Terrorversicherung: Gewappnet gegen Katastrophen?!

Die Terrorversicherung hierzulande ist nicht mehr up to date. Das schwächt auch den Wirtschaftsstandort Deutschland. Eine Reform wirft ihre Schatten voraus und sollte auch von Vermittlern aufmerksam begleitet werden.

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12:12 Uhr | 05. Dezember | 2022
Terrorversicherung: Gewappnet gegen Katastrophen?! Bild: Eightshot-Studio

Terrorismus muss nicht zwingend Autos, Bomben und Flugzeuge bedeuten. Cyber-Angriffe auf Kraftwerke können weitverzweigte Schäden durch Stromausfälle hervorrufen. Versicherbar ist das bislang nicht. Bild: Eightshot-Studio

Wer hat die Explosionen an den Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 verursacht? Diese Frage stellt sich die ganze Welt seit Ende September etliche Millionen Kubikmeter dringend benötigtes Erdgas unwiederbringlich an die Oberfläche der Ostsee sprudelten. Stand jetzt gibt es zwar noch keine Spur zu den Tätern, es wird aber über einen möglichen Terrorakt diskutiert. Dafür gibt es zwar keine Beweise, es ist aber nicht unwahrscheinlicher als andere Täter-Theorien. Auch deshalb, weil Experten seit Jahren immer wieder darauf hinweisen, dass sich Terrorakte zunehmend auf Einrichtungen der kritischen Infrastruktur ausweiten oder sogar verlagern werden.

Das hat auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf dem Schirm. „Die Sabotageakte an den Ostsee-Pipelines und der Bahn-Infrastruktur haben gezeigt, dass der Schutz kritischer Infrastrukturen höchste Priorität haben muss“, sagte sie Mitte Oktober, nachdem Unbekannte wichtige Kabel entlang der Anlagen der Deutschen Bahn durchtrennt hatten. Daraufhin war es zu einem stundenlangen Ausfall des Bahnverkehrs in weiten Teilen Norddeutschlands gekommen. Der Terrorismus-Experte Peter Neumann hatte nach der Bahn-Sabotage in der Augsburger Allgemeinen Zeitung vor großen Sicherheitslücken beim Schutz der kritischen Infrastruktur gewarnt.

Es sei vor allem ein Problem, dass 80 Prozent der kritischen Infrastruktur in Deutschland nicht in staatlichen, sondern in privaten Händen lägen, sagte Neumann. Für viele Unternehmen sei es wirtschaftlich nicht lukrativ genug, größere oder überhaupt Schutzmaßnahmen ihrer Anlagen gegen Sabotage und Terror zu ergreifen – obwohl sie laut Bundesinnenministerium als Betreiber kritischer Infrastruktur für den Schutz ihrer Anlagen gegen eben diese Gefahren selbst verantwortlich seien. Umso relevanter wird für sie der Umfang ihres Versicherungsschutzes gegen Terror. Aber gibt es hier überhaupt passende Produkte? Oder hat die Terrorversicherung vielleicht eine Reform dringend nötig?

Nicht versicherbare Terror-Szenarien

Diese Fragen müssen sich die Versicherer derzeit gefallen lassen. Denn „moderne Terrorakte“ können auf einen Schlag viele Menschen und Unternehmen treffen und dadurch einen enormen wirtschaftlichen Schaden verursachen. Wenn beispielsweise ein Cyber-Angriff den Hauptcomputer eines großen Umspannwerks lahmlegt und dadurch große Gewerbegebiete oder ganze Städte keinen Strom mehr haben, sind viele Unternehmen mit Produktionsausfall, verdorbenen Waren oder einem Ausfall ihrer digitalen Dienstleistungen konfrontiert. Ein ähnliches Szenario ließe sich abzeichnen, wenn Terroristen die Trinkwasserspeicher einer Millionenstadt mit gefährlichen Keimen dekontaminieren würden. Was diese beiden Szenarien gemeinsam haben? Sie sind auch im Rahmen einer expliziten Terror-Police nicht versicherbar.

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„Cyberangriffe durch Hacker sind derzeit versichert, wenn dadurch ein Sachschaden entsteht. Führt beispielsweise ein terroristischer Hackerangriff dazu, dass Sicherheitssysteme von Maschinen nicht mehr funktionieren und die Maschinen daraufhin überhitzen und in der Folge explodieren oder verbrennen, ist dies derzeit versichert. Versichert ist dabei der Schaden der zerstörten Maschinen selbst und der aus diesem Sachschaden entstandene Betriebsunterbrechungsschaden“, erklärt Thomas Leicht, Vorstandsvorsitzender der Extremus Versicherungs-AG aus Köln. Sein Unternehmen wurde im Jahr 2002 aus einer Initiative der Versicherungswirtschaft und der Bundesregierung heraus gegründet, um das nach den Anschlägen des 11. September 2001 gestiegene Terrorrisiko zukunftsorientiert zu versichern.

Entscheidender Leistungsauslöser für die Terrorversicherung ist immer der Sachschaden. In den zuvor genannten Schadenbeispielen liegt dieser aber nicht oder zumindest nicht zwingend vor. „Bleiben die Maschinen in Folge des Hackerangriffs und der dadurch zerstörten oder veränderten Software unbeschadet, dann ist der daraus resultierende Betriebsunterbrechungsschaden nicht versichert“, so Leicht. Kontamination durch atomare, biologische oder chemische Stoffe ist bedingungsgemäß ebenfalls ausgeschlossen.

Ohne Sachschaden keine Leistung

Noch weiter von einer Leistung aus der Terror-Police entfernt als der Betreiber des Umspannwerks ist zum Beispiel die örtliche Bäckerei, deren tiefgefrorene Waren ohne Strom verderben, nicht aufgebacken werden können und die ihr Geschäft aufgrund computergesteuerter Anlagen gar nicht erst öffnen beziehungsweise nutzen kann. Hier pauschal auf das unternehmerische Risiko zu verweisen, kommt der Komplexität und Besonderheit des Szenarios nicht nahe. Denn welcher Unternehmer kalkuliert einen terrorbedingten mehrtägigen Stromausfall schon mit ein? Zwar betont man bei Extremus, dass auch leidtragende Unternehmen eines solchen Stromausfalls eine Entschädigung erhalten können. Allerdings nur, wenn sie eine eigene Extremus-Police abgeschlossen haben und selbst dann ist die Entschädigung auf 1 Prozent der Versicherungssumme für Betriebsunterbrechung limitiert. Und ganz entscheidend: Auch hier muss ein Sachschaden im Umspannwerk, zum Beispiel durch eine Explosion oder einen Brandanschlag, für den Stromausfall verantwortlich sein.

Zumal Extremus Gebäude beziehungsweise Objekte innerhalb der Bundesrepublik Deutschland erst ab einer Versicherungssumme von über 25 Millionen Euro versichert. Für geringere Summen kann Terrordeckung einfach bei den Sachversicherern abgeschlossen werden. Bei diesen ist die Terror-Deckung in der Regel bis zu einer bestimmten Höhe automatisch vereinbart, auch im Privatkundenbereich. Bei der Allianz beispielsweise ist das bis zu einer Versicherungssumme von zehn Millionen Euro der Fall. Zwischen zehn und 25 Millionen muss die Deckung dann individuell miteingeschlossen werden. Über 25 Millionen ist der Versicherer dann komplett raus aus der Terrordeckung und alles muss separat über Extremus abgedeckt werden.

Alternative Policen bieten auch kaum Schutz

Doch auch in die Policen der Sachversicherer für kleine und mittelgroße Unternehmen, die in den Beratungsbereich vieler Makler fallen, sind die Auswirkungen „moderner Terrorakte“ nicht eingepreist. „Das KMU kann selbst keinen Terrorschutz für seinen Energieversorger abschließen. Die bloße Unterversorgung mit Energie oder Rohstoffen stellt per se keinen Versicherungsfall in der Sach- und Ertragsausfallversicherung dar. Dies gilt auch, wenn durch die Unterversorgung Lieferketten beeinträchtigt oder unterbrochen werden“, erklärt ein Talanx-Sprecher auf procontra-Nachfrage. Zwar könne sein Haus im Rahmen der Cyberversicherung optional die Betriebsunterbrechung durch Cloud-Ausfall versichern. Dabei würden jedoch Terror- und Kriegsausschlüsse gelten, die im Einzelfall zu prüfen seien.

Die Axa verweist auf ihren Baustein „Kühlgut“, der zum Beispiel verdorbene Waren nach einem Stromausfall ersetzt. Dabei handelt es sich aber um keine spezielle Terrordeckung. Das Gleiche gilt für Rückwirkungsschäden, wenn zum Beispiel der Stromausfall bei einem direkten Zulieferer eingetreten ist und daraufhin die eigene Produktion stillsteht. Allerdings muss auch hier ein Sachschaden beim Zulieferer ursächlich sein.

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Echter Schutz vor solchen „modernen Terrorakten“ ist also sowohl bei den normalen Sachversicherern als auch bei Extremus nicht vorhanden. Dabei ist die Erweiterung des Terrorversicherungsschutzes ein dringender Wunsch großer Unternehmen. Erst Mitte November fiel die Entscheidung, die Staatsgarantie (bis zu 5,98 Milliarden Euro staatliche Leistung bei Terrorschäden über 2,52 Milliarden Euro) um zwei Jahre bis Ende 2024 zu verlängern. Dazu sagte der Vorstandsvorsitzende des Gesamtverbandes der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW), Alexander Mahnke: „Mit Blick auf die kommenden zwei Jahre darf keine Zeit vergeudet werden, um eine tragfähige Versicherungslösung aufzubauen, die nach Möglichkeit auch optionale Erweiterungen in territorialer Hinsicht und die Absicherung weiterer systemischer Risiken zulässt.“ Auf procontra-Nachfrage konkretisiert GVNW-Geschäftsführer Stefan Rosenowski den zweiten Teil dieses Anspruchs: „In materieller Hinsicht streben wir eine Ausdehnung auf systemische Risiken wie Cyber-, NatCat- und Pandemie an. Ein PPP-Modell (Anm. d. Red.: public private partnership = staatlich-privatwirtschaftliches Mischmodell) ist aus unserer Sicht notwendig und würde die zur Verfügung stehenden Kapazitäten bündeln.“

Das würde eine weitreichende Reform der Terrorversicherung bedeuten, die offenbar auch der GDV anstrebt. Dessen Hauptgeschäftsführer, Jörg Asmussen, sagte dazu: „Es herrscht jetzt Planungssicherheit für die Verhandlung neuer Versicherungsverträge. Nun müssen Staat und Privatwirtschaft die nächsten 24 Monate nutzen, um gemeinsam eine zeitgemäße und langfristig tragfähige Terrorversicherungslösung zu entwickeln.“ Dabei spielt wahrscheinlich auch die Höhe der Staatsgarantie eine Rolle. Zwar musste diese bislang nie angetastet werden – der höchste Terrorschaden von Extremus bewegte sich bislang im mittleren sechsstelligen Bereich – jedoch ist sie für internationale Konzerne ein wichtiger Faktor bei der Standortwahl. Ganz besonders, wenn diese teilweise kreditfinanziert sind, also zusätzlich auch noch Banken im Spiel sind, die nach Sicherheiten suchen. Denn laut Extremus-Chef Leicht bieten andere europäische Länder deutlich höhere Staatsgarantien als Deutschland.

Und wie sollten sich Makler in dem Staub verhalten, den all diese Reformbewegungen aufwirbeln? „Die Information eines Kunden zur Absicherungsmöglichkeit gegen Terrorschäden gehört sicherlich zu den Beratungspflichten eines Vermittlers“, bringt es der Talanx-Sprecher auf den Punkt. Das bestätigt auch Norman Wirth. Gerade in Zeiten, in denen sich das Angebot der Versicherer verändert, sollten die Vermittler den Markt intensiv screenen, um zu wissen, welche Risiken abgesichert werden können, so der Fachanwalt für Versicherungsrecht. Zudem betont er in diesem Zusammenhang einen wichtigen Grundsatz für Vermittler: „Gerade die ‚Neins‘ sollten dokumentiert werden.“

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