Berufsunfähigkeit: Wie solide kalkulieren die Versicherer?

Die Analyse der Leistungspraxis zeigt bei BU-Versicherern deutliche Unterschiede und Tendenzen zur Unterkalkulation. Die Anbieter weisen die Vorwürfe von sich und ordnen die Ergebnisse anders ein.

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09:05 Uhr | 07. Mai | 2020
Wie seriös kalkulieren Versicherer? Diese Fragen ist für Makler nicht immer leicht zu beantworten.

Wie seriös kalkulieren Versicherer? Diese Frage ist für Makler nicht immer leicht zu beantworten. Bild: AdobeStock/ bilderstoeckchen

Die Leistungspraxis ist in der BU-Versicherung so intransparent wie kaum in einer anderen Sparte, sagt das Analysehaus Franke und Bornberg. Der Marktbeobachtungsdienst Map-Report, der seit 2019 zu Franke und Bornberg gehört, hat kürzlich das erste „Stabilitätsrating der Berufsunfähigkeits-Versicherer“ überhaupt vorgelegt. „Erste Wahl für Kunden müsste ein BU-Versicherer sein, der langfristig durch auskömmliche Kalkulation und eine starke Finanzausstattung sicherstellen kann, dass der Zahlbeitrag und damit die Überschusssituation konstant bleibt und trotzdem eine faire Leistungsprüfung garantiert ist“, erläutert Reinhard Klages vom Map-Report. In die Analyse gehen 21 Kriterien aus den Bereichen Beitrag, Stabilität und Finanzstärke ein.  

Insgesamt schafften nur sieben BU-Versicherer eine hervorragende Bewertung: Swiss Life, Allianz, AachenMünchener, LV 1871, Ergo Vorsorge, Nürnberger und Stuttgarter. Weitere 13 Gesellschaften erhielten die Ratingnote „sehr gut“ und nochmals 15 Gesellschaften die Note „gut“. Einmal wurde „befriedigend“ vergeben (Signal-Iduna). Wegen unvollständiger Datenlieferung blieben 26 BU-Versicherer ohne Rating, darunter Cosmos, Itzehoer, Bayern-Versicherung, LVM, Debeka und mehrere öffentliche Versicherer.  

Kalkulation bei vielen Anbietern unausgereift  

Die Beitragskalkulation der BU-Versicherer hat der Map-Report in drei verschiedenen Berufsgruppen untersucht – Bankkaufmann, Maschinenbauingenieur und Tischler. Als Benchmark dient das jeweilige Beitragsmittel aller verfügbaren BU-Prämien. Davon wichen die Beiträge in der Spitze um 50 Prozent (brutto) beziehungsweise 30 Prozent (netto) ab. Michael Franke, Geschäftsführer von Franke und Bornberg, sieht darin „deutliche Tendenzen zur Unterkalkulation“. Die Freude über einen günstigen Beitrag könne schnell in eine böse Überraschung umschlagen, wenn Versicherer ihren Zahlbeitrag erhöhen müssten oder sogar Druck auf deren Regulierungspraxis entsteht.  

Obwohl kaufmännische Angestellte zu den risikoarmen Berufen gerechnet werden, überraschen die Preisunterschiede beim Nettobeitrag, der im schlechtesten Fall bis auf den Bruttobeitrag angehoben werden kann. Im Schnitt bezahlt ein Bankkaufmann (30) für 1.500 Euro BU-Rente 113,71 Euro Brutto-Monatsbeitrag. Mindestens rund 30 Prozent weniger verlangen Dialog, Basler, Hannoversche und mit großem Abstand Canada Life (53,8 Prozent weniger). Sehr viel vorsichtiger kalkulieren VPV, LV 1871, HUK-Coburg und uniVersa, die mindestens 26 Prozent mehr als der Durchschnitt verlangen.  

Allerdings unterscheidet Canada Life nicht zwischen Brutto- und Nettobeitrag, sondern weist nur einen einzigen, voll garantierten Zahlbeitrag aus. „Das entspricht dem Standard für Risikoprodukte außerhalb Deutschlands“, meint Markus Drews im procontra. Für die Leistungen stehe Canada Life als „eine der finanzstärksten Versicherungsgruppen weltweit“ ein. „Das ist nach meinem Kenntnisstand eine gewagte These“, sagt Versicherungsmakler Gerd Kemnitz. Dass die kanadische Mutter für Leistungen der irischen Tochter einsteht, sei nicht sicher.  

Bei wem gibt es konkret Tendenzen zur Unterkalkulation? Namen wollte Christian Monke, fachlicher Leiter Analyse von Franke und Bornberg, nicht nennen. „Die kalkulierte Prämie im Vergleich zum Marktdurchschnitt ist einer von vielen Parametern, die Aufschluss geben über die langfristige Stabilität des BU-Geschäftes“, sagte er. Es gehe letztlich um die Summe der Schwachstellen. Insofern stehe das Risiko einer Beitragsanpassung im umgekehrten Verhältnis zu den Unternehmensbewertungen im Rating.  

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Nur wenige Anbieter mit großen BU-Beständen  

„Nur wenige Versicherer verfügen über ausreichend große eigene Bestände, um die Invaliditätswahrscheinlichkeiten daraus abzuleiten“, hat Monke beobachtet. Viele Versicherer bauten allein auf externe Daten. Unterkalkulation drohe, wenn aus über 20 Kriterien des Stabilitätsratings mehrere potentiell destabilisierende Faktoren zusammenkommen, beispielsweise ein niedriges Prämienniveau, großzügige Dynamikregelungen und eine schwache finanzielle Ausstattung des Versicherers.  

Das sollte Maklern bei diesen Gesellschaften zu hartnäckigen Nachfragen veranlassen, bevor BU-Geschäft eingedeckt wird: Inter, Württembergische, WWK, Landeslebenshilfe oder Dialog. Andere, die dem BU-Stabilitätsrating fernblieben, sollten allesamt kritisch hinterfragt werden.      

Müsste ein BU-Versicherer deklarierte Überschüsse auf breiter Front senken und damit die Zahlbeiträge erhöhen, wäre eine Abwärtsspirale wahrscheinlich. In der PKV zeigt sich seit einigen Jahren, wie Vermittler und Kunden in diesen Fällen reagieren: mit gezielter Umdeckung gesunder Kunden. „Mittel- bis langfristige Konsequenz ist die Entmischung des Kollektivs und damit eine weitere Beschleunigung der Talfahrt“, so Klages.      

Versicherer mit solider Kalkulation?!  

Die Versicherer selbst weisen den Vorwurf der Unterkalkulation weit von sich. Das macht die Marktrecherche für Makler nicht leichter. Beispiel Hannoversche: Die Tarife seien langfristig auskömmlich und nachhaltig kalkuliert. „Die Bewertung von Franke & Bornberg teilen wir deswegen nicht“, so ein Sprecher. Über die Sofortgutschrift könnten unerwartete Entwicklungen des BU-Risikos gesteuert werden. „Die Hannoversche hat noch nie die Sofortgutschrift im Bestand angepasst.“  

Beispiel Basler: „Die Prämienkalkulation unserer BU-Tarife ist seit Jahren solide, seriös und fair, das Risiko einer Untertarifierung oder Unterkalkulation sehen wir absolut nicht“, so ein Sprecher. Die Berufsdatenbank umfasse viele tausend Berufe, mit denen „wir insgesamt auf ein durchschnittliches Preisniveau kommen“. In über 60 Jahren mit BU-Angeboten habe die Basler „noch nie die Nettoprämie nach Überschussbeteiligung für bestehende BU-Verträge angehoben“.

Ähnlich verlautbart die Dialog Leben: Man sehe die eigene Preispositionierung als „angemessen“ an. „Die Solvenzquote von zuletzt 756 Prozent belegt zudem die sehr gute Risikokapitalausstattung der Dialog als reiner Biometrieversicherer“, heißt es. Die geringere Brutto/Netto-Spreizung sei ein Vorteil für den Kunden, zudem „hat die Dialog noch niemals ihre Nettoprämien im Bestand erhöht“.  

Dennoch: Mancher Versicherer hat in der jüngeren Vergangenheit seinen Zahlbeitrag erhöht. So mussten Kunden und Vermittler 2016 erleben, wie die WWK bei BU-Policen die Nettobeiträge im Bestand um bis zu 40 Prozent anhob. Auch Generali und HanseMerkur drehten an der Preisschraube. Bei der Generali, zu der die Dialog gehört, hatte die Kürzung der Überschussbeteiligung in der BU-Versicherung 2018 zu maximal 8 Prozent Beitragserhöhung geführt – für Verträge, die vor 2015 abgeschlossen wurden. Angesichts der anhaltenden Niedrigzinsen dürfte es auch in Zukunft zu gekürzter Überschussbeteiligung kommen.

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