BU-Serie (V): Berufsunfähig - und nun?

Berufsunfähig - und nun? Wie Makler im BU-Fall helfen können, zeigt der BU-Sachverständige Bert Heidekamp im fünften Teil der Serie um die Qualität von Berufsunfähigkeitsversicherungen, Leistungsfall und BU-Bedingungen.

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10:08 Uhr | 15. August | 2019
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Im BU-Fall erwartet der Kunde schnelle Leistung, doch die individuelle Prüfung dauert. Gut, wenn der Makler Erfahrung mit der Leistungsregulierung hat, sagt BU-Sachverständiger Bert Heidekamp. Bild: Pohl

„Wenn der Kunde Leistungen beantragt, schlägt für ihn die Stunde der Wahrheit“, erklärt Versicherungsmakler Bert Heidekamp, zugleich Analyst und Sachverständiger für BU-, Unfall- und Pflegeversicherungen. Verunsicherung sei oft die Regel bei der Erstprüfung der BU, hat Heidekamp beobachtet. Das müsse aber nicht sein.

Heidekamp ist auch Inhaber der Online-Plattform fairtest.de, die Versicherungsbedingungen analysiert und bewertet sowie Hilfen rund um den Versicherungsschutz anbietet. Darüber hinaus begleitet Heidekamp Kunden auch bei der Beantragung von BU-Leistungen. „Besonders vor der ersten Antragstellung auf Leistung aus der BU-Versicherung sollten Makler das Vorgehen mit dem Kunden besprechen und je nach Situation einen Sachverständigen hinzuziehen“, weiß Heidekamp. Günstig sei es auch, eine Privat-Rechtsschutzversicherung wegen des Prozesskostenrisikos zu besitzen. Wichtig: Die Rechtsschutz-Police muss mindestens drei Monate vor BU-Vertragsabschluss bestanden haben, wenn es sich um eine vorvertragliche Anzeigenpflichtverletzung handelt.

Anwälte mit ins Boot holen, aber es gibt auch Schattenseiten

In der Regel hat der Vermittler entweder im Agenturvertrag mit dem Versicherer oder der Makler mit dem Kunden über den Maklervertrag auch eine Betreuungsverpflichtung im Leistungsfall vereinbart. „Beantragt aber der Vermittler die BU-Leistung für seinen Kunden, darf er keine Fehler machen“, sagt der Makler. Manche Berufskollegen seien zu wenig fit im BU-Fall. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts wäre eine Möglichkeit, „doch da gibt es Sonnen- und Schattenseiten“, so der BU-Sachverständige.

Ihm lägen BU-Fälle vor, wo ein Fachanwalt für Sozialrecht Ansprüche des Kunden auf Erwerbsminderungsrente durchboxte, aber bei der BU-Rente komplett scheiterte. „Bei Fehlern ist es aber sehr schwer, diese Fälle noch zu retten“, weiß Heidekamp aus Erfahrung. Auch Fachanwälte für Versicherungsrecht - dieser Fachanwaltstitel wurde 2003 eingeführt – seien von unterschiedlicher Qualität, zumal sich einige in der Gewerbe- oder Schadensparte spezialisiert haben, nicht aber auf BU-Absicherung. Einige vertreten regelmäßig Versicherer, was zu Interessenkonflikten führen könnte.

Bei Streit mit dem Versicherer im BU-Fall können unterschiedliche Gerichte zuständig sein. Beispiel betriebliche BU-Versicherung: Lehnt der Versorgungsträger die Leistung aus einer betrieblichen BU-Versorgung ab, so könnte das Arbeitsgericht zuständig sein, wo zahlreiche Besonderheiten gegenüber Verfahren vor den Zivilgerichten zu beachten sind. „Darüber sollte der Vermittler schon bei der Anbahnung von bAV-Geschäften den Arbeitgeber und die Arbeitnehmer informieren“, rät Heidekamp.

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Zunehmend Sachverständige in BU-Prozessen

Das A und O sei die Dokumentation der Beratung. Wer beispielsweise auf die Teilzeitklausel im Angebot verzichtet und dies nicht dokumentiert, könnte in die Haftungsfalle tappen. Zunehmend erforschen Gerichte nach Heidekamps Beobachtung die „Rückwärtsbetrachtung“. Das bedeutet: Das Gericht kann bei einem Sachverständigen anfragen, welche Tarife im Jahr des Vertragsabschlusses möglich waren (unter Berücksichtigung der Annahmewahrscheinlichkeit) und inwieweit sie sich unterscheiden. Die Ergebnisse dazu liefern heutzutage zunehmend Rating-Unternehmen.

Laut Rating-Agentur Franke und Bornberg wurden 2017 bei sechs wichtigen Versicherern fast 83 Prozent aller BU-Leistungsanträge positiv beschieden. Nach der brandaktuellen BU-Leistungspraxisstudie ist der häufigste Grund für eine Ablehnung, dass der versicherte Grad der Berufsunfähigkeit (mindestens 50 Prozent sind nötig) nicht erreicht wurde (56 Prozent). Zweihäufigste Ursache sind Anfechtung oder Rücktritt durch den Versicherer wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht durch den Kunden (24 Prozent). Makler sollten solche Statistiken kennen, so Heidekamp.

In diesem Zusammenhang findet er BU-Verträge mit Leistung bei Arbeitsunfähigkeit (AU-Klausel) wichtig (procontra berichtete). Aus seiner Erfahrung würde die Anerkennung der BU-Leistung durch den Versicherer bei Policen mit AU-Klausel in 30 Prozent der Fälle gelingen. Ohne diese Klausel bekämen Kunden zumindest nicht so schnell und reibungslos eine BU-Leistung.

Wichtige Punkte bei der Leistungsprüfung

Zunehmend seien Gerichte und auch Versicherer im BU-Fall auf die Expertenmeinung von Sachverständigen angewiesen. „Der gerichtliche Sachverständigenbeweis hat in einem Gerichtsprozess den größten Beweiswert“, sagt Heidekamp, der selbst zertifizierter Sachverständiger (DIN EN ISO/IEC 17024BDSF) ist und nach eigenen Angaben mehrere Prüfungen absolviert und somit eine somit eine internationale Anerkennung hat.

Im BU-Fall kommt es auf mehrere Punkte an, zum Beispiel:

1. Die bisherige Tätigkeit muss genau beschrieben werden. Konkret ist der zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls ausgeübte Beruf maßgeblich und muss genau und nicht durch Sammelbegriffe beschrieben werden (konkrete Arbeitsbeschreibung). „Dazu gehören Arbeitsfeld und die Anforderungen im Einzelnen, so dass für einen Außenstehenden nachvollziehbar ist, welche Leistungsfähigkeit noch besteht“, erklärt Heidekamp.

2. Tätigkeiten und deren Zeitanteil. Attestiert ein Gutachter des Versicherers nur 20 Prozent BU, sei es ratsam zu prüfen, ob der Maßstab überhaupt stimmt. „Es ist nicht nur der zeitliche Anteil bestimmter Tätigkeiten zu bemessen, sondern diese untrennbar als Bestandteil eines beruflichen Gesamtvorgangs zu werten“, betont Heidekamp. Mit der neuen Teilzeitklausel (procontra berichtete) käme der zeitlichen Bewertung in Bezug auf den BU-Grad eine neue Bedeutung zu, die es ebenfalls zu berücksichtigen gelte.

Übrigens: Hat ein Rechtsanwalt für seinen BU-Mandanten ein Privatgutachten als Gegengutachten angefordert, wäre es ratsam, das Gericht darüber zu informieren und den Sachverständigen unbedingt mit zum Gerichtstermin zu nehmen, rät Heidekamp. Grund: So könne eine Gegenüberstellung gewährleistet und zudem geprüft werden, ob der gerichtlich bestellte Sachverständige sich mit allen Argumenten auseinandergesetzt hat.

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3. Vorvertragliche Anzeigenpflichtverletzung. Der Kunde muss die Gesundheitsfragen bei Vertragsabschluss wahrheitsgemäß beantworten und auch alle Erkrankungen angeben, nach denen in Textform gefragt wird. Schummeln lohnt nicht, denn im BU-Fall wird der Versicherer nachträglich vom Vertrag zurücktreten oder zumindest keine BU-Leistung bezahlen. „Durch ein selbstständiges Beweisverfahren könnte der Sachverständige für zusätzliche Sicherheit beim Rechtsstreit sorgen“, so Heidekamp.

Falschangaben können teuer werden

Besonders bei Anträgen mit verkürzten Gesundheitsfragen gebe es in jüngster Zeit immer wieder Fälle, wo Versicherer den Vertrag wegen arglistiger Täuschung des Kunden erfolgreich angefochten haben. Beispiel: Der Kunde hatte eine MS-Erkrankung nicht angegeben, da nicht danach gefragt wurde. Aber die Frage, ob er uneingeschränkt arbeiten kann, bejahte der Versicherte, obwohl er um seine krankheitsbedingten Einschränkungen wusste. Das Oberlandesgericht Karlsruhe gab dem Versicherer recht, der somit nicht zahlen muss (Az.: 12 U 156/16).

4. Nachprüfung: Bei der Nachprüfung einer laufenden BU-Leistung muss darauf geachtet werden, dass für die Beurteilung auf die Tätigkeit abgestellt wird, die in der Leistungsanmeldung geschildert wurde und die dem Anerkenntnis zugrunde liegt. Ist das Anerkenntnis nicht befristet, kann sich der Versicherer nur im Nachprüfungsverfahren aus seiner Leistungspflicht lösen.

Fingerspitzengefühl bei der Schadenhilfe

Auch wenn die Schaden-/Leistungsbearbeitung dem Pflichtenkreis des Versicherungsmaklers zugerechnet wird, sollte im BU-Fall überlegt werden, wie weit man als Makler selbst den Fall begleiten möchte. „Vor Anmeldung eines Leistungsfalls würde ich den Fall einem spezialisierten Sachverständigen übergeben, wenn ich als Vermittler unsicher bin“, ermuntert Heidekamp seine Kollegen zur Netzwerkarbeit.

„Haftungsrisiken kann gerade auch die Schadenhilfe mit sich bringen“, weiß der Sachverständige. So seien Fristenhinweise und Rechtsfolgen zu berücksichtigen, insbesondere bei befristeten Anerkenntnissen und AU-Leistungen.

Die bisherigen Teile der Serie

Zur Chronologie der sechsteiligen BU-Serie: Im ersten Teil ging es am 18. Juli um die innovative Teilzeitklausel, die es Teilzeitbeschäftigten ermöglicht, im BU-Fall faire Leistung zu bekommen. Im zweiten Teil stand am 25. Juli die Kindervorsorge im Mittelpunkt. Teil drei befasste sich am 1. August mit der Beitragsfreiheit der Altersvorsorge im BU-Fall, Teil vier am 8. August mit Problemen zwischen BU- und Krankentagegeld-Schutz bei längerer Arbeitsunfähigkeit.

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