Dread Disease versus Grundfähigkeit – wer sichert besser ab?
Durch die gestiegene Zahl der Angebote, sowohl für Grundfähigkeits- als auch die Dread Disease-Absicherung wird der Markt unübersichtlicher. So gibt es alleine bei der Grundfähigkeitsversicherung in Deutschland über 20 verschiedene Anbieter. Das macht die Beratung nicht einfacher, denn es fordert Vermittler, das richtige zu empfehlen und den Überblick zu bewahren.
Ausweitung der Leistungskataloge
In den letzten Jahren hat es auch bei der Grundfähigkeitsversicherung einen Überbietungswettbewerb gegeben. Die Versicherer haben immer mehr Grundfähigkeiten in den Leistungskatalog aufgenommen. Beispielsweise die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder eines Smartphones sind jetzt häufig mitversichert, ebenso wie der Pflegefall und ein Tätigkeitsverbot infolge einer Infektion. Und nicht jede Erweiterung bedeutet eine wirkliche Verbesserung des Versicherungsschutzes. So ergibt der Einschluss einer Demenz für Personen unter 67 eigentlich keinen Sinn, da in dieser Altersgruppe weniger als 0,1 Prozent aller Personen an Demenz erkranken.
Ähnlich ist die Entwicklung bei der Dread-Disease-Versicherung. Die Canada Life bietet beispielsweise Versicherungsschutz für 55 schwere Krankheiten, der um weitere 25 Krankheiten ergänzt werden kann. Bei der Nürnberger Versicherung sind 50 schwere Krankheiten versichert. Die Ideal Versicherung wirbt damit, dass in ihrem Tarif „TotalProtect“ alle schweren Krankheiten abgesichert sind. Die Ideal weist darauf hin, „dass wir keinen festen Katalog an Erkrankungen haben. Versichert ist Ihr Gesundheitszustand.
Die auslösende Krankheit spielt keine Rolle!“ Es ist erkennbar, dass es am Markt einen Überbietungswettbewerb darin gibt, möglichst viele Krankheiten abzusichern, um dadurch zusätzliche Verkaufsargumente zu haben. Standard sind bei der Dread Disease Krankheiten wie Krebs, Parkinson oder Multiple Sklerose sowie Schlaganfall, Herzinfarkt und schwere Unfälle. Soweit so gut. Beide Alternativen rüsten auf und erweitern ihre Leistungen. Das ist für den Versicherungsnehmer ja erstmal erfreulich. Doch wie sieht es in den Details aus?
Feinheiten in den Definitionen
Für den Leistungsfall entscheiden nicht nur die Anzahl der versicherten Grundfähigkeiten oder Krankheiten. Vielmehr gilt es dann in die konkreten Bedingungen zu schauen. Und hier wird es für Vermittler schnell unübersichtlich. Ein Beispiel: Die Definition des Sprechens ist bei den einzelnen Angeboten in der Grundfähigkeitsversicherung unterschiedlich. Ein guter Tarif leistet schon, wenn „die Umwelt“ die gesprochenen Worte nicht mehr verstehen kann, wie dies beispielsweise beim Tarif „Work Life Comfort“ der Signal Iduna der Fall ist. Mit dieser Definition wird bereits geleistet, wenn fremde Personen, beispielsweise die Verkäuferin im Supermarkt, den Versicherten nicht versteht.
In anderen Tarifen ist dagegen das enger gefasste „soziale Umfeld“ festgelegt. Also Freunde und Familienangehörige, die den Sprechenden auch bei undeutlicher Aussprache durch Gewohnheit eher verstehen. Manche Versicherer formulieren eher unbestimmt, beispielsweise die Zurich (Tarif „Grundfähigkeitsschutzbrief“): „Ein Verlust der Grundfähigkeit des Sprechens liegt vor, wenn die versicherte Person aufgrund körperlicher Ursachen die Fähigkeit verloren hat, eine verständliche Sprache zu produzieren oder Worte spricht, die ohne jegliche Bedeutung oder Vorkommen in jeglicher bekannten gesprochenen Sprache sind.“
Auch im Bereich der Psyche gibt es in der Grundfähigkeitsversicherung sehr unterschiedliche Regelungen. Bei manchen Tarifen gibt es hier keine Leistungen. So sind beispielsweise im Tarif GRFV der Württembergischen weder psychische Gesundheit noch geistige Leistungsfähigkeit versichert. Bei anderen Anbietern ist nur Demenz versichert, während umfassende Angebote auch bei schwerer Depression oder Schizophrenie leisten bzw. dies zumindest als zusätzlichen Baustein anbieten. Psychische Krankheiten sind mittlerweile die Hauptauslöser für eine Berufsunfähigkeit. Bei der Dread Disease sind psychische Krankheiten bestenfalls als Zusatzbaustein versicherbar. Der BU-Experte Matthias Helberg sieht in der Vorsicht der Versicherer zum Einschluss der Psyche eine Strategie: „Die Vermeidung von Leistungsfällen. Das bedeutet dann im Umkehrschluss nur auch: Vermeidung von potenziellem Nutzen für die Versicherten. Und dieses Potenzial liegt jetzt ja schon bei 30 Prozent bis über 40 Prozent der Ursachen, weswegen Menschen arbeitsunfähig, berufsunfähig oder erwerbsgemindert werden: Wegen psychischen Erkrankungen. Die Tendenz ist seit Jahren steigend und die Auswirkungen von Corona und Lockdown kommen nun noch dazu.“
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Bestimmung des Leistungsfalls
Bei der Grundfähigkeitsversicherung ist der Leistungsfall nicht immer ganz klar definiert. Ein Augenarzt kann die Sehfähigkeit sicher prüfen. Schwieriger wird es bei Grundfähigkeiten wie dem Laufen oder Treppen steigen. Das gilt zum Beispiel auch für den Gebrauch der Hände. Reicht es für die Schreibfähigkeit aus, mit einem Finger ein Wort pro Minute zu tippen oder muss beidhändig auf der Tastatur geschrieben werden? Der Gebrauch der Hände ist in den Bedingungen sehr unterschiedlich definiert. So formuliert die Basler: „Die versicherte Person kann nicht mit ihrer linken oder rechten Hand – eine geöffnete Flasche mit Schraubverschluss verschließen und wieder öffnen oder– eine Schere (zum Beispiel: Papier-, Verband- oder Schneiderschere) bestimmungsgemäß gebrauchen.“ Anders die Definition beim Volkswohlbund: „Ein Verlust liegt vor, wenn die versicherte Person mit der rechten oder mit der linken Hand nicht mehr in der Lage ist, - ein leeres, auf einem Tisch stehendes Wasserglas zu greifen und so umzudrehen, dass es auf der geöffneten Seite steht oder - ein leeres Wasserglas fünf Minuten zu halten, auch nicht, wenn der Unterarm abgestützt wird.“
Philip Wenzel, Makler und Experte für Arbeitskraftabsicherung, sieht einen Trend zur Prüfung am Computer: „Bei einer medizinischen Prüfung vor Ort mit dem Versicherten ist die Simulationswahrscheinlichkeit hoch. Daher prüfen die Versicherer meist am Desktop anhand medizinischer Berichte über den Versicherten." Dies ist zugleich auch kostengünstiger als Versicherte persönlich überprüfen zu lassen. Zudem sind medizinische Berichte meist auch juristisch weniger anfechtbar.
Bei der Dread Disease sind die medizinischen Auslöser für eine Leistung relativ eindeutig definiert. Anders als bei der BU reicht hier die ärztliche Diagnose aus, beispielsweise bei der Feststellung eines Schlaganfalls, Herzinfarkts oder einer Krebserkrankung. Bei Krebs muss aber teilweise erst ein bestimmtes Stadium erreicht sein, damit die Versicherung leistet. Beispielsweise sind verschiedene Krebsarten im Frühstadium noch gut heilbar und daher oftmals nicht im Versicherungsschutz eingeschlossen.
Helberg weist darauf hin, dass es bei einigen Versicherern einen „Ausschluss von Tumorerkrankungen im Stadium 1 gibt, wenn für die Behandlung weder eine Strahlen- noch eine Chemotherapie erforderlich ist.“
Späte Hilfe
Ein grundsätzlicher Nachteil der Grundfähigkeitsversicherung liegt aber darin, dass es die Leistungen erst gibt, wenn eine Grundfähigkeit stark eingeschränkt ist. Doch was ist, bevor dieser Zustand erreicht wird? Schon bei einer auf 15 oder 20 Prozent reduzierten Sehfähigkeit können Beschäftigte ihre Tätigkeit oft nicht mehr ausüben. Und wenn ein Büroangestellter nur noch maximal eine Stunde sitzen kann, wird er sehr wahrscheinlich nicht mehr im Büro arbeiten können. Bei einer BUV wären dies Leistungsfälle, nicht jedoch bei der Grundfähigkeitsversicherung. Hier muss der Versicherte warten, bis sich seine Einschränkungen so verstärkt haben, dass der Leistungsfall eintritt. Dies kann sich über Jahre hinziehen, in denen der Versicherte keine Leistungen erhält. Und das Geld für die Weiterzahlung der Grundfähigkeitspolice ist dann oft auch nicht mehr vorhanden.
Helberg: „Die Leute scheiden einfach schon durch viel „simplere“ Erkrankungen aus dem Berufsleben aus: Weil sie zwar noch ein paar Stunden, aber eben nicht mehr den ganzen oder halben Tag lang sitzen oder stehen oder knien können. Weil sie zwar noch etwas sehen können, aber eben nicht mehr 4 Stunden am Bildschirmarbeitsplatz arbeiten können. Das Einkommen dieser Menschen ist dann größtenteils weg – und woher soll dann Geld kommen? Natürlich wird es auch Fälle geben, in denen eine Grundfähigkeitsversicherung oder eine DD-Police leistet: Die Frage ist dann nur, ob das Geld noch rechtzeitig kommt, ob jemand, der berufsunfähig ist, sich ohne BU die Beiträge für eine Grundfähigkeitsversicherung noch leisten kann und wie lange das Geld ausreicht.“
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Rente vs. Einmalzahlung
Aus den oben genannten Gründen ist ein verkürzter Prognosezeitraum sinnvoll. Viele Gesellschaften zahlen bereits, wenn die Grundfähigkeit für mindestens 6 Monate verloren ist, andere erst ab zwölf Monaten. In der Grundfähigkeitsversicherung wird im Leistungsfall eine monatliche Rente bis zum Erreichen des vertraglich festgelegten Endalters gezahlt. Bei der Dread Disease gibt es dagegen keine Rente, sondern eine steuerfreie Einmalzahlung. Dies entspricht dem Ursprungsgedanken als Hilfe zur Bezahlung teurer Operationen. Das kann für den Versicherten einen finanziellen Vorteil bedeuten: Bessert sich nach ein oder zwei Jahren das Krankheitsbild des Versicherten wieder, muss er die ausgezahlte Summe nicht zurück überweisen.
Wenzel sieht aber auch einen Vorteil in der Rentenzahlung der Grundfähigkeitsversicherung: „Die monatliche Zahlung ist zeitgemäß. Denn wenn ich auf einmal viel Geld brauche, kann ich mit der Rente eine Finanzierung stemmen. Das geht eher als umgekehrt aus dem Haufen Geld eine monatliche Rente zu generieren. Dazu sind die Zinsen im Moment zu niedrig.“
Karenzzeiten
Bei der Grundfähigkeitsversicherung sind Karenzzeiten nicht die Regel. Michael Franke von der Ratingagentur Franke und Bornberg: „Grundfähigkeitstarife beinhalten nur sehr vereinzelt die Möglichkeit zur Vereinbarung einer Karenzzeit. Ziel der Karenzzeit ist hier die Prämie durch einen späteren Leistungsbeginn (sechs Monate, zwölf Monate oder 24 Monate) zu reduzieren.“ Wenzel sieht diese Möglichkeit eher kritisch: „Ob es sich rechnet oder nicht, ist eine Frage der Sichtweise. Wenn der Versicherte aber sechs Monate oder länger ohne die Rentenzahlung klarkäme, dann kann man darüber nachdenken. Das ist aber eher eine Lösung für den Einzelfall. Die Beitragsersparnis ist nicht so groß, aber fast jeder würde sich im Leistungsfall ärgern, wenn er auf die Leistung verzichten müsste.“
Dagegen sind Karenzzeiten in der Dread Disease Standard. Franke: „Die Definition einer Karenzzeit in der Dread Disease gibt an, wie lange die versicherte Person das akute Krankheitsereignis überleben muss, um eine Leistung zu erhalten. In der Regel wird dieser Zeitraum mit 14 bis 28 Tagen seit Diagnosestellung angegeben. Überlebt die versicherte Person diesen Zeitraum nicht, wird nur die Todesfallleistung ausgezahlt.“ Mitunter sind die Karenzzeiten aber noch länger. Beispielsweise beim Schlaganfall, bei dem die Schwere der gesundheitlichen Folgen erst nach Monaten eingeschätzt werden kann.
Alternativen zur BU?
Und für welche Berufe ist die Grundfähigkeitsversicherung am ehesten geeignet? Hier gibt es keine pauschale Antwort. Offensichtlich ist jedoch, dass körperlich Tätige, die in der Berufsunfähigkeitsversicherung oft sehr hohe Beiträge zahlen müssen, bei der Grundfähigkeitsversicherung vergleichsweise niedrige monatliche Raten zahlen. Natürlich ist die Abdeckung in der Grundfähigkeitsversicherung nicht mit der einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu vergleichen, die einen besseren Schutz bietet. Wenzel sieht aber eine Gemeinsamkeit in der Bedeutung für den Versicherten: „Die einzelnen Grundfähigkeiten, die in den Bedingungen beschrieben sind, sind meine Tätigkeitsbeschreibung. Das ist sehr ähnlich zur BU. Wenn ich jetzt nur noch die beschriebenen Grundfähigkeiten mit meinen tatsächlichen Tätigkeiten im Berufsalltag in Deckung bringe, kann ich die Grundfähigkeitsversicherung nutzen, um mein Einkommen abzusichern.“
Die Dread Disease ist schon von ihrer Konzeption und vom Versicherungsumfang her kaum als Ersatz für eine BU geeignet. Bei den meisten Tarifen sind Erkrankungen des Bewegungsapparates wie der Bandscheibenvorfall sowie psychische Erkrankungen und Unfälle nicht vom Versicherungsschutz erfasst. Sie sind allenfalls über eine Zusatzversicherung einschließbar. Helberg sieht die Grundfähigkeitsversicherung eher nicht als Alternative zur BU: „Wir haben im Laufe der vergangenen 20 Jahre mehrere Dutzend Leistungsfälle in der BU gehabt. Letztes Jahr habe ich mir die Fälle vorgenommen und mich gefragt, ob diese Kundinnen und Kunden wohl jemals eine Leistung aus einer Grundfähigkeitsversicherung erhalten hätten. Das ist schon schwer genug, weil die Leistungsauslöser so unterschiedlich definiert sind. Ich habe nicht einen einzigen Kunden gefunden, bei dem ich mir sicher war, dass er auch eine Grundfähigkeitsrente erhalten hätte.“
Fazit
Von ihrer Konzeption her ist die Grundfähigkeitsversicherung der BU etwas ähnlicher als die Dread Disease. Die große Schwäche der Grundfähigkeitsversicherung sind aber die Leistungen erst bei erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen. Einmalzahlung und Rente haben Vor- und Nachteile, was auch von der persönlichen Situation des Versicherten abhängt. Grundfähigkeitsversicherung und Dread Disease sind Ausweichmöglichkeiten für Menschen, die sonst keinen bezahlbaren Versicherungsschutz bekommen.
Makler Wenzel bevorzugt in seiner Beratungspraxis die Grundfähigkeitsversicherung; „Beide sichern das gleiche Risiko ab. Die DD leistet bereits, wenn die Krankheit eintritt, die GFV dann, wenn ich Einschränkungen wegen der Erkrankung habe. Da wir heutzutage mit einem Einmalbeitrag aus der DD eher schwierig ein monatliches Einkommen generieren können, eignet sich für die meisten Menschen die GFV eher, weil sie eine monatliche Rente zahlt.“ Die Dread Disease sieht Wenzel nur für bestimmte Kunden im Vorteil: „Die DD ist dann sinnvoll, wenn ich eine Finanzierung für eine Immobilie oder eine Praxis abdecken muss. Und da auch nur, wenn ich diese Finanzierung nicht bis zum 67. Lebensjahr abbezahle. Denn dann wird das Risiko einer schweren Krankheit so hoch, dass die Beiträge ebenfalls sehr hoch ausfallen.
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