Pflegelücke: Sind die Lebensversicherungen vieler Enkel in Gefahr?
Die meisten Großeltern kümmern sich rührend um ihre Enkelkinder. Miteinander spielen, gemeinsame Ausflüge und kleine Geschenke zu besonderen Festen gehören für viele mit dazu. Oftmals wollen Oma und Opa auch zusätzlich finanziell für ihre Enkel vorsorgen. Sie leisten dann die monatlichen Beiträge für Banksparpläne, Ausbildungs- oder private Rentenversicherungen, deren Guthaben den Sprösslingen einmal zugutekommen sollen. Doch wie sicher ist diese Form der Enkelvorsorge, falls die Beitragszahler zum Pflegefall werden?
Dazu hat das Oberlandesgericht Celle am 13. Februar 2020 ein viel beachtetes Urteil gesprochen. Weil eine Großmutter die Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) in Anspruch nehmen musste, kassierte der zuständige Sozialträger später als Ausgleich die Guthaben aus zwei Bonussparkonten, die die Oma bei einer Bank für ihre beiden Enkelkinder angelegt und jahrelang bespart hatte. Nur einen kleinen Anteil des Geldes, der schon vor über 10 Jahren geflossen war, durften die Kinder behalten (Verjährungsfrist gemäß § 529 BGB).
Kinder mussten Geld zurückgegen
Was spontan nach einer Ungerechtigkeit klingen mag, ist aber geltendes Recht. Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen, es ist mittlerweile rechtskräftig. Die über Jahre geflossenen monatlichen Sparbeiträge der Großmutter sahen die Richter nicht als sogenannte Anstandsschenkungen an, die von Rückforderungen ausgenommen sind. Die Sparbeiträge konnten auch nicht Taschengeldzahlungen gleichgestellt werden, da das Geld nicht zum Gebrauch bestimmt war, sondern mit dem Bonussparen ein Kapitalaufbau bezweckt wurde. Somit mussten die Kinder das Geld zurückgeben.
Doch was bedeutet dieses Urteil für den Beratungsalltag der Vermittler, speziell im Hinblick auf Produkte zur Vorsorge der Enkel? Diese Frage treibt offenbar einige procontra-Leser um. Sie hatten im Mai mit verwunderten Kommentaren in den sozialen Netzwerken auf einen Bericht über die Celler Entscheidung reagiert.
Auch geschenktes LV-Guthaben kann zurückgefordert werden
Stephan Michaelis, Fachanwalt für Versicherungsrecht und spezialisiert auf die juristischen Belange von Maklern, ordnet ein: „Lebensversicherungen und Sparkonten sind zwar weiterhin geeignet, eine Absicherung für Kinder und Enkelkinder darzustellen; im Einzelfall kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Geschenktes zurückgefordert werden muss.“ Zwar sei in der Rechtsprechung noch nicht abschließend entschieden, dass regelmäßige Zahlungen stets in Reichweite der Sozialträger verbleiben. Es erscheinen gegenwärtig aber wenig Situationen denkbar, in denen eine Rückforderung von Schenkungen ausgeschlossen ist, gibt sich Michaelis vorsichtig.
Hintergrund: Gesetzlich müssen die Kinder von Pflegebedürftigen erst ab einem Bruttojahreseinkommen von 100.000 Euro für Lücken bei den Pflegekosten ihrer Eltern aufkommen. Enkelkinder sind von der gesetzlichen Regelung gar nicht erfasst. Jedoch können Schenkungen, egal an wen, zurückgefordert werden, wenn der Lebensunterhalt beziehungsweise die Pflegekosten nicht mehr bestritten werden können. Anstandsschenkungen (darunter fallen häufig auch Geldgeschenke zu Geburtstagen und Hochzeiten) können nicht zurückgefordert werden. Sparbeiträge zum Kapitalaufbau fallen aber regelmäßig nicht in diese Kategorie.
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Aber wie sollten Makler diese vage Situation in der Kundenberatung thematisieren? Relativ einfach ist es, wenn ein Großelternteil einen LV-Vertrag für sich abschließt, also die Funktionen von Versicherungsnehmer und Beitragszahler einnimmt. Dann verbleibt das Geld in jeder Hinsicht in seinem Eigentum. Ist er irgendwann auf die Hilfe zur Pflege angewiesen, wird sich an diesem bedient. Die Verhältnisse sind dann klar, auch wenn das Geld insgeheim für das Enkelkind gedacht war.
So handhabt man es zum Beispiel bei der LV 1871. Der Münchener Versicherer bietet mit seinen „Mein Plan“-Tarifen sehr aktiv Vorsorgeprodukte für Kinder an und versucht dabei auch, die Großeltern als Beitragszahler zu gewinnen. Auf procontra-Nachfrage erklärte man seitens des Versicherers, dass man noch keine direkten Erfahrungen mit Rückforderungen im Rahmen der Pflegeversicherung seit Einführung des ersten Kinderproduktes vor 15 Jahren gemacht habe. Grund dafür sei, dass die Großeltern von Anfang an als Versicherungsnehmer auftreten und das Geld erst mit Ende der Versorgungsphase auf die Enkel übergehe. Von da an startet die zehnjährige Verjährungsfrist.
Makler sollten Urteil berücksichtigen und dokumentieren
Für das andere Szenario erläutert Michaelis, wie Berater vorgehen sollten, um sich auch gegen eventuelle spätere Schadenersatzansprüche abzusichern: „Fallen Versicherungsnehmer und Beitragszahler auseinander, dann weisen Sie den Kunden als Beitragszahler darauf hin, dass er nach dem Gesetz gegebenenfalls verpflichtet sein kann, die Schenkungen aus der Lebensversicherung rückabzuwickeln, wenn er selbst in eine finanzielle Notlage gerät. Ich empfehle Ihnen, dies im Rahmen einer solchen Beratung vorsorglich zu erläutern und zu dokumentieren.“
Makler sollten diesen Hinweis beherzigen und direkt in der Praxis umsetzen. Denn bei der Celler Entscheidung handelt es sich nicht um einen Einzelfall. Vielmehr spiegelt sie die gängige Praxis im Sozialrecht wider. Dabei ganz entscheidend: Die Rückforderungsansprüche der Sozialträger sind nicht auf Bankprodukte beschränkt. „Bei kapitalbildenden Versicherungsprodukten, deren Beiträge durch den Leistungsberechtigten gezahlt wurden, kann auf das angesparte Guthaben beziehungsweise den Rückkaufswert zurückgegriffen werden“, erklärte die Hamburger Sozialbehörde, beispielhaft für die zuständigen Sozialträger, auf procontra-Nachfrage.
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Hört man sich bei den Lebensversicherern um, so ist das Thema zwar gut bekannt, Beispiele aber nicht. Das liegt daran, dass der Vertragsinhaber dem Versicherer in der Regel nicht mitteilt, warum er einen Vertrag auflösen möchte, heißt es nahezu gleichlautend von allen Unternehmen. Allerdings setzen die meisten Anbieter im Falle einer verfrühten LV-Kündigung den betreuenden Vermittler auf den Fall an. Schließlich kann eine gute Beratung nicht selten Alternativen aufzeigen.
Dass zu Kündigungen auf Anweisung des Sozialträgers aber so wenig Rückmeldung bei den Lebensversicherern eingeht, ist angesichts der Statistik überraschend: Ende des Jahres 2018 gab es knapp 300.000 Empfängerinnen und Empfänger von Hilfe zur Pflege. Das ist zwar nur etwa jeder Elfte der rund 3,4 Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland, jedoch mehr als ein Drittel der vollstationär in Pflegeheimen betreuten Personen (820.000).
Stefan Taschner, Pressesprecher der uniVersa Versicherung, die mit ihren „Tip-Top Tabaluga“-Tarifen auch auf Großeltern als Beitragszahler abzielt, fasst zusammen: „Das Urteil zeigt einmal mehr, wie wichtig die private Pflegeabsicherung ist.“ Dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Denn privater Pflegeschutz stopft die mitunter große Lücke, die bei den monatlichen Pflegekosten nach Abzug von jeglichem Einkommen und den Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung noch bleibt. Damit erspart sie pflegebedürftigen Menschen nicht nur den Gang zum Sozialamt. Sie gibt ihnen auch die Gewissheit, dass die finanzielle Vorsorge für ihre Enkel in trockenen Tüchern liegt.
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