Radikale Garantiezinssenkung: Aktuare erhöhen Druck auf die Bundesregierung
Die Corona-Krise hat die ohnehin niedrigen Kapitalmarktzinsen weiter gedrückt. Und statt eines perspektivischen Aufwinds steht zu erwarten, dass sich die Lage im kommenden Jahr sogar noch weiter verfinstern könnte. Dieser Umstand hat die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) nun dazu bewogen, eine noch drastischere Absenkung des Garantiezinses in der Lebensversicherung zu empfehlen, als zuvor – auf nur noch 0,25 Prozent statt bisheriger 0,9 Prozent.
Der Garantie- oder Höchstrechnungszins beschreibt die maximale Verzinsung, die Lebensversicherer ihren Kunden zusagen dürfen. „Obwohl die Versicherer ihre Kapitalanlagen in den vergangenen Jahren bereits auf das anhaltende Niedrigzinsumfeld angepasst haben, spiegeln sich die jüngsten Kapitalmarktverwerfungen unweigerlich in den Kapitalanlageergebnissen der Unternehmen wider. Zudem hat die EZB kürzlich angekündigt, dass sie Spielraum für weitere Zinssenkungen sieht“, begründete DAV-Vorstand Dr. Guido Bader den an das Bundeskabinett gerichteten Vorschlag.
Die Versicherungsmathematiker betonen zudem den wachsenden Zeitdruck: Damit die Versicherungen ihre Produkte rechtzeitig anpassen können, müsse die Bundesregierung bis Ende März 2021 über den Höchstrechnugnszins entscheiden. Sonst wäre eine Umstellung zu 2022 illusorisch. Die Sorge, dass die Bundesregierung die Entscheidung herausschiebt, kommt nicht von ungefähr: Bereits im Dezember 2019 hatte die DAV den Vorschlag ins Spiel gebracht, den Höchstrechnungszins auf 0,5 Prozent zu senken. Passiert ist bislang jedoch nichts. Lebensversicherer dürfen auch im kommenden Jahr noch Garantien auf Spareinlagen bis zur Höhe von 0,9 Prozent versprechen. Der Grund, den von Versicherungsmathematikern erarbeiteten Vorschlag politisch erst einmal nicht in die Tat umzusetzen, scheint aber nicht unbedingt strategischer Natur zu sein, das Thema genoss im Bundesfinanzministerium im Corona-geplagten Jahr offenbar keine Priorität. Sowohl die BaFin als auch das Ministerium folgen in der Regel den Empfehlungen der DAV.
Bislang blieb die Bundesregierung untätig, nun drängt die Zeit
Die BaFin hatte zuletzt verdeutlicht, den bisherigen 0,9-Prozent-Garantien einen Riegel vorschieben zu wollen. Es sei allerdings Aufgabe der Unternehmen, die Garantien ihrer Produkte kritisch zu hinterfragen, hieß es bislang. Alle Produkte, die mit einem jährlichen Garantiezins von 0,9 Prozent verkauft werden, behalten diesen immerhin bis zum Vertragsende bei. Daher müssen Lebensversicherer, die auch 2021 Garantien von 0,9 Prozent anbieten, dies gegenüber der BaFin gut begründen.
Die DAV plädiert dafür, zusammen mit der Absenkung des Höchstrechnungszinses auch den vollständigen Beitragserhalt bei der Riesterrente sowie der Beitragszusage mit Mindestleistung in der betrieblichen Altersversorgung (BZML) zu reformieren und die Garantien abzusenken. „Denn Produkte mit einer 100-Prozent-Beitragsgarantie sind in der heutigen Negativzinswelt aktuariell nicht mehr sinnvoll. Sie verengen die Spielräume für eine Kapitalanlage im Sinne der Versicherten“, so Dr. Bader.
Das hatte die Rating-Agentur Assekurata in dieser Woche bestätigt. Die Versicherer kämen nicht umhin, ihr Geschäftsmodell konsequent auf garantieärmere Produkte im Neugeschäft umzustellen. Schon ab dem kommenden Jahr will der LV-Marktführer Allianz keine Verträge mehr anbieten, die einen 100-prozentigen Erhalt der eingezahlten Beiträge garantieren. So soll weniger Kapital an die Erfüllung der Garantien gebunden und damit frei für kapitalmarktnahe Anlagen werden, die mehr Rendite erhoffen lassen. Andere Anbieter werden nachziehen, so stellte mit der Ergo bereits das nächste Branchenschwergewicht die Garantie infrage.