Rabatte im Vertrieb: Versicherer am Limit?!
In der Versicherungsbranche besteht Handlungsbedarf beim Thema Rabatte. „Sie werden im Vertrieb oft zu großzügig und ohne klaren Plan vergeben“, meint Dirk Schmidt-Gallas, Senior Partner und Leiter der globalen Insurance-Practice bei der Beratungsgesellschaft Simon-Kucher. Und weiter: „Das kann sich kein Versicherer mehr leisten. Zu groß ist der Kostendruck – insbesondere in der Kraftfahrzeug- und Wohngebäudeversicherung, wo zunehmende Extremwetterereignisse und die zuletzt wieder gestiegene Inflation für Belastungen sorgen.“
Jetzt gefragt sind nach Ansicht des Experten „smarte Rabattstrategien, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, die Profitabilität zu steigern und den Vertrieb zu unterstützen.“ Und „smart“ seien alle Strategien, die Rabatte nicht mit der Gießkanne verteilen, so Schmidt-Gallas.
Gewinne unter Druck
Tatsächlich sind die Gewinne aller Sachversicherer unter Druck geraten. In der Kraftfahrzeug-Sparte zum Beispiel lag die Schaden-Kosten-Quote zuletzt über 110 Prozent. Die Branche gibt also mehr als 110 Euro aus, um 100 Euro einzunehmen. Das ist ein Verlustgeschäft. Nach der Beitragserhöhungswelle zum Jahreswechsel dürfte sich die Situation der Unternehmen zwar wesentlich verbessern, aber der Kostendruck bleibt.
Wetterextreme und Inflation lassen sich nicht einfach abschalten. Branchenkenner Schmidt-Gallas erinnert zudem daran, dass für die Unternehmen auch die Rückversicherungskosten steigen. „Die Beitragsanpassungen werden vermutlich nicht reichen. Nahezu alle Sachversicherer sind massiv in Zugzwang, ihre Profitabilität wiederherzustellen beziehungsweise zu steigern.“
Vor allem im Firmenkundengeschäft sind Preisnachlässe ein starkes Vertriebsargument. Im Privatkundensegment ist die Prämiengestaltung stärker reguliert. An dieser Stelle soll nur erwähnt werden, dass der EU-Versicherungsaufsicht EIOPA Rabatte für Neukunden ein Dorn im Auge sind: „Einige Praktiken sind nicht von der EU-Gesetzgebung gedeckt und führen zu einer unfairen Behandlung der Kunden“, teilte die Behörde unlängst mit. Bestandskunden mit gleichem Risikoprofil würden benachteiligt.
Fluch und Segen
Gleichwohl spielen Rabatte im Privatkundengeschäft eine Rolle – auch wenn Versicherer oft nicht aktiv damit werben. Ob ein Anbieter einen Rabatt gewährt oder nicht, hängt auch von der Einschätzung eines Vermittlers ab, ob im konkreten Fall ein „gutes“ oder „schlechtes“ Risiko vorliegt. Bei „guten“ Risiken sind Preisnachlässe wahrscheinlicher.
Sebastian Weißschnur, Geschäftsführer der Stolte Versicherungsmakler, will das Vertriebsinstrument jedenfalls erhalten wissen, schließlich sei er Sachwalter des Kunden und rate zur Rabattnutzung, wo immer das sinnvoll ist. Gemäß dem sogenannten Sachwalter-Urteil des Bundesgerichtshofes sollten Makler für ihre Mandaten stets das Optimum erzielen. „Optimum“ bedeute allerdings auch, dass ein Rabatt für den Kunden sinnvoll sein muss. Denn Rabatte seien Segen und Fluch zugleich.
Rabatte werden im Vertrieb oft zu großzügig und ohne klaren Plan vergeben.Dirk Schmidt-Gallas
Dass Prämienermäßigungen ganz abgeschafft werden, ist nicht zu erwarten. Wie - Philipp Kaupke, Partner in der Insurance-Practice bei Simon-Kucher berichtet, „beschäftigen sich Versicherungsunternehmen mittlerweile allerdings systematisch mit ihrer Rabattpolitik – manche zum ersten Mal“. Einige Unternehmen hätten keinen Überblick über ihre Rabatt-Historie und eine ursprünglich vielleicht mal vorhandene Rabatt-Logik sei nicht mehr erkennbar. So würden Prämienerhöhungen ungewollt durch Preisnachlässe verwässert.
In Einzelfällen führten Rabatte sogar zu negativen Prämien. Dies liege auch daran, dass Vermittler genau die Abschläge miteinander kombinierten, die zu den niedrigsten Prämien führen. Mitunter sei ein leistungsstarkes Produkt dann zum Preis des Basisproduktes erhältlich. Das sei möglicherweise aber nur kurzfristig für den Kunden vorteilhaft. Top-Tarife dürften höhere Schäden „produzieren“. Treten diese dann ein, müssten später die Beiträge umso stärker steigen, was wiederum Stornierungen nach sich zöge.
Keine Kontrolle
Zwei weitere Phänomene seien im Markt zu beobachten: Einmal die Tendenz zu Fünferschritten. Rabatte würden oft zu 5, 10, 15 oder 20 Prozent vergeben. Statt zum Beispiel 13 Prozent zu gewähren, was wirtschaftlich und versicherungsmathematisch sinnvoll wäre, falle die Entscheidung leichtfertig auf 15 Prozent. Die zweite Beobachtung betreffe Rabattgrenzen, ab denen ein Bevollmächtigter eine Freigabe erteilen müsse. Auffällig oft lägen gewährte Preissenkungen genau unterhalb dieser Schwelle. Letztlich würden solche Praktiken jegliche Rabatt-Zielsteuerung unmöglich machen.
Am Entstehen dieses „Rabatt-Chaos“ hätten viele Gruppen mitgewirkt: Marketing, Underwriting, Vertrieb und so weiter. Mitunter gingen die Interessen auseinander, erklärt Kaupke. Vermittler hätten einen inhärenten Anreiz, einen Nachlass zu geben. Ihre Provision sinke deutlich unterproportional zum Gewinn des Versicherers. Insofern müsse das Management einer Versicherungsgesellschaft klar entscheiden, für welchen Preis ein Geschäft noch angenommen werde und wann nicht mehr. Genau das täten sie mittlerweile häufiger. Der Kostendruck zwinge sie dazu.
Vertriebe einbinden
In Zukunft haben Vermittler möglicherweise weniger Möglichkeiten, Rabatte für ihre Kunden zu nutzen. Denkbar ist Schmidt-Gallas zufolge auch, dass „Versicherer die Anreizsysteme für den Vertrieb enger mit der Rabattvergabe verknüpfen – etwa durch Boni für eine zurückhaltende Rabatthandhabung“. Dabei entscheidend sei, die vertraglichen Grundlagen der Zusammenarbeit zwischen Versicherer und Vertrieb so anzupassen, dass eine gezielte Steuerung der Rabatte ermöglicht wird. Letztlich seien Preisnachlässe ein nützliches Instrument im Wettbewerb, müssten aber strategisch und kontrolliert eingesetzt werden, um langfristig die Profitabilität eines Versicherungsunternehmens zu sichern.