PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther im Interview

Pflege-Krise: „Die Politik ist leider vom richtigen Weg abgekommen"

Die Pflegeversicherung ist in bedrohliche finanzielle Schieflage geraten. Der PKV-Spitzenverband fordert deshalb einen Neustart der Pflegefinanzierung. Darüber sprachen wir mit Verbandsdirektor Florian Reuther.

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11:10 Uhr | 11. Oktober | 2024
Dr. Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbands

Fordert einen Neustart bei der Pflegefinanzierung: Dr. Florian Reuther, Direktor des PKV-Verbands

| Quelle: PKV-Verband

procontra: Sie fordern für die Pflegefinanzierung einen Neustart und möchten, dass die private und betriebliche Pflege-Vorsorge ausgebaut wird. Was meinen Sie damit konkret? Und welche Unterstützung wünschten Sie sich von staatlicher Seite?

Florian Reuther: Wir schlagen einen ,Neuen Generationenvertrag’ zur Finanzierung der Pflege vor – als Einstieg in eine generationengerechte Reform der sozialen Sicherung. Das Konzept sieht vor, den Beitragssatz zur Sozialen Pflegeversicherung zu stabilisieren oder sogar zu senken, indem die Leistungsausgaben weniger stark steigen als die Einnahmen. So könnte sich die jüngere Generation bei vergleichbarer finanzieller Gesamtbelastung zukünftig sogar mit einer Pflegezusatzversicherung eine vollständige Absicherung der pflegebedingten Kosten leisten. Die Verschuldung zu Lasten der jüngeren Generation würde erstmals in einem Sozialversicherungszweig auf null gefahren.

procontra: Können Sie das etwas konkreter machen?

Florian Reuther: Um die wichtige Vorsorge für den Pflegefall breiter in der Gesellschaft zu verankern, sollten die Beiträge für eine betriebliche Pflegeversicherung steuer- und sozialabgabenfrei gestellt werden.

Die Pflegevorsorge muss ein wesentlicher Baustein der Altersvorsorge sein. Die Politik sollte jedem – auch unabhängig vom Engagement eines Arbeitgebers – einen günstigen Zugang zur Pflegevorsorge ermöglichen. Ein sinnvoller Hebel hierfür wäre es, die Pflegezusatzversicherung umfassend steuerlich abzugsfähig zu gestalten – so wie das bei Beiträgen für andere Vorsorgeaufwendungen bereits möglich ist.

procontra: Warum spielen private Pflegezusatzversicherungen in der Branche angesichts der Krise in der Pflege noch immer eine so untergeordnete Rolle? Stimmen die Produkte vielleicht nicht, müsste hier nachgebessert werden.

Florian Reuther: Mit dem Pflege-Bahr hat die Politik grundsätzlich den richtigen Weg eingeschlagen. Die öffentliche Aufmerksamkeit rund um die Einführung sowie die finanzielle Förderung hat das Bewusstsein in der Bevölkerung für private Vorsorge gestärkt. Binnen sieben Jahren gab es bei den Pflegezusatzversicherungen einen Anstieg um 72 Prozent auf über 4 Millionen Versicherte. 

Mit den Pflegereformen in den Folgejahren ist die Politik leider vom richtigen Weg abgekommen. Anstatt die private Vorsorge zu stärken und mit der kapitalgedeckten Vorsorge jüngere Generationen zu entlasten, hat die Politik die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung sukzessive ausgebaut – und dadurch in der Bevölkerung für eine trügerische Sicherheit gesorgt. Die andauernden Debatten um eine Pflege-Vollversicherung haben die gute Entwicklung zusätzlich gebremst.

procontra: Wollte die Politik also wieder einmal zu viel des Guten?

Florian Reuther: Eine Hauptursache liegt im politischen Erwartungsmanagement: Seit Jahren werden immer mehr Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung versprochen, sodass die Menschen den Eindruck haben, Eigenvorsorge sei nicht mehr nötig. Doch dieses Sicherheitsgefühl trügt: Die gesetzliche Pflegeversicherung ist vom Gesetzgeber als ,Teilkasko-Versicherung’ konzipiert worden. Eine zusätzliche private Vorsorge für den Pflegefall ist daher in den meisten Fällen sinnvoll und notwendig.

procontra: Was ist mit den Kosten einer privaten Pflegezusatzversicherung? Müssten die nicht generell niedriger sein?

Florian Reuther: Umfragen zeigen tatsächlich, dass nur wenige Menschen die Möglichkeiten der Pflegevorsorge über Pflegezusatzversicherungen prüfen, weil sie unterstellen, dass die dafür notwendigen Beiträge sie finanziell überfordern könnten. Mit dem rechtzeitigen Abschluss einer privaten Pflegezusatzversicherung lässt sich die Pflegelücke jedoch zu niedrigeren Prämien absichern als gemeinhin angenommen. Zum Beispiel kann eine 35-jährige Person ein Monatsgeld von 1.400 Euro zur Abdeckung der stationären Pflegelücke ab 45 Euro im Monat absichern, das zugleich bei häuslicher Pflege bereits in den unteren Pflegegraden 2 und 3 auskömmliche Leistungen um die 1.000 Euro bietet. Dies zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Marktanalyse der unabhängigen Rating-Agentur Assekurata. Grundsätzlich gilt: Je früher der Abschluss der Versicherung, desto günstiger der Beitrag.

procontra: Sozialverbände fordern eine Pflegevollversicherung, in die alle einzahlen – also eine Zusammenlegung von privater und gesetzlicher Pflegeversicherung. Könnte so nicht das Problem gelöst werden?

Florian Reuther: Unter ,Pflegevollversicherung‘ wird gemeinhin die volle Übernahme aller pflegebedingten Eigenanteile verstanden. Dies würde die Probleme der umlagefinanzierten Sozialen Pflegeversicherung im demografischen Wandel weiter verschärfen und wäre weder generationengerecht noch verteilungspolitisch gerecht. Schon im ersten Jahr der Einführung würden dabei allein für die stationäre Pflege Mehrkosten in Höhe von 8,5 Milliarden Euro entstehen. Entsprechend müsste der Beitragssatz um ca. 0,5 Beitragssatzpunkte angehoben werden.

Gut zwei Drittel der Rentnerhaushalte in Deutschland können die Pflegekosten selbst tragen. Im Fall einer Vollversicherung – von der Solidargemeinschaft finanziert – würde das private Vermögen dieser Haushalte entsprechend geschont. Eine gezielte Unterstützung Bedürftiger sieht offensichtlich anders aus.