DIN 77230: "Missbrauch gefährdet die Norm"

Warum sollten sich Makler, die mit der neuen DIN 77230 „Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte“ arbeiten wollen, zusätzlich zertifizieren lassen? Dr. Klaus Möller, Vorstand des DEFINO Instituts für Finanznorm AG Heidelberg, gibt darauf Antwort.

07:04 Uhr | 23. April | 2019
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procontra: Sie sehen bei der neuen DIN erhebliches Potenzial für missbräuchliche Nutzung: Wohin gehen genau Ihre Befürchtungen?

Dr. Klaus Möller: Je besser ein Produkt ist, umso größer ist der Anreiz, damit auch Missbrauch zu betreiben. Und die Norm ist gut. Insbesondere ist es sehr reizvoll, bei Verbrauchern mit dem Angebot einer Norm-konformen Finanzanalyse werben zu können. Allerdings ist der ganzheitliche Ansatz der Norm für viele, die bisher überwiegend Produktverkauf praktiziert haben, eine nicht ganz leicht zu bewältigende Herausforderung. Da lockt es schon, DIN draufzuschreiben, wo nicht wirklich DIN drin ist.

DIN 772230: So läuft die Zertifizierung

procontra: Wie läuft die Zertifizierung von Beratern ab, die die Norm konsequent nutzen wollen?

Dr. Möller: Für die DEFINO-Zertifizierung zum „Spezialisten für private Finanzanalyse | DIN 77230" müssen Finanzberater drei Voraussetzungen erfüllen: Zum einen die Nutzung einer Norm-konform arbeitenden Analyse-Software. Daneben unterzeichnen sie eine Selbstverpflichtung, die ganzheitliche Finanzanalyse immer dann, wenn sie gewünscht oder angeraten ist, ausschließlich und vollständig nach der DIN-Norm durchzuführen. Und schließlich weisen sie die Kenntnis der Norm durch Bestehen einer Prüfung nach. Die Kosten für die Zertifizierung betragen 380 Euro.

procontra: Teil der Zertifizierung ist also der Nachweis der Sachkunde über die Norm. Wo erhalten Berater entsprechendes Wissen?

Dr. Möller: Es gibt bereits eine ganze Reihe von Bildungsdienstleistern, die Lehrgänge anbieten, die mit der Zertifizierung durch DEFINO abschließen: z.B. BankenImpuls, das Campus Institut, die Deutsche Maklerakademie, das Finanzcolloqium Heidelberg und die Going Public Akademie für Finanzberatung, Die Zertifizierungsprüfung besteht aus einer einstündigen schriftlichen und einer etwa 15-minütigen mündlichen Prüfung. Die Prüfung wird durch uns zertifizierte Prüfer abgenommen.

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procontra: Und wie wollen Sie kontrollieren, dass Berater tatsächlich bei entsprechenden Anlässen – also zum Beispiel bei ganzheitlicher Beratung – die DIN nutzen?

Dr. Möller: Zunächst schafft die schriftliche Selbstverpflichtung ein hohes Maß an Verbindlichkeit. Und dann behalten wir uns auch vor, durch Testkäufe zu kontrollieren, ob alle ernst machen mit dem, was sie versprechen.

procontra: Wie läuft die Re-Zertifizierung nach zwei Jahren ab?

Dr. Möller: Die Re-Zertifizierung ist eine 30-minütige Online-Prüfung über Änderungen an der Norm, die sich in der Zeit seit der letzten Zertifizierung, z.B. bei den Rahmenparametern, ergeben haben können.

Ganzheitliche Beratung: Welche Software wirklich hilft

procontra: Woran erkennen Berater Software, die sie bei der Analyse nach DIN ganzheitlich unterstützt? Mit welchem finanziellen Aufwand ist dabei zu rechnen?

Dr. Möller: Am besten nutzt er eine Software mit DEFINO-Zertifikat. Wir prüfen Analyse-Software sehr sorgfältig auf vollständige Norm-Konformität und zertifizieren diese, wenn sie vorliegt. Zur Prüfung angemeldet sind bei uns Applikationen von Finanzportal 24, Finoso, Insinno, iS2, JCP, Sii, Softfair und Vorfina. Üblicherweise können Berater und Vermittler diese Software, soweit sie ihnen nicht von ihrem Vertrieb oder Pool zur Verfügung gestellt wird, gegen die Zahlung von Lizenzgebühren nutzen. Die Kosten variieren zwischen 20 und 50 Euro pro Monat.

procontra: Die DIN ist ja kein starres Instrument, sondern kann sich weiterentwickeln. Wie wirkt sich das auf die Zertifizierung der Berater und der Software aus?

Dr. Möller: Der Arbeitsausschuss beim Deutschen Institut für Normung, der die Norm in den vergangenen vier Jahren erarbeitet hat, entwickelt sie auch weiter, wenn Gesetzesänderungen das notwendig machen oder Erfahrungen in der Umsetzung es sinnvoll erscheinen lassen. Wir haben mit den kooperierenden Software-Häusern vertraglich vereinbart, dass wir sie laufend über Änderungen informieren und dass sie uns den Nachweis der unverzüglichen Umsetzung dieser Änderungen erbringen. Wir informieren selbstverständlich auch die zertifizierten Spezialisten durch unseren regelmäßigen Newsletter, den DEFINO-Brief. Bei größeren Änderungen kann im Einzelfall auch eine anlassbezogene, also außerplanmäßige Re-Zertifizierung erforderlich werden.

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procontra: Was befähigt Sie eigentlich dazu Berater zu zertifizieren, und wie weisen Sie diese Befähigung nach?

Dr. Möller: Als Initiator und maßgeblicher Treiber der Norm kennen wir sie natürlich so gut wie kaum ein anderes Institut. Und wir haben selbstverständlich auch ein besonders starkes Interesse an der redlichen Umsetzung der Norm. Wir haben die Norm initiiert, weil wir von ihr für alle Beteiligten etwas Gutes erwarten: nämlich vor allem mehr Vertrauen der Verbraucher in die Arbeit der Berater und Vermittler. Durch Missbrauch würde dieses Vertrauen konterkariert und unsere Initiative und die Arbeit aller Mitwirkenden an der Norm gefährdet. Daher haben wir eine natürliche Motivation, über die vollständige Umsetzung der Norm zu wachen und da, wo sie gegeben ist, das Gütesiegel eines entsprechenden Zertifikats darauf zu kleben. Wir als DEFINO-Institut streben unsererseits das Gütesiegel einer Akkreditierung durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) an. Die DAkkS ist eine Einrichtung des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Akkreditierung ist ein langwieriger Prozess, aber wir sind gut vorbereitet. Denn wir unterziehen unsere Prüfungs- und Zertifizierungsprozesse auch einer strengen internen Kontrolle.

procontra: Wie sieht diese Kontrolle aus?

Dr. Möller: Aus dem Kreis unserer Kuratoriumsmitglieder haben sich Prüfungs- und Beschwerde-Ausschüsse konstituiert, die alle Abläufe überprüfen und freigeben. Die Ausschüsse sind hochkarätig besetzt. Dem Ausschuss für die Software-Zertifizierung etwa steht Dr. Ute Lohse vor, die Forschungsleiterin Versicherungswissenschaft am Institut für Versicherungsbetriebslehre der Leibniz Universität Hannover. Den Ausschuss für die Personen-Zertifizierung leitet der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank, Dr. Herbert Walter.

procontra: Wie garantieren Sie Neutralität gegenüber Versicherern, Softwareanbietern, Beraterverbänden, ...?

Dr. Möller: Neutralität ist die wichtigste Anforderung der DAkkS. Wir haben uns schon jetzt der Neutralität verpflichtet und uns entsprechend aufgestellt. So bieten wir z.B. nicht selbst Beratung zur Implementierung der Norm in Vertriebsprozesse oder Schulungen oder gar Software an. Würden wir das tun, dann wäre unsere Neutralität in Gefahr. Spätestens mit der Akkreditierung wird nachweisbar und sichtbar sein, dass wir neutral agieren.

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