„Indexvergleich nutzt Anlegern nicht wirklich etwas“
procontra: Um die Leistung aktiv gemanagter Aktienfonds zu bemessen, schlagen Sie vor, die absolute Wertentwicklung heranzuziehen und weniger die relative Performance zu einer Vergleichsmarke. Weshalb halten Sie dies für passender?
Detlef Glow: Wenn der Markt um 50 Prozent fällt und der Fondsmanager 48 Prozent verliert, hat er in der relativen Betrachtung outperformt. Dem Kunden nutzt das aber nicht wirklich etwas, weil er immer noch 48 Prozent verloren hat. Da wäre es besser zu schauen, wie ich als Fondsmanager Verluste vermeiden kann. Zum Beispiel, indem ich eine Cashquote aufbaue. Das hilft mir zwar nicht bei der Gesamtvermeidung von Verlusten. Aber es würde die Sache zumindest abfedern.
procontra: Bei dem Fokus auf die absolute Performance wäre es aus Ihrer Sicht sinnvoll, wenn Fondsanbieter einige Risikomaßnahmen in Bezug auf die absolute Performance ihrer Fonds einführen würden. Welche Maßnahmen neben einer Cashquote wären dies?
Glow: Risiko wird nicht bei allen, aber doch bei vielen Kapitalanlagegesellschaften relativ zum Markt betrachtet. Zahlreiche Fonds haben daher ein relatives Risikomanagement zu einer Benchmark. Nun erwarten wir alle von den Portfoliomanagern, dass sie Alpha verdienen, eine Überrendite zum Markt. Das kann ich nur dann erwirtschaften, wenn ich von meiner Benchmark innerhalb der Benchmark abweichen darf. Bei einem internationalen Referenzmaßstab zum Beispiel müssen zahlreiche Fonds länderneutral bleiben; sie dürfen Länder nur in einem gewissen Maß zur Benchmark unter- oder übergewichten.
Das gleiche gilt für Sektoren und Branchen. Schon da fängt es an, haarig zu werden, da die Möglichkeiten, Alpha zu verdienen, eingeschränkt sind. Ein Fondsmanager sollte daher die Möglichkeit haben, sich zum Beispiel von der Sektorgewichtung zu lösen und ganze Werte nicht zu investieren, von denen er nicht überzeugt ist und umgekehrt. Einige dieser Regeln müssten etwas weiter gefasst werden, um den Managern die Freiheit zu geben, Alpha zu erwirtschaften.
Risiko wird nicht bei allen, aber doch bei vielen Kapitalanlagegesellschaften relativ zum Markt betrachtet.Detlef Glow
procontra: Wie würden Sie die absolute Performance messen? Anhand der BVI-Methode zum Beispiel?
Glow: Absolut heißt ganz einfach, darauf zu schauen, wie die real erzielten Werte im Fonds im Zeitablauf sind. Da wäre ein Minus von 48 Prozent in einem Portfolio genau minus 48 Prozent. Bei LSEG Lipper ist es als Gesamtertrag oder Total Return eines Fonds dargestellt. Ob Sie es nach der BVI-Methode berechnen oder auf einem anderen Weg, ist am Ende des Tages zweitrangig. Da gibt es die unterschiedlichsten Methoden.
procontra: Die Berücksichtigung der absoluten Performance als Messlatte bei Aktienfonds ist ein viel diskutiertes Thema in der Investmentbranche, stellen Sie fest. Was sind die wesentlichen Punkte, die Sie am Markt hören?
Glow: Es gibt zwei Lager, wenn man das so bezeichnen möchte. Das Lager der Fondsmanager inklusive der Kapitalverwaltungsgesellschaften sagt, dass sie für die Kassehaltung im Portfolio des Anlegers nicht zuständig sind, sondern für die Investition des Kapitals. Wenn der Markt heruntergeht und der Kunde das nicht mitnehmen möchte, muss er verkaufen und Kasse vorhalten. Sie sehen sich vor allem dafür verantwortlich, dass ihr Fonds besser performt als der Aktienmarkt. Das ist aus meiner Sicht etwas zu kurz gegriffen, gerade wenn Retail-Investoren, also Privatanleger, in dem Fonds sind, die das zweite Lager bilden.
Sie sagen, dass ihr aktiv gemanagter Fonds offenbar gar nicht so aktiv ist, wenn er nahezu gleichauf mit dem Markt nach unten geht. Da könnten sie gleich einen ETF kaufen. Ein gewisser Kassebestand, der Einbrüche zumindest etwas abfedern könnte, wäre aus ihrer Sicht wünschenswert. Ich denke jetzt nicht an eine Kassequote von 50 beziehungsweise 49 Prozent, was für die meisten Manager zumindest theoretisch möglich ist. Aber einen höheren Kasseanteil als 5 Prozent des Fondsvermögens würde ich mir von einem aktiven Manager zur Abfederung von Verlusten schon wünschen.
procontra: Auch aus dieser kritischen Überlegung heraus werden ETF gefragter, wie es scheint.
Glow: Zahlreiche Retail-Investoren sagen, wenn ein aktiv gemanagtes Portfolio nahezu das gleiche verliert wie ein ETF und der ETF nach oben mit dem Markt mitzieht, was viele aktive Manager leider auch nur bedingt schaffen, dann seien sie damit besser aufgestellt. Das erklärt vielleicht auch, warum wir im Moment eine Wechselbewegung aus aktiven Aktienfonds in Aktien-ETFs sehen. Wobei man auf Basis der Nettomittelbewegungen nicht genau sagen kann, ob es das gleiche Geld ist, das von A nach B fließt. Aber die Vermutung liegt nahe, wenn die Ab- und Zuflüsse einigermaßen übereinstimmen.
procontra: Meinen Sie, dass sich ein verstärkter Blick auf die absolute Wertentwicklung durchsetzen könnte?
Glow: Vor etlichen Jahren hat man noch mehr auf die absoluten Ergebnisse geschaut. Ende der 1990er Jahre, als die Märkte stark nach oben gingen und viele Fonds zurückblieben, fing man an, das Ganze etwas umzustellen. Anbieter haben zum Beispiel klare Richtlinien festgelegt, wie investiert werden soll, woran man sie dann auch messen könne. Was die Branche damals ausgeblendet hatte, war das Thema der abwärts gerichteten Märkte. Das kam später hinzu.
So hat sich das Portfoliomanagement im Zeitablauf auch immer stärker professionalisiert. Wie die Branche die Dinge betrachtet, hat sich mit der Zeit schon verändert. Mein Plädoyer heute geht daher um die Fragestellung, warum ich einen aktiven Aktienfonds für 1,5 Prozent Management Fee kaufen soll, wenn ich ein annähernd gleiches Resultat über einen ETF mit 0,1 Prozent Management Fee bekomme. Dieser Fragestellung sehen sich auch die Kapitalverwalter gegenüber, da Kunden verstärkt mit dem Portemonnaie abstimmen. Es werden aktiv gemanagte Aktienfonds verkauft und ETFs gekauft.
Warum soll ich einen aktiven Aktienfonds für 1,5 Prozent Management Fee kaufen, wenn ich ein annähernd gleiches Resultat über einen ETF mit 0,1 Prozent Management Fee bekomme.Detlef Glow
procontra: Das würde bedeuten, wenn Anbieter aktiver Aktienfonds dem entgegenwirken wollen, geht kein Weg daran vorbei, wieder mehr auf die absolute Performance zu achten als auf die relative.
Glow: Aus meiner Sicht ist das genau der Knackpunkt. Wenn ich aktiv manage und sage, ich kann Mehrwert erzielen, dann muss der Mehrwert für den Kunden auch erlebbar sein. Hierzu müsste das Risikomanagement neu überdacht werden. Ich muss dem Manager zumindest die Möglichkeit geben, seine Transaktionskosten hereinzuholen. Und ich sollte ihm die Möglichkeit geben, seine besten Ideen umzusetzen.
Ein aktiver Manager hat immer den Nachteil, dass er Transaktionskosten hat, die in der Benchmark nicht enthalten sind. Zudem muss die Gesamtkostenquote (TER) von beispielsweise 170 Basispunkten erst einmal verdient sein. Wenn der Manager dann in diesem Beispiel vor Kosten 250 Basispunkte Outperformance erzielt, was wirklich gut ist, kommt davon beim Kunden nichts an.
procontra: Wie könnte ein solcher Ansatz aussehen?
Glow: In den vergangenen Jahren haben einige Anbieter Portfolios mit einem sogenannten Conviction-Ansatz aufgelegt. Conviction heißt Überzeugung; dieser Ansatz soll die besten Ideen des Fondsmanagers widerspiegeln, die Investitionen, von denen er am meisten überzeugt ist. Ein solcher Fonds hat vielleicht noch eine Benchmark zur Performance-Messung. Er ist aber nicht danach ausrichtet. Ansätze wie diese sind aus meiner Sicht der Weg vorwärts. Aktive Manager und auch die Medien weisen immer darauf hin, dass die Märkte ineffizienter werden, je mehr Geld in passive Instrumente fließt.
Im Umkehrschluss bedeutet das, dass es gute Möglichkeiten für wirklich aktive Manager gibt. Wenn ein Manager diese Möglichkeiten aber wegen Restriktionen im Risikomanagement nicht nutzen kann, ist es eine nicht so schöne Situation. So kämpft der Fondsmanager nicht nur gegen eine Benchmark, die keine Transaktionskosten hat, sondern auch gegen Produkte in Form von ETFs, die so gesehen keine Transaktionskosten haben, weil sie eins zu eins die Performance der Benchmark widerspiegeln. Da muss man als Risikomanager auch die Realität sehen. Das ist die Situation, in der sich die Manager befinden und wofür sie eine Lösung finden müssen.
Es gibt gute Möglichkeiten für wirklich aktive Manager.Detlef Glow
procontra: Was würden Sie zum Thema Ansätze zur Messung der Leistung von Fonds noch ergänzen?
Glow: Mein grundsätzliches Plädoyer geht dahin, dass ich als Fondsmanager zumindest im Retail-Bereich ein stückweit mehr in absoluten Werten denken sollte als in relativen. Jeden Euro, den ich in einem abrutschenden Markt nicht verliere, muss ich weniger zurückverdienen, wenn es nach oben geht. Und der Zinseszinseffekt kommt aus vermiedenen Verlusten. Ein großes Problem in der Branche ist eine viel zu kurzfristige Betrachtung der Entwicklungen durch die Marktbeobachter.
Wenn der Markt 20 Prozent verliert und der Fonds zehn Prozent, heißt es gleich, der Manager hat einen super Job gemacht. Steigt der Markt dann um 20 Prozent und der Fonds um zehn Prozent, heißt es direkt, der Fondsmanager hat keinen guten Job gemacht. Wenn Sie aber beide Perioden zusammenrechnen, stellen Sie fest, dass der Fonds über beide Phasen hinweg mehr verdient hat als der Markt. Von daher schauen viele Beobachter viel zu kurzfristig auf die Ergebnisse. Da wird die Wochen-Performance, Monats-, Quartals- und Jahres-Performance angeschaut.
procontra: Was wäre aus Ihrer Sicht aussagekräftiger?
Glow: Man sollte einen Fonds in der langfristigen Betrachtung über den gesamten Investmentzyklus sehen. Mittlerweile haben sich die Zyklen etwas verkürzt. Heute sind es fünf bis sieben Jahre, früher hieß es, sieben bis zehn Jahre. In dieser Zeit muss der Fonds bewiesen haben, dass er die Drawdown-Risiken, die Abwärtsbewegungen, am besten deutlich mindern kann. Bei LSEG Lipper messen wir das mit dem Rating für Kapitalerhalt. Da wird addiert, wie hoch die Verluste eines Fonds über alle Drawdowns des Betrachtungszeitraumes hinweg waren.
Das Ergebnis wird mit allen anderen Fonds der gleichen Anlageklassse verglichen. So kann man erkennen, welcher Aktienfonds über verschiedene Anlageperioden hinweg am besten in der Lage war, Verluste zu vermeiden. Daraus lässt sich auch etwas über die Philosophie des Fondsmanagers herauslesen. Zumindest, wenn er wiederholt deutlich Verluste vermeiden konnte. Das deutet darauf hin, dass eine Strategie dahintersteckt und nicht allein Zufall oder reines Glück.