Altersvorsorgepflicht: Selbstständige sollten gewinnabhängige Beiträge zahlen

Ab 2020 soll eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige gelten. Unklar ist noch, wie diese exakt aussehen soll. Tipps für die Umsetzung holte sich der Bundesausschuss bei Sachverständigen wie Dr. Reinhold Thiede. Für procontra kommentiert er seine Vorschläge.

07:03 Uhr | 06. März | 2019
Dr. Reinhold Thiede von der Deutschen Rentenversicherung Bund appelliert vor allem an eine möglichst unbürokratische Umsetzung der Altersvorsorgepflicht für Selbstständige.

Dr. Reinhold Thiede von der Deutschen Rentenversicherung Bund appelliert vor allem an eine möglichst unbürokratische Umsetzung der Altersvorsorgepflicht für Selbstständige. Bild: Deutsche Rentenversicherung Bund

Anders als in den übrigen 27 Staaten der Europäischen Union besteht in Deutschland bislang keine umfassende obligatorische Alterssicherung für Selbständige; rund 3 Millionen der insgesamt gut 4 Millionen Selbstständigen sind gegenwärtig nicht obligatorisch gesichert. Gleichzeitig ist die Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung im Alter bei vormals Selbstständigen doppelt so hoch wie unter zuvor abhängig Beschäftigten. Vor diesem Hintergrund wird seit langem eine obligatorische Alterssicherung für Selbstständige gefordert, um diese einerseits vor dem Risiko der späteren Altersarmut zu bewahren und andererseits die Gesellschaft vor dem Risiko zu schützen, über die Grundsicherung für die Versorgung derjenigen aufkommen zu müssen, die sich nicht freiwillig ausreichend absichern.

Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD Anfang 2017 vereinbart, die Einführung einer obligatorischen Alterssicherung für Selbstständige auf den Weg zu bringen. Während die Rentenversicherung eine Lösung präferiert hätte, bei der die bislang nicht obligatorisch gesicherten Selbständigen generell in die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) einbezogen werden, sieht der Koalitionsvertrag vor, dass den Betroffenen die Möglichkeit offensteht, an Stelle der Absicherung in der GRV für eine vergleichbare Absicherung durch andere Vorsorgeprodukte zu optieren („Opt-Out-Möglichkeit“). Dies macht die Absicherung der Selbstständigen – u.a. wegen der notwendigen Koordinierungs- und Prüfverfahren zwischen der GRV und den Anbietern von Opt-Out-Produkten – zwar komplexer und bürokratischer. Dennoch bleibt die obligatorische Alterssicherung aller Selbstständigen sinnvoll und machbar.

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"So bürokratiearm wie möglich"

Für eine erfolgreiche Umsetzung des Vorhabens ist es unabdingbar, das Verfahren für alle Beteiligten so bürokratiearm wie möglich zu gestalten. Aufwendige Vertrauensschutzregelungen könnten beispielsweise vermieden werden, wenn die Versicherungspflicht nur für neu aufgenommene selbstständige Tätigkeiten gilt. Um Mehrfachmeldungen der Selbstständigen zu vermeiden, sollten alle bereits im Bereich der Verwaltung vorhandenen Informationen (Meldung der Tätigkeit, Höhe der Einkünfte, etc.) durch entsprechende Vernetzung der Verwaltungsträger genutzt werden. Auch um Rechtssicherheit zu schaffen, bedarf es zudem der Festlegung einer „Positivliste“ der für ein „Opt-Out“ zulässigen Produkte; wobei Opt-Out-Produkte grundsätzlich die gleichen Risiken absichern sollten wie die GRV (Alter, Invalidität und ggf. Hinterbliebenenschutz). Der Beitrag schließlich sollte von der Höhe des individuellen Gewinneinkommens abhängen und unabhängig davon sein, ob die Absicherung in der GRV und in einem Opt-Out-Produkt erfolgt.

Je mehr es gelingt, die obligatorische Absicherung der Selbstständigen jener der Beschäftigten vergleichbar zu machen, umso mehr wird die sozialrechtliche Unterscheidung von Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit – und damit das Statusfeststellungsverfahren – verzichtbar werden. 

Dr. Reinhold Thiede ist Volkswirt und bei der Deutschen Rentenversicherung Bund als Leiter des Geschäftsbereichs Forschung und Entwicklung tätig. 

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