Ruhestandsplanung

„50plus Kunden sind konzeptionell noch unberaten“

37,7 Millionen Deutsche sind älter als 50 Jahre und sorgen sich um ihr Vermögen. procontra sprach mit dem zertifizierten Ruhestandsplaner und Business-Coach Andre Zoellner über Vermögensschutz und Ruhestandsplanung.

Author_image
09:02 Uhr | 19. Februar | 2024
Ruhestandsplanung und Vermögensübertragung: Der Kundenkreis wird größer

"Das Thema Vermögensübertragung ist alles andere als trivial und beschäftigt alle". Ruhestandsplaner André Zoellner

| Quelle: Foto: AZ-Beratungen

procontra: Eine Umfrage der R+V-Versicherung zeigt, dass sich die Menschen angesichts der unsicheren wirtschaftlichen, politischen Gesamtsituation um ihr Vermögen sorgen. Erleben Sie diese Verunsicherung auch in Ihrem Beratungsalltag?

Zoellner: Ja, und das sollte auch Niemanden verwundern. Veränderungen führen zuallererst zu Verunsicherung und oft auch zu Ängsten. Gewohntes ist plötzlich in Frage gestellt, wie soll und kann man damit umgehen? Und hier erleben viele Menschen zum ersten Mal in ihrem Leben eine multiple Krise. Denn neben den Folgen einer Pandemie und den neuen wirtschaftlichen Herausforderungen, die auch in unseren Lebensalltag vorrücken, sind wir Zeuge einer globalen geopolitischen Krise. Der Satz: „Es läuft ja wie ein Länderspiel“ ist hierzulande ungültig geworden. Unser Selbstvertrauen ist noch da, aber es gab und gibt Erschütterungen. So ist Undenkbares zur Realität geworden, wie der Angriffskrieg Russlands hier in Europa.

procontra: Die Umfrage zeigte, dass sich gerade einmal 26 Prozent mit dem Thema Vermögenschutz auseinandergesetzt haben. Welche Bedeutung spielen Vermögensschutz, Vermögensübertragung und Ruhestandsplanung für Ihre Kunden?  

Zoellner: Es ist ein Fakt, das über ein Drittel der Bevölkerung kaum Nettovermögen besitzt. Für diese Gruppe ist die Frage nicht sehr relevant. Bei einem weiteren Teil besteht ein Großteil wiederum in gebundenem Vermögen. Häufig ist die selbstgenutzte Immobilie die größte Position in der Vermögensbilanz. Auch hier ist die frei verfügbare Vermögensmasse überschaubar. Dennoch sind das sehr relevante Themen. Denn die Fragen, wie man Vermögen bildet und sichert, wie es sich vermehrt oder wie man es an die nächste Generation überträgt, beschäftigen uns letztlich alle. Bewusst oder unbewusst.

Die Kulisse der Polykrise führt uns gerade deutlich vor Augen, von welch großer Bedeutung die Vermögensbildung und geschickte Nutzung für unser Leben ist.  Dabei sehen wir viel Gutes. So gab es keine Panikreaktionen der Anleger und die meisten Menschen gehen sehr bewusst und verantwortungsvoll mit ihrem Ersparten um. Es gibt keine Stornowellen bei Rentenversicherungen und auch die Sparquoten bewegen sich auf vertretbar gutem Niveau.

Aber natürlich ist die Situation auch komplex und Berater leisten hier einen sehr hohen Beitrag, damit konstruktiv klarzukommen. Einen konzeptionellen Plan für den eigenen Ruhestand zu haben, ist ab dem 50. Lebensjahr schon sehr wichtig. Jetzt, unter dem Einfluss vieler krisenhaften Veränderungen, ist es aus meiner Sicht unerlässlich. Natürlich sind wir damit noch am Anfang. Aber oft im Leben ist ja gerade der erste Schritt der entscheidende.

procontra: Immobilien, Gold, Festgeld und Tagesgeld aber auch Versicherungen gelten bei den Befragten als besonders geeignet für den Vermögensschutz. Wie bewerten Sie diese Einschätzung?

Zoellner: Ich kann das nachvollziehen. Auch wenn die Präferenzen immer individuell bestimmt werden. Ich vermisse aber produktives Vermögen, in das heute jeder in breiter Streuung über Investmentfonds investieren und gute Realrenditen erzielen kann. Bei längerem Anlagehorizont gehören Aktien daher auf jeden Fall dazu. Der Zins ist zwar zurück, aber die Inflation eben auch. Klar bleibt, dass jede Assetklasse eine Menge an Vorteilen bietet aber implizit immer auch Nachteile mit sich bringt.

procontra: Wie sollte das magische Dreieck der Geldanlage von Verfügbarkeit, Sicherheit, Rendite bei einem 50-jährigen, bei einem 60-jährigen, einem 70-jährigen aussehen?

Zoellner: Ausgewogen und passend. Um hier etwas konkreter zu werden, müssen wir erst einmal zwei Dinge klar trennen. Sprechen wir von Anlagen, aus denen sich die eigene Einkommensstrategie im Ruhestand speisen soll? Dann kommen Prämissen wie nachhaltige also lebenslange Zahlungsströme und schwankungsarme Assets als Anforderung hinzu. Das Produkt zur lebenslangen Absicherung der Basisausgaben heißt Rente.

Oder sprechen wir über die Anlage von befreitem Vermögen, welches für ein komfortables Leben im immer längeren Ruhestand nicht zwingend benötigt wird. Hier gelten die üblichen Anforderungen und diese unterscheiden sich nicht so brachial. Denn auch ein 70jähriger hat zumindest statistisch noch lange genug zu leben und somit einen Anlagehorizont von über zehn Jahren. Lange galt als altersgerechte Aktienquote 100-Lebensjahre. Nun leben wir alle länger und es müsste vielleicht in 120-Lebensjahre geändert werden.

In der Praxis taucht aber etwas anderes auf. Es besteht völlige Unkenntnis darüber, wieviel Vorsorgekapital der Einzelne noch zur Eigenversorgung benötigen wird und ab wann man wirklich von freiem Vermögen sprechen kann. Hier helfen Ruhestandsplaner und -planerinnen weiter, die diese Zusammenhänge verdeutlichen und helfen, hierbei Klarheit zu bekommen.

procontra: Stichwort: Vermögensschutz und Vermögenübertragung. Von welchen Produkten sprechen wir in dem Zusammenhang?

Zoellner: Moderne Produkte bieten stets die gewünschte Asset Alllokation und flexible Verwendungs-optionen. Optimalerweise lassen sich damit multiple Ziele erreichen, wie die eigene Ruhestandsversorgung aber auch eine steueroptimierte Übertragung von Restvermögen. Ich werbe auch sehr dafür, den Blick nicht immer nur aufs Produkt zu werfen. Produkte sind Werkzeuge, die uns helfen, eine individuelle Einkommens- oder Vermögensstrategie umzusetzen. Versorgungsziele und Strategien müssen erst konzipiert werden. Hat man die gemeinsam entwickelt, ergeben sich die passenden Produkte oft von selbst.

procontra: Wie herausfordernd ist das Thema Ruhestandsplanung in der Beratung, zumal ein 55-jähriger in der Beratung andere Präferenzen hat als ein 75-jähriger?

Zoellner: Keinesfalls trivial. Es beginnt damit, dass ein 55jähriger so langsam wissen sollte, welches Einkommen ihn bald netto erwartet und ob er sein gewohntes Leben damit weiterführen kann. Um dies aufzuzeigen, braucht es mehr als reines Produkt- und Kapitalmarktwissen. Es benötigt auch Analyse, empathischen Austausch und auch die Zeit, um die grundlegend wichtigen Themen zu behandeln und die genauen Vorstellungen und Möglichkeiten zu erkennen.

Ohne dem wird man nicht zu einem komfortablen Ruhestandskonzept gelangen. Und damit stellt sich auch die Frage, wie diese konzeptionelle Dienstleistung zu vergüten ist. Ich möchte ein so wichtiges Thema wie die Lebensplanung für den dritten Lebensabschnitts nicht mit einem Geschäftsmodell analog einer Tupperparty bedienen.  Kunden und Berater werden also um eine faire Vergütung der Beratungsleistung nicht herumkommen.

Bei einem 75-Jährigen kann es nur noch um eine Ruhestandsbegleitung gehen. Also um die Frage, passt das Konzept noch immer oder müssen Anpassungen vorgenommen werden. Eine echte Planung und Konzeption sollte wirklich weit vor dem Ruhestandsbeginn erfolgen. Ansonsten werden die Handlungsspielräume sehr schnell zu eng.

procontra: Spricht man über Vermögensübertragung, dürften Themen wie Pflege, Nachlassregelung und Sterbevorsorge und steuerliche und rechtliche Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Wo liegen hier die Herausforderungen?

Zoellner: Man muss sich zunächst einen Überblick verschaffen und ihn dann behalten. Das ist leichter gesagt als getan. Unsere Mandanten brauchen einen roten Faden, der ihnen dabei hilft, die Komplexität so weit wie möglich zu minimieren. Sie wollen endlich vor die Welle kommen und wissen, was auf sie zukommt und wie sie sich optimal aufstellen. Daher strukturieren wir hier in Hauptthemen wie Einkommensstrategie, Vermögensstrategie und Risikoabsicherung.

Da gibt es viele Themen, die schon in unserm Beraterkopf entstehen. Für die tangierenden rechtlichen und steuerlichen Beratungsthemen benötigt man im Regelfall ein Netzwerk mit den hierfür zugelassenen freien Berufen. Und wir müssen plötzlich zur Vermögensnutzung und Verwendung beraten, das ändert fast alles. Viele sind es eher gewohnt, Ansparprozesse zu beraten für Ziele, die weit in der Zukunft liegen. Für unser Mandanten drängt langsam auch die Zeit. Denn wer 55 Jahre alt ist und in zehn Jahren in den Ruhestand möchte, für den läuft schon ein Countdown von 120 Monaten. 

procontra: Wie gut sind die Versicherer und die Investmentgesellschaften auf die Zielgruppen eingestellt? Wie sehen die strategischen Beratungsansätze der Unternehmen aus?

Zoellner: Da tut sich schon einiges. Der Anfang ist gemacht, aber es reicht natürlich noch lange nicht aus. Ich würde mal etwas provokant formulieren, das etwa 95 Prozent der 50plus Kunden konzeptionell noch unberaten sind. In einem immer transparenteren Markt wird es jedoch sehr schwer, nur über das Produkt der primus inter pares beim Kunden zu sein.

Meine Empfehlung ist daher: Konzeption schlägt Kondition. Was nutzt meinem Mandanten das effizienteste und kostengünstigste Produkt, wenn er damit sein Konzept nicht umsetzen kann und seine Ziele nicht erreicht? Und wäre es so schlimm, wenn ein Konzept, das ihm im Ruhestand wie ein Maßanzug passt, ein paar Basispunkte teurer ist oder ein Honorar erfordert?

procontra: Wenn sich die Produkte zur Vermögensübertragung anschauen: Welche Produkte treten hier in den Vordergrund?

Zoellner: Wenn es um größere Summen und auch um eine geeignete steuerliche Gestaltung geht, dann sehe ich hier in kapitalmarktnahen und auch noch im Ruhestand flexible Versicherungslösungen als Mittel der Wahl. Auf die Gesamtkosten muss dabei immer geachtet werden.

Sehr oft komme ich über die Bezugsrechtgestaltung und die steuerlichen Vorteile der Todesfall- oder Restverrentungsleistungen netto nach Kosten und Steuern zu sehr guten Ergebnissen.  Erst kürzlich haben zwar Experten des Verbraucherschutzes diese Produkte pauschal als ungeeignet betitelt. Aber ich vermute, dass man da entweder nicht alle Vorteile richtig gewichtet hat oder pauschal einfach alles kritisiert, was man selbst nicht vermitteln darf.