BU: Hoffnung auf Berufswechsel nicht versichert
Die BU-Artikel-Serie in procontra offenbarte, dass 50 Prozent Berufsunfähigkeit oft nicht leicht vom Kunden zu beweisen sind. Erst recht, wenn mehrere Tätigkeiten ausgeübt werden, sind Probleme bei der Leistungsregulierung programmiert (procontra berichtete). „Ein Sachverständiger darf nicht nur den zeitlichen Anteil bestimmter Tätigkeiten bemessen, sondern muss diesen untrennbar als Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorgangs werten“, sagt Versicherungsmakler Bert Heidekamp, zugleich Analyst und Sachverständiger für BU-, Unfall- und Pflegeversicherungen (procontra berichtete).
In diesem Zusammenhang hatte der Bundesgerichtshof (BGH) kürzlich zu entscheiden, wie der Berufsbegriff auszulegen ist, wenn der Kunde parallel zur bisher ausgeübten Tätigkeit eine selbstständige Tätigkeit ausübt und einen Berufswechsel dahin plant. Hierbei ging es vor allem um die Abgrenzung der Erwerbstätigkeit vom Hobby.
Mit Beschluss vom 16. Januar 2019 kamen die obersten Zivilrichter zu dem Schluss, dass die Klage des Kunden auf BU-Leistung keine Aussicht auf Erfolg hat (Az.: IV ZR 182/17). Daraufhin zog der Versicherungsnehmer seine Klage zurück. Spannend sind die Ausführungen des BGH dennoch, machte Björn Thorben Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht bei der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft, in einem Blog-Beitrag aufmerksam.
Angestellt und künftig selbstständig
Der Kunde hatte neben seiner Tätigkeit als Angestellter ein Einzelunternehmen gegründet, das sich mit Import und Zucht von Korallen befasste. Er beabsichtigte, später nur noch die Korallen-Firma zu betreiben, verdiente seinen Lebensunterhalt aber hauptsächlich durch seinen Angestellten-Job. In dieser Lebensphase stürzte er schwer aufs Knie und blieb trotz Operationen beim Gehen stark eingeschränkt und litt Schmerzen. Verletzungsbedingt konnte er sich nicht mehr um die Korallenzucht kümmern, meldete die Firma ab und stellte einen Antrag auf BU-Rente.
Der Versicherer lehnte die BU-Leistungen jedoch ab, da der Kunde als Angestellter noch zu mehr als 50 Prozent berufsfähig sei. Der Beruf als Korallenzüchter, in dem er zu 100 Prozent berufsunfähig wurde, sei bedeutungslos und mit Blick auf die Einkommensverhältnisse zu vernachlässigen. Der Versicherer musste auf die vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung ausgeübte und prägende Tätigkeit hin prüfen, ob der BU-Fall vorliegt (nach Paragraf 172 Absatz 2 VVG). Unter einem Beruf ist in diesem Zusammenhang eine echte, auf Dauer angelegte, dem Erwerb des Lebensunterhalts dienende, plan- und regelmäßige Tätigkeit zu verstehen.
BGH zur Auslegung des Berufsbegriffs
Der BGH stellt in seinem Beschluss klar, dass der Versicherungsschutz auch mehrere nebeneinander ausgeübte Tätigkeiten erfassen kann. Ein Beruf könne sich auch aus Haupt- und Nebentätigkeiten zusammensetzen oder mehrere zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeübte Tätigkeiten können als ein Berufsbild mit verschiedenen Bereichen anzusehen sein.
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Dennoch lehnten die Richter es im Fall des Korallenzüchters ab, den BU-Grad anhand einer Gesamtbetrachtung seiner angestellten und selbstständigen Tätigkeit zu ermitteln. Diese stellen nicht gemeinsam die versicherte Tätigkeit dar, da diese gerade nicht kumulativ, sondern alternativ der Erhaltung der Lebensgrundlage dienen sollten.
Zudem sei die Erwerbstätigkeit von Hobbies abzugrenzen. Laut BGH übte der Kunde seine selbstständige Tätigkeit bis zum Unfall als Hobby und noch nicht als Beruf neben seiner Angestelltentätigkeit aus. Maßgeblich bei der Abgrenzung sei, inwieweit ein Versicherter die konkrete Tätigkeit zur Erhaltung der Lebensgrundlage einsetzt - in diesem Fall nur durch Tätigkeit als Angestellter, die er nach dem Unfall noch zu 73 Prozent ausüben konnte und dafür volles Gehalt bezog. Daher kam eine BU-Leistung nicht in Betracht.
Geplanter Berufswechsel nicht versichert
Zu klären war außerdem, wie der Berufsbegriff auszulegen ist, wenn der Kunde parallel zur ausgeübten Tätigkeit Vorbereitungen zu einem Berufswechsel trifft. Dies kann nur anhand der besonderen Umstände des Einzelfalles entschieden werden, so der BGH. Tatschlich hatte der Kunde nur für die Zukunft gehofft, die Korallenzucht zur Lebensgrundlage zu machen und den Angestellten-Job zu beenden. Dies ist laut BGH eine „nicht versicherte Hoffnung“. Maßstab für die BU-Leistung bleibe somit allein die Angestelltentätigkeit, auch wenn der Versicherungsnehmer plante, das Hobby künftig als alleinige berufliche Tätigkeit auszuüben.
„Es existieren indes auch Grauzonen, etwa bei einer Hausfrau oder einem Hausmann“, betont Jöhnke. Widmet sich zum Beispiel eine berufstätige Frau wegen der Geburt ihrer Kinder der Erziehung und der Haushaltsführung, kann darin nur dann ein neuer Beruf gesehen werden, wenn ihre Übernahme auf einer bewussten beruflichen Entscheidung beruht, unter Aufgabe des bisherigen Berufs zum Lebensunterhalt nunmehr durch Hausarbeit beizutragen.
Dagegen sei ein Berufswechsel nicht anzunehmen, wenn sie die bisher ausgeübte Berufstätigkeit nur unterbricht, etwa aufgrund von Arbeitslosigkeit oder aus familiären Gründen, entschied der BGH mit Urteil vom 30. November 2011 (Az.: IV ZR 143/10). In diesem Falle sei das „alte“ Tätigkeitsbild für die BU-Leistungsprüfung zugrunde zu legen.
Hilfe bei Leistungsantrag sinnvoll
Jöhnke empfiehlt, die entsprechenden Tätigkeitsprofile des Versicherten bereits am Anfang des Verfahrens, also beim Leistungsantrag, schon qualifiziert herauszuarbeiten. Dies sei ohne juristische Hilfe kaum möglich. So zeige der Fall einer Friseurin, die von der Kanzlei beraten worden war, dass die Aufstellung eines Stundenplans für einen typischen Arbeitstag hilfreich war. Letztlich bewilligte die Württembergische Lebensversicherung schon nach acht Wochen den BU-Leistungsantrag in vollem Umfang, berichtet Jöhnke.
Die Frau hatte einen schweren Hörsturz mit bleibendem Tinnitus erlitten. Die Arbeit als Friseurin war wegen starkem Hörverlust, Tinnitus, Schwindel und Ausfallerscheinungen faktisch nicht mehr möglich. Zuhören war aufgrund der Schwerhörigkeit immer schlechter möglich, Kundenwünsche konnten nur rudimentär wahrgenommen werden. Auch Telefondienste zur Terminvereinbarung im Frisörsalon waren nicht mehr möglich.
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