Reisepleiten: Haftet nun der Bund?

Der Fonds für Pleiten von Reiseveranstaltern ist viel zu niedrig dotiert – ein Skandal. Trotz Reisepreisabsicherung bleiben viele Kunden auf dem Schaden sitzen. Die Versicherer wähnen sich unschuldig, der Staat schweigt noch, müsste aber haften.

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06:10 Uhr | 25. Oktober | 2019
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Die begrenzte Versicherungssumme von 110 Millionen Euro ist auf jeder Pauschalreisebuchung ausgewiesen, doch Urlauber wähnten sich in falscher Sicherheit. Bild: Pohl

Nach der Insolvenz des britischen Reisekonzerns Thomas Cook am 23. September musste auch der deutsche Thomas-Cook-Ableger, Vertragspartner hiesiger Urlauber, zwei Tage später in die Insolvenz. Betroffen sind wohl über 600.000 deutsche Urlauber, die bei Thomas Cook, Thomas Cook Signature, Bucher Reisen & Öger Tours, Neckermann Reisen, Bucher Last Minute und Air Marin gebucht hatten. 140.000 mussten zurückgeholt werden, zahlreiche Reisen konnten erst gar nicht angetreten werden.

Der Reputationsschaden für die Reisebranche ist gewaltig. Dazu kommt, dass sich der rechtliche Insolvenzschutz für Pauschalreisende, auf den die Anbieter nur allzu gern verweisen, als löchrig erweist. Wer 1.000 Euro für geplante Ferien bezahlt hat und trotz Sicherungsschein nur 400 Euro, 300 Euro oder weniger zurückbekommt, wird das spüren, warnte die FAZ.

Verbraucherschützer fordern bessere Absicherung, aber …

Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband (Vzbv) reagierte mit ungewöhnlich heftiger Kritik am Staat. „Der Höchstbetrag der Absicherung von 110 Millionen Euro pro Reiseveranstalter und Jahr muss deutlich angehoben werden, denn ob der Betrag bei der Pleite eines Branchenschwergewichts ausreicht, ist nicht sicher“, warnte Vzbv-Vorstand Klaus Müller.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz habe vor drei Jahren angekündigt, ein Gutachten darüber einzuholen, ob und um wieviel der Höchstbetrag angehoben werden muss. „Bis heute liegt kein Gutachten vor“, so Müller weiter. Die Bundesregierung müsse endlich dafür sorgen, dass alle Pauschalreisenden im Falle der Insolvenz eines großen Reiseanbieters ein zu 100 Prozent verlässliches Sicherheitsnetz haben.

Tatsächlich muss der im Fall von Thomas Cook involvierte Versicherer Zurich gesetzlich mit maximal 110 Millionen Euro haften (Paragraf 651r BGB). Andere Reisepreisversicherer hatte Thomas Cook nicht eingeschaltet. Kundenforderungen könnten sich aber auf das Drei- bis Vierfache summieren. Der Reisepleitenfonds reicht also „bei weitem nicht aus, um die Ersatzansprüche aller Kunden der insolventen Thomas-Cook-Gesellschaften vollständig zu befriedigen“, schreibt die mit der Abwicklung von Ansprüchen von Zurich beauftragte Kaera AG. Zurich selbst aktualisiert ständig seine Informationen zum Fall im Internet.

Das Gesetz sieht in diesem Fall vor, dass der Erstattungsbetrag quotiert, also anteilig gekürzt wird (Paragraf 651r Absatz 3 Satz 4 BGB). „Die Quote kann derzeit noch nicht ermittelt werden, da der Großteil der Ansprüche noch nicht angemeldet wurde“, ließ Karea diese Woche verlauten. Eine belastbare Aussage zur Gesamtschadenhöhe und damit den Quoten für die einzelnen Kunden „werde noch etwas dauern“.

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… Regierung zögert mehr Verbraucherschutz hinaus

Das Ganze ist kein Ruhmesblatt für die Bundesregierung. Bei der Novellierung des Reiserechts 2016 war darüber diskutiert worden, die Entschädigungssumme bei Reisepleiten zu erhöhen. Daraus wurde nichts, wohl auch, um die Absicherung für Reiseveranstalter, Kunden und Versicherer bezahlbar zu halten. Dem Vernehmen nach hatte sich im Bundestag am Tag nach der Pleite der deutschen Thomas-Cook-Töchter keine Mehrheit dafür gefunden, die Entschädigungssumme auf 300 Millionen Euro pro Geschäftsjahr und Versicherer zu erhöhen. Womöglich kommt auch ein Rettungsfonds nach britischem Vorbild, in den alle Anbieter je Kunde eine Pauschale einzahlen. Dazu müsste das Reiserecht geändert werden.

Bis dahin geistert die Gefahr einer Staatshaftung über dem Bund. „Die Frage, ob gegebenenfalls der Staat einspringen muss, stehe im Raum“, gab die Bundesregierung jetzt zu. Für die Rückholung von Urlaubern seien schon 80 Millionen Euro angefallen. Sollte dieser Betrag auf die Gesamthaftungssumme angerechnet werden, müssten alle, die ihre Reise noch nicht angetreten haben, mit dem verbleibenden Rest vorliebnehmen. Ob eine solche Verrechnung zulässig ist, ist zwischen der Bundesregierung und dem Versicherer umstritten. „Im zuständigen Justizministerium bestehe die Ansicht, dass Repatriierungskosten von sonstigen Ansprüchen getrennt zu behandeln seien“, hieß es am Donnerstag im Bundestag.

Berater können Betroffenen kaum helfen

Versicherer, die Reisepreise absichern, sind neben Zurich nur Swiss Re Corporate Solutions, Deutscher Reisepreis-Sicherungsverein und Hanse Merkur. Branchenkenner befürchten, dass Versicherer dieses Geschäft künftig als nicht mehr lohnend ansehen könnten, wenn sie im Insolvenzfall mehr zahlen müssten. Auch die Reputation der Versicherer steht mit auf dem Spiel. Urlauber haben eigentlich Anspruch auf sofortige Erstattung ihrer bezahlten Reiseleistungen.

Andere Reiseversicherungen greifen im Insolvenzfall des Veranstalters nicht. Berater können ihre Kunden jetzt im Prinzip nur moralisch unterstützen und allenfalls beim Ausfüllen des Schaden-Webformulars helfen. Für Reisen, die noch in der Ferne liegen, könnten allenfalls Reiserücktritts-Versicherungen in Betracht kommen. Die springen jedoch nur in genau abgegrenzten gesundheitlichen oder beruflichen Notlagen ein (procontra berichtete). Beispiele: Man selbst oder die mitreisenden Kinder werden plötzlich krank, ein enger Familienangehöriger stirbt oder man verliert seinen Job. Dann werden Reisepreis und Stornokosten ersetzt.

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