Braucht es eine Elementarschaden-Pflichtversicherung?

Die jüngste Flutkatastrophe hierzulande hat die Diskussion um die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden wiederbelebt. Welche Gründe für und welche Gründe gegen obligatorische Policen spricht, zeigt unser Format pro/contra.

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07:08 Uhr | 30. August | 2021

Für eine Elementarschaden-Pflichtversicherung argumentiert Manfred Jost, Präsident des Verband Wohneigentum e.V. Dem Verband gehören rund 340.000 Immobilieneigentümer als Mitglieder an:

Die Schicksale der Menschen in den überfluteten Gebieten haben uns alle erschüttert. Hilfs- und Spendenbereitschaft vieler Menschen sind groß, die Politik hat staatliche Soforthilfen zugesagt.

Das ist gut. Es wird aber nicht ausreichen in Zeiten, in denen Experten wie jüngst der Weltklimarat IPPC prognostizieren, dass witterungsbedingte Naturgefahren zunehmen. Unwetter, Starkregen, Brände, Erdrutsche – es kann jeden Menschen mit Wohneigentum überall in Deutschland treffen. In wenigen Momenten sind ganze Existenzen vernichtet und die wirtschaftlichen Schäden enorm. Bund und Länder werden allein zur Wiederherstellung der Infrastruktur Milliardenbeiträge mobilisieren müssen. 

Pflichtversicherung muss her

Eine Absicherung gegen die Folgen dieser Wetterextreme ist essentiell. Die Politik muss neben der Optimierung des Katastrophenschutzes jetzt auch die Weichen für ein verlässliches System für die Schadenbeseitigung und deren Kosten stellen. Es darf nicht sein, dass Familien nach einer Naturkatastrophe vor den Trümmern ihrer Existenz stehen –  und von Stimmungs- oder Kassenlage in Politik und Gesellschaft abhängen.

Wir plädieren darum für eine bundesweite solidarische Pflichtversicherung gegen Elementarschäden. Nur so können selbstnutzende Wohneigentümer zu einem bezahlbaren Versicherungsschutz kommen.

Klassisches Marktversagen

Nicht einmal jeder Zweite hierzulande hat eine Elementarschadenversicherung. Das auf Freiwilligkeit basierende System scheint also unzureichend zu sein. Außerdem benachteiligt es Eigentümer, die im Zonierungssystem der Versicherer für Überschwemmungsrisiko, Rückstau und Starkregen (Zürs Geo) schlecht abschneiden. Ihnen drohen hohe Prämien – wenn sie überhaupt einen Versicherer finden. Im wiederholten Schadensfall laufen sie Gefahr, aus der Versicherung ausgeschlossen zu werden. Ein klassisches Marktversagen, das den Gesetzgeber zum Handeln zwingt.

Auf der anderen Seite sind aber auch knapp 40 Prozent der Immobilien bereits durch eine Elementarschadenversicherung geschützt; wenn dann alle Geschädigten im Katastrophenfall staatliche Unterstützung erhalten, nimmt die Bereitschaft ab, künftig noch Prämien zu zahlen. 

Mit Opt-out beginnen, aber…

Eventuell hat eine Pflichtversicherung zunächst Akzeptanzprobleme. Aber immerhin hat der Chef des größten europäischen Rückversicherers Münchener Rück, Joachim Wenning, erklärt, dass es für die private Versicherungswirtschaft machbar wäre, wenn der Staat, wie in der KFZ-Versicherung, eine Elementarschaden-Pflichtversicherung einführen würde. Um dennoch das Prinzip der Freiwilligkeit zunächst beizubehalten, ist als erster Schritt eine Allgefahrenabsicherung als Teil der Wohngebäudeversicherung denkbar. Dabei wird Eigentümern automatisch der umfassende Schutz (einschließlich Naturgefahren) angeboten, sie können die Elementarschadenversicherung aber abwählen.

Wird diese Maßnahme nach einer vorab gesetzten Frist evaluiert und erbringt dann nicht die gewünschte Absicherungsquote, muss die Versicherungspflicht eingeführt werden. Wichtig ist dabei, einen Ausgleichsmechanismus für finanziell überforderte Eigentümer zu installieren.

Seite 1: Menschen brauchen solidarische Pflichtversicherung Seite 2: Das große Prämien-Dilemma

Obwohl in den vergangenen Wochen diverse Argumente, die gegen eine Pflichtversicherung sprechen, medial verbreitet wurden, wollte kein Experte den Contra-Part unseres Formats übernehmen. Deshalb hat procontra-Redakteur Florian Burghardt auf Seite 2 die, aus seiner Sicht, überzeugendsten Punkte gegen eine obligatorische Absicherung zusammengetragen:

Vorneweg: Die Schäden, die viele Menschen durch das Unwettertief „Bernd“ erlitten haben, sind schrecklich. Ein Mahnmal dafür, dass ihre Absicherung kontrollierbar werden verbessern muss, auch die der finanziellen Folgen. Die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden erscheint da zunächst als probates Mittel. Doch sie scheitert an einem ganz zentralen Punkt: der Prämie.

Auf die Frage, wie man eine solche Pflichtversicherung organisieren könnte, war zuletzt immer wieder von pauschalen Beiträgen die Rede. Jedes Haus wäre dann versichert und jeder würde gleich viel Geld dafür bezahlen. Das würde aber die Eigentümer von Immobilien benachteiligen, deren Gebäude sich in relativ sicheren Gegenden befinden. Ihr individuelles Risiko ist viel geringer als zum Beispiel das von Häusern in Flussnähe. Sie würden aber die Prämie für ein höheres „Durchschnittsrisiko“ bezahlen, während Immobilieneigentümer in gefährdeten Lagen den Versicherungsschutz sozusagen zum Schnäppchenpreis erhalten würden. Grundsätzlich wäre es außerdem gut, wenn weniger Menschen in hochwassergefährdeten Gebieten leben würden. Im Katastrophenfall würde das weniger Tote und weniger Sachschäden bedeuten. Besagte Schnäppchenpreise würden aber eher noch einen Anreiz dafür schaffen, sich ein schmuckes Häuschen im malerischen Flusstal zu kaufen.

Umgekehrt würden individuell risikoabhängige Pflichtversicherungsprämien ein anderes Problem hervorheben: Je höher die Gefahr für Elementarschäden in einer Region, desto höher würde der Beitrag ausfallen. Für manche Menschen wäre dieser plötzliche finanzielle Mehraufwand schlicht und einfach nicht zu stemmen. Vor allem dann nicht, wenn neben der Elementar- bislang auch auf die Wohngebäudeversicherung verzichtet wurde und deren Beitrag gegebenenfalls auch noch "on top" käme.

Geldproblem für Häuslebauer

Vor diesem Hintergrund mag die Einheitsprämie wieder gerechter erscheinen. Doch auch hier gilt: Diese finanzielle Mehrbelastung käme für die Haushalte plötzlich. Nun sind die Immobilienpreise aber derzeit auf einem Rekordhoch. Nicht wenige Familien haben sich dazu hinreißen lassen, in den letzten Jahren für die eigenen vier Wände eine Finanzierung ohne Eigenkapital und mit enorm hohen monatlichen Raten abzuschließen. Ein fragiles Gebilde, bei dem teilweise kaum noch ein finanzieller Puffer bleibt. Wenn die Pflichtversicherung seriös ausgestaltet wird – also unter anderem auch mit einer Abdeckung unbenannter Gefahren – könnte der unerwartete Versicherungsbeitrag manche Finanzierung ins Wanken bringen.

Doch selbst wenn es zur Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden kommen sollte, darf sich die Politik nicht in der trügerischen Sicherheit wiegen, das Problem Hochwasser damit in den Griff bekommen zu haben. Seriöse Wissenschaftler gehen davon aus, dass sogenannte Jahrhunderthochwasser wie kürzlich in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen deutlich häufiger auftreten werden als nur einmal in 100 Jahren. Die Pflichtversicherung würde somit dieselben Häuser immer und immer wieder aufbauen. Doch das kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Viel wichtiger sind deshalb umfangreiche Hochwasserschutzmaßnahmen, zum Beispiel durch explizite Überflutungsflächen, die Renaturierung von Flussläufen und nicht zuletzt die Bekämpfung des Klimawandels.

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