Zuletzt schien sie immer stärker auf der Kippe zu stehen, jetzt gibt es vor der anstehenden Bundestagswahl wohl doch noch eine Pflegereform: Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, soll am Mittwoch eine entsprechende Gesetzesvorlage von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dem Kabinett vorgelegt werden. Darin ist eine bessere Bezahlung von Pflegekräften vorgesehen: Ab September 2022 ist die Zulassung von Altenheimen und Pflegediensten von einer Entlohnung nach Tarif abhängig. Zur Finanzierung des Vorhabens werden die Beiträge von Kinderlosen zur Pflegeversicherung erhöht: Sie sollen um 0,1 Prozent auf 3,4 Prozent des Bruttolohnes steigen. Zusätzlich ist eine jährliche Finanzspritze des Bundes in Höhe von einer Milliarde Euro geplant.
Eigenanteil für Heimbewohner wird begrenzt
Aus Regierungskreisen hieß es, dass die neue Einigung mit Finanzminister Olaf Scholz und Arbeitsminister Hubertus Heil (beide SPD) abgestimmt ist, die beide eine Tarifbindung gefordert hatten. Für bereits bestehende, nicht-tarifgebundene Einrichtungen schafft die neue Regelung einen Anreiz, Tarifverträge anzuwenden, die über dem regional üblichen Niveau liegen: Sie bekommen von den Pflegekassen den durchschnittlichen Tariflohn der Region plus zehn Prozent erstattet. Nach Berechnungen des Arbeitsministeriums wird etwa die Hälfte der rund 1,2 Millionen Pflegekräfte nicht nach Tarif bezahlt. Sie würden etwa zwei Euro pro Stunde weniger verdienen.
Der Gesetzesentwurf sieht außerdem eine Begrenzung des Eigenanteils für Heimbewohner an den Pflegekosten vor. Damit soll sichergestellt werden, dass die bessere Bezahlung der Pflegekräfte nicht zu ihren Lasten geht. Demnach erhalten vollstationär Pflegebedürftige, die seit mehr als einem Jahr in einer Einrichtung leben, einen Zuschlag in Höhe von 25 Prozent ihres zu zahlenden Eigenanteils. Wer mehr als zwei Jahre vollstationäre Leistungen bezieht, bekommt die Hälfte des zu zahlenden Anteils überwiesen. Bei mehr als 36 Monaten soll der Zuschlag bei 75 Prozent liegen. Wie aus Daten des Verbands der Ersatzkassen hervorgeht, liegt der seit Jahren steigende Eigenanteil aktuell bei durchschnittlich 2069 Euro pro Monat.
Da es sich bei der neuen Regelung formell um Änderungen an einem, dem Bundestag bereits vorliegenden Gesetzentwurf handelt, kann das Parlament die Pflegereform noch im Juni vor der Sommerpause beschließen.
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Zuletzt war der Widerstand gegen die von Spahn geplante Pflegereform groß. Sowohl im Wirtschaftsflügel der Union wie auch beim Koalitionspartner SPD hatte sich zunehmend Skepsis breitgemacht. Wirtschaftsvertreter der Union störten sich vor allem an den hohen Kosten, die durch die Begrenzung des Eigenanteils der Heimbewohner bei gleichzeitiger Erhöhung der Pflegegehälter entstehen würden. „Die Milliardenkosten sind nicht zu verantworten“, äußerte die CDU-Abgeordnete Jana Schimke, die auch Vorsitzende der Sozialkommission des Parlamentskreises Mittelstand ist, kürzlich gegenüber dem „Spiegel“. Der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) rechnete bis 2030 mit Ausgaben in Höhe von 90 Milliarden Euro und prognostizierte für das Jahr 2022 ein Kostenvolumen von insgesamt 5,8 Milliarden Euro.
Kritik an den Plänen zur Tarifbezahlung gab es auch von der Gewerkschaft Verdi. „Das ist allenfalls die zweitbeste Lösung“, sagte Gewerkschaftschef Frank Werneke. Denn es sei offen, ob dies tatsächlich auf breiter Front zu einem Anstieg der Löhne führe. In dem geplanten Gesetz gebe es keinen Mechanismus, mit dem verhindert wird, dass Gefälligkeitstarifverträge von Pseudogewerkschaften mit kommerziellen Pflegeanbietern ausgehandelt werden, damit die Anbieter die Voraussetzungen für einen Versorgungsvertrag erfüllen.