Der Kampf ums Kapital der Kunden spitzt sich zu
Über lange Jahre kamen sich Banken und Lebensversicherer, zumindest augenscheinlich, kaum in die Quere. Das waren Jahre mit relativ wenig Zinsdynamik. Die Bankkunden legten ihr Erspartes auf Tages- und Festgeldkonten und kauften in der Niedrigzinsphase auch mal ein paar Fondsanteile. Bei den Lebensversicherern wurde fleißig auf Verträge mit passablem Garantiezins eingezahlt und das Geschäft mit Fondspolicen wuchs stetig. Zudem wurden Kapitalauszahlungen aus Policen gerne per Einmalbeitrag direkt wieder in den Lebensversicherer zurückinvestiert. Für beide Seiten war sozusagen genug da.
Doch die gewaltige Inflation in Folge von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg haben dieses ruhige Nebeneinander von Banken und Lebensversicherern kräftig durcheinandergewirbelt. Bereits in 2022 gab es Zinserhöhungen am laufenden Band. Die Geldhäuser konnten diese schnell und flexibel in Form von steigenden Guthabenzinsen an ihre Kunden weitergeben. Die Lebensversicherer kamen mit ihren auf lange Laufzeiten ausgelegten Produkten nicht hinterher. Dazu kam die Verunsicherung der Menschen. Wer sich fragt, wie lange die enormen Preissteigerungen noch weitergehen, legt seine soeben erhaltene Kapitalauszahlung lieber erst einmal, täglich verfügbar, aufs Tagesgeldkonto mit zwei bis drei Prozent Zinsen.
In der Folge brach das seit Jahrzehnten stabile Einmalbeitragsgeschäft ein. Laut GDV-Zahlen um 20,8 Prozent gegenüber dem Jahr 2021. Für 2023 rechnet der Versichererverband mit einem weiteren Rückgang. Die Einmalbeiträge sollen dann noch einmal um zehn Prozent niedriger ausfallen als im bereits sehr schwachen Vorjahr.
Versicherer passen ihre Produkte an
Dagegen gehen die Lebensversicherer seit ein paar Monaten in die Offensive. Marktriese Allianz beispielsweise hat den Zins für sein Parkdepot schon zwei Mal angehoben. Damit soll verhindert werden, dass die Kunden ihr Geld zwischen zwei Investments aus dem Unternehmen abziehen und bei einer Bank parken, wo dann wiederum andere Produkte locken könnten.
Die nächste Aktion folgte Ende Juli mit der Einführung einer kurzlaufenden Vorsorge. „Geld für die Vorsorge zurücklegen, um nach wenigen Jahren erneut darüber zu entscheiden“, schrieb die Allianz dazu erklärend. Konkret kann dadurch bei Einmalbeitrags-Verträgen des Vorsorgekonzepts „Perspektive“ die Rente schon zwei Jahre nach Einzahlung (bislang fünf) bezogen oder das Kapital ausgezahlt werden. Dadurch sei eine jährliche Verzinsung von 2,7 Prozent möglich.
„Natürlich blicken wir auch auf die Wettbewerbssituation, die sich durch die steigenden Zinsen seit 2022 wieder deutlich verschärft hat“, sagte ein Allianz-Sprecher auf procontra-Nachfrage. Im Fokus der neuen kurzlaufenden Verträge stünden neben den rentennahen Jahrgängen aber auch Kundinnen und Kunden, die man neu für die Vorsorge gewinnen wolle. Diese könnten sich angesichts der als unsicher empfundenen wirtschaftlichen Lage und der anhaltenden Dynamik bei den Zinsen nicht für eine langfristige Vorsorge entscheiden, so der Sprecher.
Doch nicht nur das LV-Schwergewicht passt seine Produkte an, um in diesen veränderten Zeiten Alternativen für seine Kunden zu bieten. Im August hat beispielsweise auch die Standard Life Lebensversicherung mit ihrer „Freelax Sofort“ eine sofort beginnende Rente eingeführt, um für Einmalbeiträge wieder attraktiver zu werden. Außerdem haben die Frankfurter den garantierten Zins für alle ab August beginnenden Rentenauszahlungen auf 2,75 Prozent erhöht.
Auch viele Banken sind stark unter Druck
Wie die Wiederanlage bei den Lebensversicherern aktuell läuft, dazu hält sich die Versicherungsbranche auf unsere Nachfragen hin sehr bedeckt. Der GDV würde dazu keine Zahlen haben, ebenso wenig die Fonds Finanz, als umsatzstärkster Maklerpool, von ihren Vertriebspartnern. Auch die Allianz könne zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Informationen dazu bereitstellen, ob ihre Maßnahmen fruchten.
Dass der Kampf ums Kundengeld in diesen Zeiten besonders hart ist, verdeutlichen auch aktuelle Daten der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Wie das Handelsblatt auf Basis einer PwC-Auswertung im eigenen Auftrag berichtet, seien deren Einlagenbestände im ersten Halbjahr 2023 zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder gesunken. Bei den Volks- und Raiffeisenbanken sanken die Guthaben um 1,7 Prozent auf 846 Milliarden Euro, der erste Rückgang in einem ersten Halbjahr seit 2008. Bei den Sparkassen reduzierte sich der Einlagenbestand um 1,9 Prozent auf 1,163 Billionen Euro – zum ersten Mal seit 2011.
„Die meisten Menschen brauchen mittlerweile ihr komplettes Geld für das Bestreiten des Lebensunterhalts“, wird der baden-württembergische Sparkassenpräsident Peter Schneider von der Wirtschaftszeitung zitiert. Laut ihm laufe derzeit eine regelrechte „Jagd um Einlagen“. Ob die Einlagen bei den konservativen Geldhäusern auch in Richtung der Lebensversicherer abließen, greift der Bericht nicht auf. Sofern sich diese aber noch nicht auf das veränderte Geldanlage- und Vorsorgeverhalten der Menschen eingestellt haben, wird es für sie nun allerhöchste Zeit.