Vertriebsexperte Martin Stenger
procontra: Herr Stenger, auf dem Fondspolicen Summit in Hamburg haben Sie kürzlich die Lebensversicherer davor gewarnt, das BaFin-Merkblatt zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten auf die leichte Schulter zu nehmen. Warum ist dieses Merkblatt so wichtig?
Martin Stenger: Darin wird das klare Verständnis der Aufsicht formuliert, wie man seit Einführung der Versicherungsvertriebsrichtlinie IDD im Februar 2018 als Versicherer zu handeln hat – etwa bei der Bestimmung von Zielmärkten für neue Produkte. Daher setzt dieses Merkblatt auf bestehenden Regelungen auf und muss keine eigene Regelungswirkung mehr entfalten. Zusätzlich verweist es auch auf Veröffentlichungen der europäischen Aufsicht. Damit hat die deutsche Aufsicht sich auch mit ihrer Auffassung europäisch eingebettet aufgestellt.
procontra: Welche Punkte in dem Merkblatt verdienen aus Ihrer Sicht besondere Aufmerksamkeit?
Stenger: Aus meiner Sicht verdienen zwei Punkte erhöhte oder verstärkte Aufmerksamkeit: einmal der Punkt, dass nicht mehr nur das Kollektiv schützenswert ist, sondern auch Kunden, die vorzeitig ihren Vertrag beenden. Und der Punkt, dass der Produktgeber mit dafür Sorge trägt, dass eine regelmäßige Überprüfung des Zielmarktes hinsichtlich der Erwartungshaltung des Kunden für Rendite und Sicherheit zu erfolgen hat.
procontra: BaFin-Versicherungsaufseherin Julia Wiens kritisiert ja insbesondere den häufig geringen Kundennutzen mancher Produkte? Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Stenger: Den Wunsch von Frau Wiens, dass jeder Kostenposition ein Kundennutzen entgegenstehen muss, kann man grundsätzlich nachvollziehen. Lediglich der Punkt, bei dem sie auch Verträge, die frühzeitig storniert werden, in ein ähnliches Schutz-Umfeld setzt, ist aus meiner Sicht nicht ganz nachvollziehbar.
procontra: Die Kritik der BaFin richtet sich an die Versicherer. Welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit der Vermittler? Bekommt Bestandskundenpflege zukünftig wieder einen höheren Stellenwert?
Stenger: In der Tat wird man die Arbeit am Bestand neu bewerten müssen. Jeder Versicherer wird sich die Frage stellen müssen, ob er das selbst erledigt oder ob er sich die Pflege des Bestandes unter Einhaltung der von der BaFin geforderten Schritte durch den Vermittler dokumentieren lässt – oder diese Dokumentation durch eigene Maßnahmen begleitet. Auf jeden Fall beendet die BaFin die bisherige Auffassung, mit einer Courtagevereinbarung ließen sich gewisse Pflichten für die Beratung eines Vertrages während seiner Laufzeit ausschließlich auf den Vermittler abwälzen.
procontra: Mit dem neuen Jahr soll die Digitale Rentenübersicht (DRÜ) eingeführt werden. Könnte das den Beratungsdruck für Makler zusätzlich erhöhen?
Stenger: Die digitale Rentenübersicht ist sehr sinnvoll und eine gute Unterstützung für die Bürger, um zu wissen, welche Ansprüche sie – egal in welcher Schicht – bisher erworben haben. Sie auch zur Grundlage einer Beratung zu machen, ist daher als sehr sinnvoll anzusehen. Dabei wird es auch die eine oder andere Überraschung geben, wenn Menschen merken, dass sie sich besser abgesichert wähnten als sie das wirklich sind.
procontra: Das unabhängige Finanzmagazin procontra hat eine Initiative für eine bessere Beratung bei Fondspolicen gestartet. Geplant ist, eine Serviceplattform ins Leben zu rufen, mit deren Hilfe Vermittler ihre Fondsbestände im Sinne ihrer Kunden leichter überprüfen und optimieren können. Für wie sinnvoll halten Sie das?
Stenger: Plattform-getrieben die Verpflichtungen durch die BaFin anzugehen, halte ich für den richtigen Ansatz, um hier Technologie-basiert einen hohen Qualitätsstandard gewährleisten zu können. Sonst hätte dies auch zur Folge, dass ein Berater nur eine gewisse Anzahl von Kunden beraten könnte und dass er sich so selber in seinem Geschäft unnötig beschneiden würde.