgeldern, die für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung ausgegeben werden könnten, gehört beendet. Schließlich ließen sich durch die Beseitigung von Doppelverwaltungen und Parallelstrukturen die Zusatzbeiträge langfristig senken. Und für die Versicherten wäre außer dem Briefkopf auf Schreiben ihrer Krankenkasse alles beim Alten.

contra: „Krankenkassenvielfalt garantiert ein starkes Gesundheitssystem“

Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender BKK Dachverband e.V.

Nicht ohne Grund haben wir viele kleine, größere und große Krankenkassen statt einer Einheitskasse. Versicherte und Gewerkschaften haben sich ein gleiches Kassenwahlrecht für alle hart erkämpft. Denn Versicherte haben unterschiedliche Bedürfnisse und Erwartungen an ihre Kasse. Warum also sollten sie nicht auswählen können, welche Kasse am besten zu ihnen passt? Die Auswahl fördert Wettbewerb und Innovation, und das kommt letztlich den Versicherten zugute, die sich für das beste Angebot und Leistungsspektrum und den besten Service entscheiden können.

Ob groß oder klein, lokal, regional oder bundesweit – jede Krankenkasse trägt dazu bei, unser Gesundheitssystem stetig zu verbessern und neue Versorgungslösungen zu entwickeln.

Die Vielfalt der Krankenkassen ermöglicht eine anpassungsfähige und qualitativ hochwertige Gesundheitsversorgung, die den Bedürfnissen der Versicherten gerecht wird. Kleinere Kassen sind oft agiler und beweglicher als große Tanker und können so schnell neue Versorgungsideen auf den Weg bringen. Wenn die Idee sich bewährt, kommt sie allen Versicherten zugute.

Die Versicherten fordern heute maßgeschneiderte Angebote, zum Beispiel im betrieblichen Gesundheitsmanagement und in der Prävention. Wir Betriebskrankenkassen sind eng mit den Trägerunternehmen und Betrieben verbunden, nah an den Beschäftigten dran und bieten genau das, was die Versicherten brauchen. Ganzheitliche und kreative Ansätze sorgen für zeitgemäße Prävention und medizinische Versorgung, angepasst an die Lebensphasen der Versicherten.

Und wer glaubt, weniger Krankenkassen bedeuten weniger Verwaltungskosten, irrt gewaltig. Im Gegenteil: Gerade kleinere Kassen wie die Betriebskrankenkassen haben regelmäßig geringere Verwaltungskosten als größere Kassen. Und die Aufgaben, die die Kassen zu erfüllen haben und für die Verwaltungskosten anfallen, werden ja nicht weniger, sondern bleiben gleich, egal wie viele Krankenkassen es gibt.

Die Vielzahl und die Vielfalt der Krankenkassen sind unverzichtbar für ein dynamisches, leistungsfähiges und anpassungsfähiges Gesundheitssystem. Sie fördern Innovationen, bieten individuelle Lösungen, sichern soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit und stärken die Solidarität. Diese Vielfalt gilt es zu erhalten, um die Zukunft eines robusten Gesundheitssystems zu sichern.