PKV: Finanztest empfiehlt leistungsschwache Tarife

Die Zeitschrift Finanztest wollte kürzlich die leistungsstärksten PKV-Tarife küren. Heraus kam nicht mehr als ein Preisvergleich, findet Mehrfachagent und PKV-Experte Marcus Dippold. Die Mindestanforderungen des Tests offenbaren teilweise ruinöse Lücken.

14:12 Uhr | 02. Dezember | 2019
Marcus Dippold sieht den PKV-Vergleich der Zeitschrift Finanztest mehr als kritisch.

Marcus Dippold sieht den PKV-Vergleich der Zeitschrift Finanztest mehr als kritisch. Bild: Marcus Dippold

„Avanti dilettanti“ schrieb vor nicht allzu langer Zeit der Kollege Matthias Helberg über die BU-Tests der Stiftung Warentest. Weitere Tests zum Thema Versicherungen durch die Stiftung Warentest zeigten mehr als einmal handwerkliche Mängel. So auch der Vergleich von 120 Tarifen der privaten Krankenvollversicherung in der Finanztest-Ausgabe 11/2019, bei dem gerade einmal 3 Tarife mit „sehr gut“ benotet wurden.

Kein Wunder. Denn um Versicherungen zu testen ist keine Ausbildung oder Qualifikation im Bereich der Versicherungen notwendig. Auch haften Verbraucherschützer – im Gegensatz zu uns Vermittlern – nicht für Ihre Aussagen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich schätze die Produkttests der Stiftung Warentest sehr. Aber Versicherungen sind nun mal keine Smartphones, Waschmaschinen oder Fernseher. Wenn meine Waschmaschine nach kürzester Zeit kaputtgeht, kaufe ich für 300 bis 500 Euro eine neue Maschine. Das ist kein Risiko, das mein Leben bedroht oder ruiniert.

Ganz anders verhält es sich bei der PKV und das weiß man offenbar auch bei der Stiftung Finanztest. Schließlich schreiben die Autoren selbst: „Niemand weiß vorher, welche medizinischen Leistungen er einmal brauchen wird. Wer eine private Krankenversicherung abschließt, soll deshalb für einen umfassenden Schutz sorgen. Sonst kann es passieren, dass er im Krankheitsfall auf Leistungen verzichten oder sie selbst bezahlen muss. In unserem Test haben wir deshalb nur Angebote aufgenommen, die einen umfassenden Qualitätsstandard bieten.“

Mindestanforderungen deutlich zu niedrig

Vor diesem Hintergrund stellt man sich die Frage, warum das Preis-Leistungs-Verhältnis der Tarife 80 Prozent der Gesamtnote im Test ausmacht – obwohl doch die Leistungen im Vordergrund stehen sollen. Über die übrigen 20 Prozent entscheidet die Entwicklung der Beiträge für Neukunden in den vergangenen sechs Jahren.

Entscheidend ist aber: Die Mindestanforderungen von Finanztest sind teilweise deutlich zu niedrig angesetzt, um Verbrauchern auf diesem Wege „die besten PKV-Tarife“ zu empfehlen. Beispiele:

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Wenn eine Krankenversicherung nur 30 Tage für die stationäre Psychotherapie übernimmt, ich aber 6 Monate aufgrund eines Burnouts in einer Klinik (Tagesssatz: 300 Euro) behandelt werde, bleibe ich auf Kosten von 45.000 Euro sitzen. Diese Kosten können meine Existenz ruinieren oder mein Leben bedrohen, wenn ich mir die Behandlung nicht leisten kann.

Oder ich erleide als Motorradfahrer einen Unfall und verliere dabei ein Bein. Dank der modernen Medizin ist mit Hilfe von Prothesen sichergestellt, dass nach vollständiger Genesung eine Teilhabe am (Arbeits-)Leben wieder möglich ist. Allerdings ist dies von der Kostenübernahme der Krankenversicherung abhängig.

Holzbein mit SB

Laut Finanztest genügt für sehr gute Tarife die 75-prozentige Übernahme für eine Standardprothese. Diese kostet etwa 1.000 Euro und ich muss noch 250 Euro davon selbst übernehmen. Übernimmt der private Krankenversicherer hingegen die Kosten für eine computergestützte High-Tech-Prothese (sogenanntes C-Leg; Kostenpunkt ca. 46.000 Euro) vollständig, ist das eine ganz andere Dimension.

Die Verwendung von Mindestkriterien ist auch aus einem anderen Gesichtspunkt heraus mehr als zweifelhaft. Denn so können auch leistungsschwache Tarife abgebildet werden, obwohl angeblich nur leistungsstarke PKV-Tarife gezeigt werden sollen. Die bessere Vorgehensweise wäre die Verwendung harter Kriterien, zum Beispiel nur Konzepte mit einer stationären Erstattung oberhalb dem 3,5-fachen Satz der Gebührenordnung (GOÄ). Damit würden leistungsschwache Tarife erst gar nicht in den Ergebnislisten erscheinen.

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Testsieger für die Berufsgruppe Arbeitnehmer ist der Tarif „VKA+u, KHPnu, KHUnu“ der Provinzial Krankenversicherung. Ein Versicherer mit gerade einmal 14.528 vollversicherten Personen sowie ein nicht bundesweit abschließbarer Tarif mit – laut Ergebnisliste von Finanztest – eher mittelmäßigem Leistungsniveau.

Anderen Anbietern mit einem hohen Leistungsniveau wie der Allianz, Barmenia, Hallesche und R+V (um nur einige zu nennen) dürfte die Gewichtung des Preis-Leistungs-Verhältnisses mit 80 Prozent sauer aufstoßen: Jahrelang fordern die Verbraucherschützer mehr Leistung und nun erhalten die Versicherer die Quittung für den Preis, der hierfür zu entrichten ist?

Geprüfte Beiträge bereits veraltet

Und selbst bei dem, von den Testern so sehr fokussierten Beitrag wird es problematisch. Denn ein im Oktober veranlasster Wechsel in die PKV erfolgt meist zum 01.01.2020. Also zu einem Zeitpunkt, zu dem die angezeigten Beiträge bereits veraltet sind. Ein Beispiel ist der Arbeitnehmer-Testsieger Signal Iduna. Denn deren Beitragsanpassung per 01.01.2020 wird verhältnismäßig hoch ausfallen, da die letzte Anpassung vor 7 Jahren erfolgt ist. Damit wurde, meinen Berechnungen zufolge, ein Preis-Leistungs-Testsieger gekürt, der zum jetzigen Zeitpunkt schon keiner mehr ist. Allerdings trifft die Thematik der anstehenden Beitragsanpassung einige Versicherer mehr, nur sind derzeit noch nicht alle Beitragserhöhungen kommuniziert.

Viele Interessenten der privaten Krankenversicherung lassen sich von Siegeln, Rankings, Ratings und dem angeblich günstigen Preis blenden und vergessen dabei auf die Leistungsinhalte des Tarifs zu achten. Doch was nützt ein möglichst geringer monatlicher Beitrag, wenn der private Krankenversicherer dann nicht leistet, wenn es darauf ankommt?

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