Rente: Niederländisches System unter Druck

Das niederländische Rentensystem, das maßgeblich aus Grund- und Betriebsrente besteht, gilt als eines der besten weltweit. Warum es nun auch dort zu Problemen kommt und wie sich im Verhältnis dazu Deutschland aufgestellt hat.

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05:06 Uhr | 04. Juni | 2019
Für Rentner in den Niederlanden und in Deutschland gibt es finanzielle Unterschiede. Doch das Renteneintrittsalter steigt in beiden Ländern auf 67 Jahre.

Für Rentner in den Niederlanden und in Deutschland gibt es finanzielle Unterschiede. Doch das Renteneintrittsalter steigt in beiden Ländern auf 67 Jahre. Bild: Pixabay

Das Rentensystem unserer niederländischen Nachbarn gilt weltweit als vorbildlich. Kern ist eine beinahe bedingungslose steuerfinanzierte Grundrente. Sie beträgt gut 1.200 Euro, wenn man 50 Jahre vor dem Renteneintritt in den Niederlanden gewohnt oder gearbeitet hat. Für jedes Jahr der Abwesenheit von zu Hause wird den Holländern die Grundrente um 2,0 Prozent gekürzt. Daneben baut die große Mehrheit der Arbeitnehmer Ansprüche auf Betriebsrente auf – über obligatorische Pensionsfonds.

Das System ruht wie bei uns auch noch auf einer dritten Säule: der privaten Altersvorsorge. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es eine Mischung aus umlagefinanzierter Rente und Kollektivsparen ist. Es gibt keine berufsständischen Versorgungswerke, und die Versorgung der Beamten wird nicht aus Steuern finanziert. Das niederländische Rentensystem ist somit nicht mit dem deutschen System vergleichbar.

bAV: verpflichtende Pensionsfonds über Tarifverträge

Auch das niederländische System gerät zunehmend unter Druck: der umlagefinanzierte Teil (Grundrente) wegen der Demografie, der kapitalgedeckte Teil (bAV) wegen der Niedrigzinsen. Und so soll – wie bei uns – das Renteneintrittsalter, das 2013 bei 65 Jahren lag, schrittweise auf 67 Jahre bis 2021 ansteigen. Und danach je nach Entwicklung der allgemeinen Lebenserwartung noch weiter ansteigen.

Dies hat kürzlich zu erheblichen Protesten und landesweiten Streiks geführt. Gewerkschaften fordern, das Renteneintrittsalter einzufrieren und Menschen mit „schweren Berufen“ einen früheren Eintritt ohne Abzüge zu gewähren. Derzeit gibt es ab dem 15. Lebensjahr bis zur Regelaltersrente für alle Niederländer eine Versicherungspflicht in der Rente. Sie ist eine Volksversicherung. Der Beitragssatz zur Rente liegt bei 17,9 Prozent des Einkommens bis maximal rund 35.000 Euro. Der Arbeitgeber führt den Beitrag vom Lohn/Gehalt ab.

Die Rente beträgt 45 Prozent seines Durchschnittslohnes, bei Alleinstehenden mindestens 70 Prozent des Mindestlohnes. Die Grundrente finanziert sich aus den Beiträgen der Versicherten im Umlageverfahren. Dazu kommt noch ein Zuschuss des Staates. Arbeitgeber finanzieren die Beiträge zur Rente nicht mit. Es gibt kein paritätisches Beitragsverfahren.

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Betriebliche Altersversorgung können in Holland nur Arbeitnehmer aufbauen – ähnlich wie bei uns. Sie ist an sich paritätisch aufgebaut, und zwar durch tarifvertragliche Regelungen. Da die meisten Tarifverträge in den Niederlanden allgemeinverbindlich sind, erfassen sie rund 90 Prozent aller Beschäftigten und haben damit eine quasi obligatorische Verbindlichkeit erreicht. Selbstständige zum Beispiel sind in diesem System nicht versichert.

Zusammen mit der Grundrente ist die Betriebsrente so aufgebaut, dass die Rentenleistungen zusammen einen bestimmten Prozentsatz des letzten verdienten Einkommens erreichen kann. Die Betriebsrenten werden als Leistungszusagen gewährt, bei denen die Grundrente angerechnet wird – völlig anders als bei uns.

Das gekoppelte Rentenniveau soll dabei mindestens 70 Prozent betragen. In jedem Jahr der Zugehörigkeit zur Betriebsrente werden 1,75 Prozent der kapitalgedeckten Betriebsrente aufgebaut. Die Finanzierung erfolgt durch Beiträge, von denen der Arbeitgeber zwei Drittel und der Arbeitnehmer ein Drittel zahlt. Die Beitragsbemessungsgrenze liegt zwischen 15 und 25 Prozent des Einkommens.

ABP: Weniger als 50 Prozent in Anleihen

Wegen der Demografie setzen die Niederländer schon lange auf die bAV. Doch die Folgen der Finanzkrise haben auch unsere Nachbarn eingeholt „In Anleihen zu investieren wird nicht ausreichen, um die Lohnersatzraten zu erzielen, die nötig sind“, sagte Geraldine Leegwater, beim größten niederländischen Pensionsfonds ABP für Kapitalanlage verantwortlich, kürzlich auf einer bAV-Fachtagung in Berlin (procontra berichtete). Aus Sicht von Leegwater geht das nur durch ein ausgewogenes Anlageportfolio.

Es besteht derzeit zu 34 Prozent aus Aktien (davon 9 Prozentpunkte in Schwellenländern), 14 Prozent Darlehen und zehn Prozent Immobilien. Auf Sicht von zwanzig Jahren habe das eine jährliche Verzinsung von 7,0 Prozent gebracht. Pensionen werden nicht an die Preis- oder Lohnentwicklung angepasst. „Das kann zu Situationen führen, in denen wir Pensionen reduzieren müssen“, sagte sie. „Das ist keine populäre Maßnahme, aber besser, als gar nicht zu sparen.“

Die Chance allgemeinverbindlicher Tarifverträge

Bei uns will der Staat Arbeitnehmern über die Betriebsrente auch zu mehr Geld im Alter verhelfen. Bislang mit mäßigem Erfolg (procontra berichtete). Der Stillstand könnte alsbald staatlichen Zwang zur Teilnahme auslösen (procontra berichtete). Die Verbreitung der bAV nimmt zu, aber gemessen an der gesellschaftlichen Herausforderung völlig unzureichend (procontra berichtete). Einen nachhaltigen Wandel könnte man über Tarifverträge erreichen – wie in den Niederlanden praktiziert.

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