BdV-Solvenzstudie: „Fehlerhaft und intransparent“
Mit ihrer diesjährigen Auswertung der Solvenzberichte der deutschen Lebensversicherer haben der Bund der Versicherten (BdV) und Zielke Research Consult (ZRC) für enormes Aufsehen gesorgt. Nicht nur innerhalb der Versicherungsbranche, sondern auch in den Publikumsmedien und damit direkt bei den Kunden. Die Bild-Zeitung titelte in ihrer Montagsausgabe: „Lebensversicherer wackeln – was Sie jetzt tun müssen“.
BdV und Zielke kommen in ihrer Analyse zu dem Ergebnis, dass 22 der 84 untersuchten Versicherer entweder eine zu geringe Zahlungsfähigkeit oder eine negative Gewinnerwartung haben. „Die Branche driftet auseinander. Mehr als ein Viertel der untersuchten Unternehmen hat ernste Probleme“, kommentierte BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein.
Besonders schlecht kommt eine der Marktgrößen weg, die Huk-Coburg-Lebensversicherung. Laut den Verbraucherschützern ging ihre reine Solvenzquote, das heißt ohne Übergangsmaßnahmen, von 249 Prozent im Jahr 2018 auf 94 Prozent im Jahr 2019 zurück. Damit habe sie nicht nur die marktweit größte negative Veränderung zu tragen (-155 Prozentpunkte), sondern sei auch unter die kritische Grenze von 100 Prozent gesunken.
„Handwerkliche Fehler“
Die Coburger streiten dieses Attest vehement ab. „Herrn Zielke sind handwerkliche Fehler im Umgang mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen unterlaufen“, erklärte eine Sprecherin des Unternehmens auf procontra-Nachfrage. Begründet wird dies damit, dass die Verbraucherschützer bereitstehendes Eigenkapital der Huk-Coburg-Lebensversicherung in Höhe von 765 Millionen Euro nicht berücksichtigt haben. Diese Nichtanrechnung stünde im direkten Widerspruch zu den gesetzlichen Regeln von Solvency II.
Tatsächlich würde die reine Solvenzquote der Huk-Coburg-Lebensversicherung 125 Prozent betragen und mit Übergangsmaßnahmen sogar 293 Prozent, so die Sprecherin. Für den fränkischen Versicherer ist es nicht nachvollziehbar, „warum im Rating für einzelne Gesellschaften in der reinen Solvenzquote mehr oder weniger willkürlich Eigenmittel gekürzt werden, während bei anderen anscheinend die Quote ohne Übergangsmaßnahmen durch Anrechnung eben dieser Übergangsmaßnahmen erhöht wird.“ Unter dem Strich hält man bei der Huk-Coburg das ganze Rating von Zielke und BdV für „fehlerhaft und intransparent“.
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Vor allem den Vorwurf handwerklicher Fehler möchte Dr. Carsten Zielke auf keinen Fall auf sich sitzen lassen. Im Vergleich von Solvenzberichten sei man inzwischen führend in Europa, versicherte der ZRC-Geschäftsführer gestern in einem Statement. Zum Vergleich der reinen Solvenzquote habe er sämtliche Solvenzerleichterungen abgezogen. In diesem Jahr sei die Methodik verschärft worden, indem auch sogenannte ergänzende Eigenmittel (zum Beispiel nicht eingezahltes Grundkapital oder versprochene Nachrangdarlehen) abgezogen wurden.
Von dieser neuen Maßnahme ist unter anderem die Huk-Coburg besonders betroffen. „Die zunehmende Beliebtheit bei gleichzeitiger angespannten Zinssituation aber auch der Umstand, dass es keine Gegenpositionen weder in den Solvenz- noch in den HGB-Bilanzen der Garantiegeber gibt, hat uns veranlasst, in diesem Jahr derartiges weiches Kapital nicht mehr zu berücksichtigen. Zudem ist im Herbst letzten Jahres die juristische Frage aufgekommen, ob in einer Notsituation eine andere Sparte der Lebensversicherungsgesellschaft überhaupt Mittel zukommen lassen darf, ohne die eigenen Versicherungsnehmer zu schädigen“, erläutert Zielke die Entscheidung.
Die Nichtdarstellung dieser weichen Kapitalmasse bei den Garantiegebern könne außerdem dazu führen, dass wiederum die Solvenzsituation eben dieser Garantiegeber nicht korrekt dargestellt werde. Zu den unterschiedlichen Auswirkungen für die Lebensversicherer sagte Zielke: „Bei einigen Versicherern erhöht sich zwingenderweise die reine Solvenzquote, weil der Ausgleich über die Übergangsmaßahmen bzw. dem Volatility Adjustment dagegenlaufen.“
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Kritik an seinem Berechnungsmodell muss sich der Analyst auch vom GDV gefallen lassen. Ausschlaggebend für eventuelle Aufsichtsmaßnahmen sei die gemeldete Solvenzquote, also das Verhältnis aus anrechenbaren Eigenmitteln zu Kapitalanforderungen. „Alle deutschen Lebensversicherer haben eine Quote über 100 Prozent, kein Unternehmen ist also pleite“, relativierte der Gesamtverband gestern in einem Statement die aufmerksamkeitsstarken Aussagen Zielkes und des BdV.
Die in der Analyse verwendete Kennzahl „Gewinnerwartung“ sei zudem irreführend, da sie keine Aussage zu künftigen Gewinnen der Gesellschaft erlaube. Vielmehr sei der Anteil der ermittelten künftigen Gewinne, die den künftigen Prämienzahlungen zugeordnet werden können, von den Lebensversicherern bereits in ihren Eigenmitteln berücksichtigt worden. Der GDV betont: „Der Unternehmensgewinn und die Überschussbeteiligung für die Versicherten werden auch weiterhin nach der handelsrechtlichen Bilanzierung ermittelt. Im Branchenmittel werden die Versicherten zu über 95 Prozent an den Kapitalerträgen, Risiko- und Kostengewinnen der Lebensversicherer beteiligt.“
Zielke kontert. Zu behaupten, die Kenngröße „Gewinnerwartung“ habe keine Aussagekraft, würde die gesamte Modellierung im Standardmodell unter Solvency II infrage stellen. Schließlich würde inzwischen ein Großteil der Solvenz aus heutigen Annahmen für das zukünftige Geschäft bestehen. Laut dem Analysten handelt es sich natürlich nur um eine Momentaufnahme. Jedoch würde sie die langfristige Gewinnerwartungssituation zu diesem Zeitpunkt darstellen.
„die bayerische“ prüft rechtliche Schritte gegen Zielke und BdV
Auch die Versicherungsgruppe „die bayerische“ kommt in der BdV-Solvenzanalyse nicht gut weg. Sie zählt demnach zu den 16 Anbietern mit einer reinen Solvenzquote von unter 100 Prozent. Die Studie würde einige Zahlen aber grob fahrlässig interpretieren und daraus falsche Schlussfolgerungen ziehen, heißt es von Seiten des Münchener Versicherers.
Vielmehr seien Eigenkapital und Sicherungsmittel der Bayerische Beamten Lebensversicherung a.G. in den letzten Jahren überdurchschnittlich gestiegen. Die Ertragsaussichten des Unternehmens würden zudem deutlich besser aussehen als bei vielen anderen Lebensversicherern.
„Durch diese fehlerhafte Studie sehen wir uns absurden Unterstellungen ausgesetzt, die unsere Kunden verunsichern und geschäftsschädigend sein können“, sagte heute Dr. Herbert Schneidemann, Vorstandsvorsitzender der Bayerischen. „Dagegen wehren wir uns entschieden und prüfen rechtliche Schritte.“
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