Einkommen, Renten und Konsum sind für die meisten Privatleute keine Geldverträge. „Folglich werden diese Positionen bei der Gestaltung des Vermögens auch nicht berücksichtigt“, sagt Finanzanalytiker Volker Looman. Wenn die Zahlungen aber unter den Tisch fallen, sind Fehler bei der Vermögensbilanz die logische Folge, schrieb er kürzlich in seiner wöchentlichen FAZ-Kolumne.
Daher jammern viele, dass sie trotz eigentlich guter Rücklagen kaum mehr als 1.500 Euro pro Monat im Rentenalter ausgeben können. Doch oft können sich die Betroffenen viel mehr leisten. Man muss dazu nur richtig rechnen. Das heißt: „Die heutigen Werte künftiger Einnahmen und Ausgaben, in der Finanzmathematik Barwerte genannt, sind die Grundlage jeder Vermögensbilanz“, erinnert Looman.
Barwerte von Renten gehören zum Vermögen
Selbst manche Berater vergessen – wie die meisten Kunden –, dass zum Vermögensstatus auch die Rentenansprüche gehören. Und die sollten nicht nur aus der aktuellen Renteninformation des gesetzlichen Rententrägers abgelesen werden, sondern gehören abgezinst mit der Lebenserwartung in den Statusbericht.
In einem Beispielfall berichtet Looman in seiner FAZ-Kolumne von einem 65-jährigen Gutverdiener, der 3.000 Euro Altersrente zu erwarten hat. Das Geld liegt nicht auf dem Konto, doch weil die Zahlungen jeden Monat kommen, spielt der Betrag für die Vermögensgestaltung eine Rolle. Um den Barwert zu ermitteln, kalkuliert Looman, dass der Anleger statistisch noch knapp 18 Jahre leben wird und die Zahlungen mit 3,0 Prozent auf die Gegenwart abgezinst werden. Das ergibt nach Looman einen Vermögensbetrag von 501.000 Euro.
Wer als Laie nachrechnet und den Betrag mit 3,0 Prozent multipliziert und durch 12 teilt, kommt nur auf etwa die halbe Rente. Des Rätsels Lösung: „Die Abzinsung laufender Zahlungen unterstellt den vollständigen Verzehr des Kapitals“, erklärt der Finanzanalytiker. Wird dagegen nur mit dem Verbrauch der Zinsen gerechnet, wird unterstellt, dass am Ende das Kapital erhalten bleibt – das ist bei gesetzlichen Renten und bei Pensionen aber nicht der Fall“, so Looman.
Barwerte auch bei Ausgaben wichtig
Die Barwerte leisten auch bei den Ausgaben wertvolle Dienste. Wer als Selbstständiger zum Beispiel mit 55 in den Ruhestand und in den folgenden 35 Jahren monatlich 4.000 Euro ausgeben will, benötigt bei 3,0 Prozent Anlagezins mindestens 1,048 Millionen Euro, hat Looman errechnet.
Sollte der Wert des Geldes in dieser Zeit allerdings jedes Jahr um 2,5 Prozent Inflation sinken, würden sogar 1,528 Millionen Euro benötigt. „Diese Barwerte zeigen die Chancen und Risiken der Geldanlage auf“, erklärt der Finanzanalytiker.
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Barwerte auch für Mütter und Väter wichtig
Vor der Aufgabe, monatliche Einnahmen und Ausgaben zu kapitalisieren, stehen auch junge Familien, die das Todesfallrisiko der Familienernährer absichern wollen. Eine Mutter (35) zum Beispiel, die insgesamt 50 Jahre ein Versorgungseinkommen von 2.000 Euro anstrebt, das jedes Jahr um 2,0 Prozent steigt, benötigt bei 3,0 Prozent Anlagezins nach Steuern laut Looman 942.000 Euro Vermögen.
Risiko-Lebensversicherer berechnen für die Todesfallleistung der Frau über eine Million Euro ab 60 und 80 Euro Monatsbeitrag, wenn die Absicherung bis zum 60. Geburtstag läuft. Eine Versicherung bis 85 müsse nicht sein: „Wenn es eine Frau nicht schafft, sich eine eigene Altersrente aufzubauen, dann hat sie mit Zitronen gehandelt“, meint Looman.
Der Monatsbeitrag sei viel Geld für die Hoffnung, dass der Leistungsfall nicht eintritt, weiß der Finanzanalytiker aus Mandantengesprächen. Wer die Gefahr jedoch nicht wahrhaben will und im Ernstfall lieber auf den Staat hofft, geht andere Risiken ein. „Witwenrenten sind in der Regel bescheiden, und es gibt auch keine Garantie, dass der Staat immer zur Stelle sein wird“, meint Looman.
BMF-Schreiben hilft bei der Barwertermittlung
Der Kolumnist hat noch einen Lesetipp: Das BMF-Schreiben vom 28. Oktober 2020 zur „Berechnung einer lebenslänglichen Nutzung oder Leistung“ beinhaltet in einer Tabelle die Vervielfältiger zur Berechnung des Kapitalwerts lebenslänglicher Leistungen, die nach der aktuellen Sterbetafel 2017/2019 des Statistischen Bundesamtes ermittelt wurden und seit 2021 gültig sind. Dabei wird der Barwert allerdings mit optimistisch hohen 5,5 Prozent „sicheren“ Zinsen errechnet.
Ein kurzer Blick in die Tabelle genügt, um festzustellen, dass der Rentner im ersten Beispielsfall mit einer 3.000 Euro-Monatsrente alles andere als arm dran ist. „Ausgangspunkt sind die Jahresrenten, die mit den jeweiligen Vervielfältigern in der Tabelle zu multiplizieren sind“, erklärt Looman auf Nachfrage von procontra. Die 36.000 Euro Jahresrente des Mannes, der statistisch noch 17,94 Jahre lebt, sind demnach bei einem Vervielfältiger von 11,532 rund 415.000 Euro wert.
Das ist laut Looman jedoch eine riskante Betrachtungsweise, denn „5,5 Prozent sichere Zinsen pro Jahr gibt es derzeit nirgendwo“. Daher rechnet Looman selbst nur mit 3,0 Prozent bei der Abzinsung und kommt so auf 501.000 Euro.
Oft kein Grund zum Jammern
Das ist ein beträchtliches finanzielles Vermögen, bei dem eigentlich kein Grund zum Jammern besteht. Und Berater sollten auf diese Vermögenswerte, die in Renten stecken, in der Vorsorgeberatung aufmerksam machen, und sie keinesfalls verschweigen oder niedrigrechnen.
Oder um es mit Looman zu sagen: „Rechenfehler sind die besten Voraussetzungen, um vor lauter Angst schon bald ins Grab zu sinken, und das muss ja nun wirklich nicht sein.“
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