Kfz in der Krise

„Rechne für 2025 nicht mit einer Schadenkostenquote von unter 100“

Die Kfz-Versicherer schreiben hohe Verluste und werden die Prämien auch in dieser Wechselsaison stark anpassen müssen. Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV, erklärt die Hintergründe und mögliche Auswege aus der Krise.

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10:09 Uhr | 10. September | 2024
Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV

Anja Käfer-Rohrbach, stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des GDV

| Quelle: GDV

procontra: Die Kfz-Anbieter schreiben hohe Verluste, was sogar die BaFin auf den Plan rief. Machen Ihnen die Entwicklungen Sorge?

Käfer-Rohrbach: In 2023 waren die Verluste von drei Milliarden Euro und eine Schadenkostenquote von 111 Prozent schon sehr deutlich und wir rechnen auch für 2024 in der Kfz-Sparte mit einem Verlust von zwei Milliarden Euro und einer Schadenquote von etwa 106 Prozent. Die Gründe für diese Entwicklung liegen allerdings nicht bei den Versicherern. Vielmehr sind Inflationseffekte spürbar durch die sich sowohl Ersatzteile als auch die Werkstattkosten extrem verteuert haben, mit direkten Auswirkungen auf die Schadenvolumina. Hinzu kommt, dass die Prämien der Inflation zeitversetzt folgen.

procontra: Gibt es nicht aber auch hausgemachte Gründe für eine defizitäre Schadenkostenquote? Schließlich dient die Kfz-Sparte seit jeher auch als Sparte, um über einen harten Preiskampf neue Kunden zu gewinnen. Haben es die Anbieter hier übertrieben?

Käfer-Rohrbach: Ich denke, wir haben im Kfz-Bereich einen sehr gut funktionierenden Wettbewerb mit vielen Anbietern. Im Gegensatz dazu sehen wir, in welchem Missverhältnis die Kostensteigerungen in den Werkstätten oder bei den Ersatzteilen zur tatsächlichen Inflationsrate stehen. Während der Verbraucherpreis-Index von 2013 bis 2023 um knapp 28 Prozent stieg, erhöhten Autohersteller ihre Ersatzteilpreise um mehr als 70 Prozent. Kofferraumklappen und hintere Seitenwände wurden in diesem Zeitraum 93 Prozent, Rückleuchten sogar 97 Prozent teurer.
Parallel dazu werten wir seit 2017 auch die Entwicklung der Werkstattpreise aus und sehen hier einen ganz ähnlichen Effekt: Die Werkstattkosten stiegen von 2017 bis 2022 um fast 30 Prozent, die Inflationsrate im gleichen Zeitraum nur um 14 Prozent. Dieser Entwicklung müssen wir bei der Regulierung der Schäden Rechnung tragen.


procontra: In der Vergangenheit gab es immer Phasen einer Combined Ratio (CR) von über 100, gefolgt von Phasen mit einer Quote unter 100. Ist die aktuelle Situation überhaupt dramatisch oder ist das der normale „CR-Zyklus“?

Käfer-Rohrbach: Es war erwartbar, dass die CR nach Corona wieder ansteigt. Verstärkt kamen die Inflation, Energiekosten und Lieferengpässe hinzu, wodurch der Anstieg deutlicher ausfiel als in der Vergangenheit. Wann die CR wieder unter 100 sinkt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie etwa den tendenziell höheren Reparaturkosten von E-Fahrzeugen oder die komplexe und eben auch teure Technik in den Fahrzeugen insgesamt.
Zunächst bleibt den Versicherern das Mittel der Prämienanpassung, das die BaFin eingefordert hat. Hierdurch hat sich bereits ein positiver Effekt in der CR-Entwicklung von 2023 zu 2024 gezeigt. Dennoch gehe ich nicht davon aus, dass wir in 2025 schon wieder eine CR von unter 100 sehen werden, sondern die aktuelle Zyklusphase noch etwas anhält.

Der Kostenentwicklung bei Ersatzteilen und in den Werkstätten müssen wir bei der Regulierung der Schäden Rechnung tragen.
Anja Käfer-Rohrbach


procontra: Nun können Prämienerhöhungen nicht die alleinige Antwort auf die Kostensteigerungen in der Schadenregulierung bleiben. Braucht es nicht zwingend flächendeckend individuelle Kfz-Tarife, die das Fahrverhalten und die tatsächliche Nutzung stärker berücksichtigen?

Käfer-Rohrbach: Die Fahrzeugdaten und damit verbunden die Telematiktarife sind wichtige Zukunftsthemen, die im Idealfall zu einem besseren Fahrverhalten führen könnten. Alle modernen Fahrzeuge erheben diese Daten bereits. Allerdings liegt die Datenhoheit bei den Fahrzeugherstellern, die damit eigene Geschäftsmodelle verfolgen. Das heißt, als Versicherer kommt man da nicht so einfach ran, um damit prämienoptimierte Tarife kalkulieren zu können.
Stattdessen müssen wir eigene Systeme, sei es eine App oder eine eigene Hardware, zusammen mit den Versicherten etablieren, um diese Daten zu erheben. Wir haben uns bereits dafür stark gemacht, dass die Fahrenden selbst die Hoheit über die Daten ihrer Fahrzeuge erlangen, um die Verwendung selbst zu bestimmen. Bislang ohne Erfolg.


procontra: Klingt nach einer Sackgasse für Telematiktarife.

Käfer-Rohrbach: Das würde ich nicht sagen. Wir müssen momentan halt mit eigenen Tools versuchen, das Fahrverhalten zu ermitteln, um so zu einer besseren Risikobewertung zu kommen. Das wäre mit den Daten, die die Fahrzeuge ohnehin produzieren, natürlich einfacher. Diese Daten zu teilen, wäre auch im Interesse der Hersteller, da damit ein wichtiger Kostenblock, nämlich die Absicherung des Kfz, in der Gesamtkostenbetrachtung reduziert werden könnte.


procontra: Nicht nur die hohe Schadenkostenquote macht den Anbietern momentan zu schaffen, auch die Tendenz der Beschwerden ist negativ. Wo liegen hier die Gründe?

Käfer-Rohrbach: Wie auch in anderen Branchen, stellt der Fachkräftemangel seit Corona auch die Versicherungsbranche vor Herausforderungen. Während der Pandemie waren die Schadenaufkommen deutlich geringer. Nun steigt das Volumen wieder an, aber die Personaldecke ist noch nicht wieder auf Vor-Corona-Niveau, was zwangsläufig zu längeren Bearbeitungszeiten und damit auch zu mehr Kundenbeschwerden führt.
Ich will die Statistik nicht wegwischen und die Versicherer sind dabei, die Prozesse zu beschleunigen, sei es durch mehr Personal und einem höheren Digitalisierungsgrad. Wenn man aber die Gesamtanzahl an Schadenfällen dagegenhält, die reibungslos abgewickelt werden können, dann relativiert das ein stückweit diese Statistik.

Mehr Hintergründe zu den Entwicklungen am Kfz-Markt erfahren Sie in der kommenden Printausgabe der procontra 05/24, die am 4. Oktober erscheinen wird.