Ab Mitte 2021 dürften fast alle Asset Manager in Deutschland nachhaltige Fonds in Ihrem Angebot haben. Dann tritt eine EU-Richtlinie in Kraft, wonach der Finanzberater dem Kunden ein entsprechendes Angebot machen muss. Und es ist schwer vorzustellen, dass sich ein Asset Manager diese neue Geschäftsmöglichkeit entgehen lässt. Die Konstruktion nachhaltiger Fonds ist komplizierter als die konventioneller Produkte.
Der Asset Manager darf nicht nur die finanziellen Kennzahlen und das Geschäftsmodell eines Unternehmens als Basis für seine Anlageentscheidung nutzen. Er muss das Unternehmen auch aus nachhaltiger oder „ESG“-Sicht beurteilen. Das heißt, das Unternehmen muss umwelttechnische, soziale und unternehmensspezifischen Kriterien erfüllen, die der Asset Manager ansetzt. Je nach Ergebnis gilt das Unternehmen als investierbar oder nicht. Doch wie geht er dabei vor?
Nun könnte ein Asset Manager die ESG-Analyse selbst durchführen. Weil dies allerdings sehr aufwändig ist, insbesondere wenn er global investiert, können ESG-Ratings für seine Analyse eine große Hilfe sein. Schließlich messen Ratingagenturen wie MSCI, Sustainalytics und ISS-oekom die Nachhaltigkeit von tausenden Unternehmen weltweit. „Unsere Ratings sind vergleichbar mit den Ratings von Aktienanalysten. Während sie zum ‘Kaufen’, ‘Halten’ oder ‘Verkaufen’ empfehlen, bezeichnen wir ein Unternehmen als ‘nachhaltig,’ ‘etwas nachhaltig’ oder ‘nicht nachhaltig’“, beschreibt ein Analyst einer Ratingagentur, der anonym bleiben will.
Neben ihrem Nutzen für den Investmentprozess gibt es einen weiteren wichtigen Grund, warum Asset Manager diese Ratings berücksichtigen sollten: Zahlreiche Studien belegen, dass ein Portfolio aus besonders nachhaltigen Unternehmen ein geringeres Marktrisiko aufweist. Das kann sich wiederum positiv auf die Performance auswirken.
Vorsicht bei den Ratings
Wie bei den Ratings von Aktienanalysten auch stellen ESG-Ratings eine Marktmeinung dar. Auf keinen Fall darf die Anlageentscheidung alleine von einem ESG-Rating abhängen, wie Bernd Deeken, Senior Portfoliomanager Equites/ESG bei Berenberg, im Gespräch betont. Zwei Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit zeigen außerdem, dass Asset Manager die ESG-Ratings mit einer gewissen Vorsicht genießen müssen. Zum einen ging es dabei um eine Klage gegen ISS-oekom und zum anderen um eine Studie, die eine gewisse Widersprüchlichkeit bei den Bewertungen aufweist.
Zuerst zur Klage: Im Frühjahr 2019 schickte ISS-oekom der Darmstädter Elektronikfirma Isra Vision eine E-Mail mit der Bitte um Kooperation bei der Erstellung eines ESG-Rating. Da der Absender der Firma völlig unbekannt war, behandelte sie die E-Mail als Werbung. Etwas später gab ISS-oekom der Isra Vision trotzdem eine Bewertung, und zwar mit der schlechtesten Note „D“. Als die Firma davon erfuhr, verklagte sie ISS-oekom und erwirkte ein Veröffentlichungsverbot für die Bewertung. Das Münchener Gericht stellte fest, dass die Bewertung „teilweise auf völlig fehlender bzw. falscher Tatsachengrundlage“ beruht.
Warum hatte ISS-oekom dann das Rating erstellt? Das beantwortet Jens Matthes, Isra Visions Rechtsverteidiger und Anwalt bei Allen & Overy, so: „Sie haben die Holzhammer-Methode angewandt. In der Mail gab ISS-oekom Isra Vision 14 Tage Zeit zu kooperieren und betonte, dass sie so oder so ein Rating vergeben würde.“ Eine Sprecherin von ISS-oekom verteidigte auf Anfrage die Vorgehensweise. „Wir halten an unserem Ansatz fest und werden uns weiterhin auf Qualität und Genauigkeit fokussieren. Unser Ansatz ist im Übrigen vergleichbar mit dem von anderen ESG-Ratingagenturen.“
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Ratingagentur ging zu weit
Trotz des fragwürdigen Falls muss man festhalten, dass ISS-oekom - wie die anderen Anbieter auch - grundsätzlich sauber recherchiert und analysiert. Es wurde aber deutlich, dass ISS-oekom offensichtlich zu weit ging. Katharine Trimpop, Leiterin Vertrieb Publikumsfonds bei Monega, bezeichnet den Fall als ein „extremes Beispiel“.
Sie sagt: „Versende ich einen Fragebogen an ein Unternehmen und impliziere damit, dass mein Rating nicht nur auf öffentlich zugänglichen Informationen basiert, sondern auf eigenem Research, muss ich ihm ausreichend Aufklärung und Zeit geben, um diesen auszufüllen. Wenn es dann nicht antwortet, scheint es mir seriöser, kein Rating zu vergeben und zu erläutern, dass für ein Rating eben doch nicht ausreichend Informationen vorliegen oder eine Ratingstufe wie etwa „mangelnde Transparenz/Kooperation“ einzurichten.“
Der Kölner Asset Manager Monega bietet selbst 14 nachhaltige Fonds an und bezieht ihre ESG-Informationen zum Teil von MSCI. Das extreme Beispiel unterstreicht jedenfalls, dass die Asset Manager genau prüfen müssen, ob die ESG-Bewertungen, die sie beziehen, wirklich nachvollziehbar sind. Wenn nicht, sollten sie bei den Ratingagenturen nachhaken und eine Erklärung einfordern.
Unternehmen unterschiedlich bewertet
Das andere Ereignis, das Asset Managern zu denken geben sollte, betrifft eine Studie von Flossbach von Storch. Der Studienautor, Kai Lehmann, fand heraus, dass die ESG-Bewertungen oft stark voneinander abweichen. Beispiel Volkswagen: Während MSCI den Autobauer mit null Punkten (nicht nachhaltig) bewertete, vergab RobecoSAM aus der Schweiz 65 Punkte (nachhaltig). Sustainalytics vergab 19 Punkte (etwas nachhaltig - siehe Grafik). Ein weiteres Ergebnis, das die ESG-Analyse erschwert: Lediglich bei elf von 235 untersuchten Firmen waren sich MSCI, RobecoSAM und Sustainalytics darüber einig, dass diese nachhaltig sind.
Wie sollen also Asset Manager mit solch einer starken Diskrepanz umgehen? Wie Deeken und Trimpop betont auch Lehmann, dass man sich für die Titelselektion auf die eigene Expertise verlassen muss. Dabei könnten die Ratings durchaus helfen. „Sie liefern Denkanstöße und können Investoren bei der Analyse unterstützen. Hier geht es aber primär um das Erkennen von Frühwarnsignalen und nicht um die Verwendung aggregierter Rating-Scores“, sagt Lehmann, der bei Flossbach von Storch als Senior Research Analyst arbeitet. Ein sehr zutreffendes Fazit, da auch belegt, dass ein Rating allein nur geringe Aussagekraft besitzt.
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