Sozialbeiträge: Kaum Entlastung für Betriebsrentner
Viele Betriebsrentner zahlen vollen gesetzlichen Kranken- und Pflegebeitrag auf ihre Rente, obwohl sie schon in der Berufsphase SV-Beitrag gezahlt hatten – Stichwort Doppelverbeitragung I. Und nach Beendigung der Beschäftigungsphase müssen Betriebsrentner auch noch den Arbeitgeberanteil an die Kranken- und Pflegekasse entrichten – Stichwort Doppelverbeitragung II. Bis Ende 2003 wurden gesetzlich Versicherte nur mit dem halben Beitragssatz herangezogen. Privatversicherte waren und bleiben verschont.
Diesen unhaltbaren Zustand, der wegen der klammen Sozialkassen von Rot-Grün herbeigeführt worden war, wollte die Politik eigentlich beseitigen (procontra berichtete). Doch die letzten zwölf Monate waren vor allem von einem kleinlichen Streit um die Kosten geprägt, die mit 2,6 Milliarden Euro veranschlagt wurden.
Kleinlicher Kostenschacher
Das ließe sich im Prinzip aus der Portokasse bezahlen. Dazu müssten die Beiträge zur GKV um etwa 0,214 Prozentpunkte angehoben werden, hatte der GKV-Spitzenverband ausgerechnet. Bei paritätischer Finanzierung wären das pro Arbeitnehmer mit 3.000 Euro Bruttolohn lediglich 0,107 Prozentpunkte oder 3,21 Euro mehr im Monat (procontra berichtete). „Das geht nicht", hatte aber Angela Merkel interveniert (procontra berichtete). Dann passierte über Monate – nichts.
Am letzten Sonntag zauberte die GroKo dann die Grundrente aus dem Hut. Die hat zwar mit der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten erst mal gar nichts zu tun. Aber Politik gilt ja als Kunst des Kompromisses. Also garnierte die SPD ihr Lieblingsprojekt Grundrente mit ein paar „Krümeln“ für die bAV-Entlastung und fertig war die Laube. Die Idee stammt von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil: Wenn Millionen von der Grundrente profitieren, würde dies zu deutlich höheren Einnahmen in der GKV führen und damit deren Einnahmeausfälle durch Abstriche bei der Doppelverbeitragung kompensieren.
Grundrente, bAV-Entlastung und Finanzsteuer vermengt
Herausgekommen ist für die bAV im Schlepptau der Grundrente zweierlei:
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Der Kompromiss ist eindeutig faul, denn irgendwie werden Grundrente, Abschwächung der doppelten SV-Beiträge in der bAV und die geplante Finanztransaktionssteuer in einen Topf geworfen. Die Regierung rechnet sich so die Beitragsausfälle der Kranken- und Pflegeversicherung schön und hat nun jährlich nur 1,2 Milliarden statt 2,6 Milliarden Euro Kosten.
Das Gros will die SPD durch die genannte Transaktionsteuer gegenfinanzieren, die weder in der Koalition noch in der EU abgestimmt ist und somit vorerst als Luftbuchung erscheint. Und in der Sache die betriebliche wie private Altersversorgung weiter schwächen würde: Denn damit würden nach den Zinsanlegern auch die Aktienanleger (und damit auch Sozialpartnermodelle oder sonstige bAV) zur Ader gelassen, obwohl es der deutschen Altersversorgung schon jetzt wegen zu geringer Kapitaldeckung an Zukunftsfestigkeit mangelt. Vernünftig klingt das nicht.
Milchmädchenrechnungen der Politik
Trotzdem hofft die Koalition, damit den Druck aus dem Kessel bei den Protesten zu nehmen. Für rund 60 Prozent der Betroffenen, deren Betriebsrente jeweils höchstens 320 Euro im Monat beträgt, würden sich die SV-Beiträge mindestens halbieren, behauptet das Gesundheitsministerium. Renten unterhalb des Freibetrages blieben wie bisher beitragsfrei. Für alle übrigen würde sich die Belastung jeweils um rund 300 Euro pro Jahr verringern.
Eine Milchmädchenrechnung, wie ein Beispiel zu Kapitalabfindungen von Direktversicherungen zeigt: Hier wird der Zahlbetrag rechnerisch auf zehn Jahre verteilt und der so ermittelte theoretische Monatsbetrag mit Kassenbeitrag belegt. Dabei handelt es sich häufig um größere Summen, so dass die prozentuale Entlastung durch die Neuregelung kaum spürbar ist, kritisierte der Verein der Direktversicherungsgeschädigten in der Neuen Westfälischen Zeitung.
Je höher die Bezüge, desto weniger fällt die geplante Entlastung ins Gewicht. Gegenüber der heutigen Regelung hat der Versorgungsbezieher mit 1.000 Euro monatlich lediglich eine Entlastung von 31 Euro im Monat, so der Verein. Dieser Betrag verändere sich dann nicht mehr, egal wie hoch der Versorgungsbezug ist.
Risiken und Nebenwirkungen bleiben
Mit anderen Worten: Entlastet werden durch den Freibetrag lediglich Betriebsrenten bis knapp unter 19.000 Euro Kapitalabfindung. Bei dieser Summe käme fiktiv nur eine Monatsrente von rund 75 Euro zustande. Für eine armutsfeste Betriebsrente bräuchte es aber deutlich höhere Auszahlungen. Und die bleiben oberhalb des Freibetrages weiterhin mit satten rund 18,6 Prozent beitragspflichtig - in der Kranken- und Pflegekasse.
Am schlimmsten trifft es jene Arbeitnehmer, die weit vor 2004 noch arbeitgeberfinanziert Policen abgeschlossen hatten und damit komplett SV-beitragsfrei blieben. Die später eingeführten Neuerungen führten nachträglich bis heute zu über 50 Prozent SV-Belastung bei Direktversicherungs-Kapitalabfindungen. Kein Wunder, dass die Betroffenen weiter darauf pochen, dass die SV-Beiträge auf Betriebsrenten zumindest wieder halbiert werden - möglichst auch nachträglich.
Das Problem ist also nur an der Oberfläche angefasst worden. Und selbst dieser Ansatz bleibt wacklig, denn der Kompromiss rund um die Grundrente ist weder ausfinanziert noch Gesetz. Ein großer Wurf sieht anders aus, aber kann man den von Großen Koalitionen überhaupt erwarten?