Nürnberger lehnt BU-Rente für Ex-Soldaten ab
Wie unterschiedlich Versicherungsunternehmen bei der Anerkennung von Berufsunfähigkeit agieren, zeigt der Fall von Michael Kerniger (Name von der Redaktion geändert). Denn während der heute 36-Jährige von der Allianz und der Alte Leipziger bereits BU-Leistungen erhalten hat, sieht die Nürnberger Versicherung bei ihm keine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegen. Doch was war passiert?
Im Jahr 2009 hatte sich Kerniger als Zeitsoldat der Infanterie der Bunderwehr angeschlossen. Neben Gefechtsdienst und teilweise hoher körperlicher Belastung zählten auch personalverantwortliche Aufgaben zu seiner Funktion als Offizier. Man konnte den jungen Mann also durchaus als belastungsfähig bezeichnen.
„Doch im Jahr 2013 erlitt ich zwei transitorische ischämische Attacken, die ebenfalls Folgeerkrankungen, wie Migräne mit Gesichtsfeld- und Spracheinschränkungen sowie Angst- und Panikattacken nach sich zogen“, erzählt er procontra. Es folgten mehrere Jahre voller Untersuchungen und Behandlungen. Diese brachten aber offenbar nicht den gewünschten Erfolg, denn laut den procontra vorliegenden Dokumenten wurde der Zeitsoldat für dienstunfähig erklärt und per 30. Juni 2017 aus dem Dienst entlassen.
Zwei BU-Versicherer leisten…
Doch Kerniger hatte vorgesorgt: Er verfügt über jeweils eine Berufsunfähigkeitsversicherung bei der Alte Leipziger, der Allianz und der Nürnberger. „Allesamt kleinere Monatsrenten“, betont der Ex-Soldat. Laut den unserer Redaktion vorliegenden Unterlagen handelt es sich bei allen drei Verträgen um reine BU- beziehungsweise BU-Zusatzverträge. Versicherungsschutz bei Dienstunfähigkeit lag also nicht vor.
Umso mehr freute sich Kerniger, als die Allianz ihm bereits ab Juni 2013 die Erbringung der BU-Leistungen bestätigte, da man ihn ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zu mehr als 50 Prozent in der Lage sah, seinen Beruf auszuüben. Das entsprechende Anerkennungsschreiben der Allianz liegt unserer Redaktion vor.
Die Alte Leipziger wiederum erkannte ihre Leistungspflicht etwa zwei Jahre später, per 1. Juli 2015, an. In einem Schreiben des Versicherers heißt es: „Eine Berufsunfähigkeit von mindestens 50 Prozent für einen ununterbrochenen Zeitraum von mindestens sechs Monaten wurde durch die bisher vorliegenden Unterlagen nicht nachgewiesen. Sowohl Ihr behandelnder Arzt als auch unser ärztlicher Dienst bestätigen, dass eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit erst seit Juni 2015 vorliegt.
…ein anderer nicht
Allein der zeitliche Abstand zwischen den Leistungsanerkenntnissen der beiden BU-Versicherer weist auf deutliche Unterschiede bei der Leistungsprüfung hin. Doch die Nürnberger sieht es noch einmal komplett anders. Mit Schreiben vom 19. Mai 2022 – Kerniger hatte die Leistungen dort erst Jahre nach seiner offiziellen Dienstunfähigkeit beantragt – teilte ihm der fränkische Versicherer mit:
Im Hinblick auf Ihre berufliche Leistungsfähigkeit stellen wir fest, dass uns keine Unterlagen vorliegen, die auf den erforderlichen Berufsunfähigkeitsgrad von mindestens 50 Prozent im Mindestzeitraum von sechs Monaten schließen lassen.
Dieser Umstand verdeutlich einmal mehr die großen Unterschiede in der Leistungsprüfung der BU-Versicherer. Denn procontra liegt eine lange Liste an Arztberichten vor, auf die die Allianz ihre Leistungspflicht begründet. Auf viele davon geht die Nürnberger in ihrem Ablehnungsschreiben ein und kommt bei einem Großteil davon zu dem Ergebnis, dass Kerniger keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufweist. Beispielsweise habe ein psychologischer Testbefund einer Klinik in München vom Mai 2016 ergeben, dass der Ex-Soldat jeweils durchschnittliche und unauffällige Leistungen in den Bereichen Gedächtnisspanne, verbale Wortflüssigkeit, Abzeichnen einer komplexen geometrischen Figur, Aufmerksamkeit und anderen Bereichen aufweist.
In ihrem Schreiben betont die Nürnberger auch, dass man die Unterlagen der Alte Leipziger zur Kenntnis genommen habe, die Entscheidungen anderer Versicherer jedoch keine Bindungswirkungen besäßen. Zudem heißt es in dem Brief: „Nach der Aktenlage ist ihr tatsächliches Berufsbild widersprüchlich.“
Weiterhin beruflich leistungsfähig?
Auf procontra-Nachfrage teilte die Nürnberger mit, dass für ihre Leistungsablehnung in diesem Fall einerseits der fehlende ärztliche Nachweis der geltend gemachten beruflichen Leistungseinschränkungen ausschlaggebend sei. Und weiter: „Neben diesem fehlenden ärztlichen Nachweis zeigen zum anderen auch die beruflichen Tätigkeiten des Versicherten seit 2013, dass die berufliche Leistungsfähigkeit nicht in dem von ihm geltend gemachten Umfang eingeschränkt ist.“
Tatsächlich hat Kerniger, wie er selbst mitteilt, während seiner Dienstunfähigkeit zum Beispiel im Jahr 2020 ein Fernstudium der angewandten Umweltwissenschaften abgeschlossen. In diesem Fachbereich ist er seit August 2021 wieder mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 25 Stunden tätig, weshalb auch die Allianz in ihrem Schreiben betont, dass die bedingungsgemäßen Leistungsvoraussetzungen per 30. Juni 2021 entfallen sind. Zudem gab Kerniger im Leistungsantrag gegenüber der Nürnberger an, dort auch schon seit Juli 2019 in geringerem Maße gearbeitet zu haben.
Zudem habe er, wie die Nürnberger in ihrer Leistungsablehnung betont, seit dem Jahr 2019 auch 20 Stunden pro Woche im Bereich Gastro-Planung gearbeitet. Kerniger erklärte jedoch gegenüber unserer Redaktion, dass er in dem Antrag nicht „20“ sondern „2h“ geschrieben, also zwei statt 20 Stunden gemeint habe. Die Nürnberger antwortete dazu auf Nachfrage, dass sie keinen Grund habe, am Wahrheitsgehalt der Kundenangaben zu zweifeln.
Fall geht vor Gericht
Ob sie insgesamt restriktiver prüfe als andere BU-Versicherer, konkret als Alte Leipziger und Allianz, könne man bei der Nürnberger auf procontra-Nachfrage nicht beurteilen. Letzten Endes sei es Aufgabe eines jeden Versicherers, einen Leistungsantrag objektiv und sachlich zu prüfen. Hört man sich bei BU-Experten in der Branche um, so herrscht überwiegend die Meinung, der fränkische Versicherer habe seine BU-Leistungsprüfung in den letzten Jahren verbessert und sei damit transparenter geworden.
Kerniger sieht das anders. Er hat mittlerweile Klage gegen die Nürnberger vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth eingereicht. Nach dem ersten Verhandlungstermin, sagt er, zeichnet sich bislang keine für alle Beteiligten akzeptable Einigung ab. Im Oktober soll der Prozess weitergehen.