Rente: Darf es ein bisschen flexibler werden?

Erneut wird über das Renteneintrittsalter gesprochen, praktisch jeden Tag werden neue Vorschläge präsentiert und Forderungen erhoben. Die Debatte ist überfällig.

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14:12 Uhr | 20. Dezember | 2022
Jens Spahn

Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht sich für eine Koppelung des offiziellen Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung aus und präsentiert einen sehr konkreten Vorschlag.

| Quelle: Pool/Auswahl

Seit am 10. Dezember das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung vermeldete, dass viele aus der Babyboomer-Generation bereits mit 63 oder 64 Jahren aus dem Arbeitsleben ausscheiden, ist die Debatte um die Erhöhung des Renteneintrittsalters wieder voll entfacht.  

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach sich flugs dafür aus, mehr Arbeitnehmer dazu bewegen zu wollen, bis zur Erreichung des offiziellen Renteneintrittsalters zu arbeiten. Dass seine Partei mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren einen großen Einfluss am vorzeitigen Rentenbeginn vieler Deutscher hat, sagt er nicht. Die Zahl der Menschen, die von dieser Möglichkeit nämlich Gebrauch macht, ist viel höher als seitens der Politik kalkuliert wurde, berichtet der Sozialwissenschaftler Axel Börsch-Supan in einem Gastkommentar für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Ging die Politik davon, dass rund 50.000 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vom vorgezogenen Ruhestand Gebrauch machen würden, sind es mittlerweile laut dem Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik 260.000 im Jahr.  

Neue Anreize braucht der Arbeitnehmer

Dass die SPD ihr einstiges Herzensprojekt – die abschlagsfreie Rente mit 63 – wieder einkassiert, ist schwer vorstellbar. Auch die Erhöhung des Renteneintrittsalters steht für die SPD offenbar nicht zur Debatte. Stattdessen spricht sich Scholz für die Schaffung weiterer Anreize aus, die die Leute zum längeren Arbeiten motivieren sollen. Das könnten beispielsweise zusätzliche Rentenpunkte oder steuerliche Vorteile sein. Was genau Scholz sich hierbei vorstellt, ist jedoch unklar.  

Konkreter sind da schon die Ideen der anderen Parteien. Bei der FDP spricht man sich seit einiger Zeit bereits für ein flexibles Renteneintrittsalter nach schwedischem Vorbild aus. „Ich bin überzeugt: Niemand muss den Menschen mehr vorschreiben, wann sie in Rente zu gehen haben – auch weil die Lebensläufe immer unterschiedlicher werden“, sagte FDP-Vize Johannes Vogel der Nachrichtenagentur dpa.  

Wer früher in Rente gehen möchte, kann dies folglich tun – unter gewissen Voraussetzungen. So muss das 60. Lebensjahr erreicht worden sein, zudem müssen die Altersvorsorgeansprüche das Grundsicherungsniveau überschreiten. Wer sich für einen frühen Renteneintritt entscheidet, erhält eine geringere Rente. Wer erst später in Rente gehen will, erhält mehr Geld. Auch durch den Wegfall von Zuverdienstgrenzen glaubt die FDP, die Menschen zum Arbeiten bis ins hohe Alter motivieren zu können – zumindest diejenigen, die körperlich dazu in der Lage sind.  

Sympathisanten findet eine Flexibilisierung auch bei Politiker anderer Parteien, beispielsweise beim baden-württembergischen Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) oder bei seinem niedersächsischen Pendant Stefan Weil (SPD).  

Lebensarbeitszeit anpassen

Aus Reihen der CDU waren hingegen vor allem Stimmen aufgekommen, die eine Anhebung des offiziellen Renteneintrittsalters forderten. Dafür plädierte unter anderem Carsten Linnemann, stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU. So müsse die Lebensarbeitszeit an die Lebenserwartung angepasst werden. Steigt diese weiter an, müssen die Menschen auch länger arbeiten.  

Mit CDU-Politiker Jens Spahn hat nun ein erster Parlamentarier exakt formuliert, wie ein entsprechender Mechanismus aussehen könnte. Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel erklärte er: Je zusätzlichem Jahr an Lebenserwartung würde sich das offizielle Renteneintrittsalter um einen Monat nach hinten verschieben.  

Für eine Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung hatte sich im vergangenen Jahr auch der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums ausgesprochen. Die Wissenschaftler sprachen sich damals für die sogenannte 2:1-Regel aus. Steigt die Lebenserwartung um ein Jahr, müssen Arbeitnehmer acht Monate länger arbeiten.  Auf diese Weise käme man 2050 – bei einem prognostizierten Anstieg der Lebenserwartung zwischen 2030 und 2050 um weitere 2,4 Jahre – auf ein Renteneintrittsalter von 68,6 Jahren. Menschen, die aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen dies nicht schaffen, sollen von dieser Regelung ausgenommen sein.  

Wichtig sei es, dass die Politik angesichts der enormen Herausforderung einen Diskussionsprozess starte, schrieben die Wissenschaftler. Dieser blieb allerdings aus – stattdessen wurde eine Anhebung des Renteneintrittsalters von Politikern aller Parteien kurzweg abgelehnt. Eventuell verläuft die Debatte ja dieses Mal produktiver.