Pflegelücken-Urteil: „Das Argument der Enkelvorsorge reicht nicht“
Auch die Lebensversicherungsverträge von Enkelkindern sind im Falle von Hilfe zur Pflege nicht vor Rückforderungen der Sozialträger geschützt. Dazu hat das Oberlandesgericht Celle am 13. Februar 2020 ein viel beachtetes Urteil gesprochen. Weil eine Großmutter die Hilfe zur Pflege (§§ 61 ff. SGB XII) in Anspruch nehmen musste, kassierte der zuständige Sozialträger später als Ausgleich die Guthaben aus zwei Bonussparkonten, die sie bei einer Bank für ihre beiden Enkelkinder angelegt und jahrelang bespart hatte. Nur einen kleinen Anteil des Geldes, der schon vor über zehn Jahren geflossen war, durften die Kinder behalten (Verjährungsfrist gemäß § 529 BGB).
Alban Westenberger, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Sozialrecht bei der Passauer Kanzlei Greiner-Zimmermann, Heindörfer & Westenberger, hat procontra zu diesem Sachverhalt Auskunft gegeben.
procontra: Nach dem Urteil des OLG Celle ist der Kapitalaufbau von Großeltern für ihre Enkel bei Pflegebedürftigkeit nicht geschützt. Können Beiträge für Lebensversicherungsverträge also zurückgefordert werden?
Alban Westenberger: Im Falle der Hilfe zur Pflege übernimmt der Sozialhilfeträger den Teil der Pflegekosten, den die pflegebedürftige Person nicht aus eigenen finanziellen Mitteln stemmen kann. Dazu leitet er mögliche Ansprüche des Antragstellers gegen Dritte auf sich über, Paragraf 94 SGB XII. Der Sozialhilfeträger kann dadurch einsetzbares Vermögen, wozu auch Forderungen des Antragstellers gehören, zurückfordern. Unter Berücksichtigung der zehnjährigen Verjährungsfrist, die bei Schenkungen beachtlich ist, können das auch Beiträge sein, die für Lebensversicherungen geleistet wurden.
procontra: Trifft das auf alle LV-Verträge zu oder gibt es Ausnahmen?
Westenberger: Es kommt auf die Zweckbindung an. Eine Sterbegeldversicherung, welche die Person konkret für den Zweck der eigenen Bestattungsvorsorge abgeschlossen hat, bleibt häufig unangetastet. Die meisten LV-Policen haben keine ausreichende Zweckbindung, und das Argument der Altersvorsorge für den Enkel reicht dafür nicht. Die Beiträge dafür werden als Schenkung betrachtet, die nicht unter den Schutz einer Anstandsschenkung fällt.
procontra: Wie definieren sich solche Anstandsschenkungen, die im Pflegefall nicht zurückgezahlt werden müssen?
Westenberger: Darüber muss jeweils eine Einzelfallprüfung entscheiden. 1.000 Euro zur Hochzeit können nicht angemessen sein, wenn es sich dabei um das einzige Vermögen der Person handelt. Wenn zuvor aber zwei weitere Enkel zu ihrer Hochzeit ebenfalls je 1.000 Euro erhalten haben, kann man von einer Angemessenheit und somit von einer Anstandsschenkung ausgehen. Aber gebietet es der Anstand, dass eine Großmutter für die private Altersversorgung, die Arbeitskraft- oder Pflegezusatzversicherung ihres Enkels aufkommt? Diese Frage werden Gerichte ganz überwiegend mit Nein beantworten. Ausnahmsweise vielleicht, wenn das Kind bei der Oma aufgewachsen ist und sie die Elternrolle übernommen hat.
procontra: Macht es einen Unterschied, ob der später pflegebedürftige Großelternteil Versicherungsnehmer oder nur Beitragszahler des LV-Vertrags ist?
Westenberger: Nein, allein der Geldfluss und der Rückforderungsanspruch entscheiden.
procontra: Gibt es einen Weg, dieses Dilemma bei LV-Verträgen zu umgehen?
Westenberger: Ja. Parallel zum LV-Vertrag sollten Großelternteil und Enkel Gegenleistungen vereinbaren und unterschreiben. Dort kann man regeln, dass der Enkel das Geld aus der Police für einmal wöchentliches Rasenmähen oder Ähnliches bei den Großeltern erhält. Dann ist die Schenkung der Beiträge mit einer Gegenleistung verbunden (gemischte Schenkung) und sollte rechtssicher sein.