Lebensversicherung: Das Ende der 100-Prozent-Garantie und die Folgen

Marktführer Allianz bietet ab Januar keine Rentenversicherungen mit vollständigem Beitragserhalt mehr an. Was stattdessen geplant ist, welche Folgen das für die ganze Branche hat und wohin Kunden vorübergehend noch ausweichen können.

06:10 Uhr | 20. Oktober | 2020
Gibt Marktführer Allianz den neuen Garantietakt vor?

Gibt Marktführer Allianz den neuen Garantietakt vor? Bild: Adobe Stock/Negro Elkha

Die Allianz hat angekündigt, ab 2021 bei Neuverträgen weniger Kapital an die Erfüllung der Garantien zu binden. Stattdessen soll mehr Geld für kapitalmarktnahe Anlagen genutzt werden, die mehr Rendite erbringen. Statt 100 Prozent Beitragserhalt zu jeder Zeit der Vertragslaufzeit sollen es je nach Kundenwunsch nur noch 90, 80, oder 60 Prozent Garantie sein, und auch diese gibt es erst „am Ende der Ansparzeit“. Wer vorher aussteigt, muss gegebenenfalls mit weniger Ertrag zufrieden sein.

Den Unterschied rechnet die Allianz für ihr Vorsorgekonzept „Komfort Dynamik“ vor. Dort führt eine 80-Prozent-Beitragsgarantie nach eigenem Bekunden dazu, dass etwa zwei Drittel der eingezahlten Beiträge in chancenorientierte Anlagen fließen können, die einen hohen Anteil von Aktien und Investments in Infrastruktur und erneuerbare Energien enthalten. Gegenüber sicheren Anlagen gibt es dabei Schwankungs- und Verlustrisiken, die letztlich vom Kunden zu tragen sind. Die Allianz verspricht, dies über „die stabilisierende Wirkung ihres starken Sicherungsvermögens“ abzufangen und verweist auf ihre Kompetenz in der Kapitalanlage.

Keine volle Garantie und keine Pensionskasse im Neugeschäft

Zugleich schickt die Allianz ihre Pensionskasse mit etwas Zeitverzug ab 2022 in den internen Run-off. Neugeschäft wird es dann nicht mehr geben. Bereits zum 1. Oktober 2020 hatte der Marktführer das Neugeschäft seiner Presse-Pensionskasse eingestellt. Über das Presseversorgungswerk bietet die Allianz ihr bAV-Neugeschäft nun ausschließlich als Direktversicherung und als Pensionszusage an, mit denen sich wegen der älteren Bestände an Kapitalanlagen und der wesentlich höheren Marktdurchdringung deutlich höhere Renditen erzielen ließen.

Die Allianz-Pensionskasse ist laut BaFin-Statistik von 2018 mit einer Bilanzsumme von 12,79 Milliarden Euro die zweitgrößte Pensionskasse am Markt. Größte Pensionskasse ist der BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes mit 29,84 Milliarden Euro Bilanzsumme. Die Allianz-Kasse hatte Ende 2018 rund 838.000 aktive Beitragszahler (Anwärter), während etwa 27.500 Ruheständler bereits Betriebsrente über die Kasse bezogen. Beim BVV waren es mit über 352.000 deutlich mehr Anwärter und auch mehr Rentner (fast 118.000). Zahlen für 2019 liegen noch nicht vor.

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Viele Anbieter bleiben derzeit noch flexibler

Die beiden Veränderungen in der zweiten und dritten Vorsorgeschicht haben auch für das Vermittlungs-Neugeschäft Konsequenzen. So wird es die klassische private Rentenversicherung (3. Schicht) mit 100 Prozent Beitragsgarantie bei der Allianz im neuen Jahr nicht mehr geben. Und ein Jahr später auch keine neuen klassischen Pensionskassen-Rentenversicherungen (2. Schicht) mehr.

Vermittler und Kunden können im Neugeschäft auf Produkte mit voller Beitragsgarantie bei Wettbewerbern ausweichen sowie auf Vorsorgekonzepte in der zweiten Schicht, die ein Garantieniveau von 100 Prozent gesetzlich noch überall vorschreiben. Dazu zählen derzeit noch Riester-Verträge oder bAV-Verträge, die über eine Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) verfügen. Letztere ist für viele Fondspolicen in der bAV typisch.

In beiden Produktgattungen laufen hinter den Kulissen jedoch auch Reformbestrebungen, die unter anderem eine Aufweichung der Garantien zum Inhalt haben. Bei der Riester-Rente ist eine 80-Prozent-Garantie im Gespräch, bei der Betriebsrente für die BZML eine Garantie oberhalb von 50 Prozent.

Folgen der Allianz-Offensive für den Markt

Die Pläne anderer LV-Anbieter gehen in dieselbe Richtung. Einer procontra-Umfrage zufolge wollen viele „Makler-Versicherer“ dem folgen. Die Allianz öffne den Weg, das Thema Lebensversicherungen in Deutschland langfristig wieder als zukunftsorientierte Anlageform zu verankern, heißt es etwa bei der LV 1871, die jedoch weiterhin die 100-Prozent-Garantie anbieten will. Entscheiden müsse im Einzelfall stets der unabhängige Berater. Bei der Nürnberger habe die 100-Prozent-Garantie schon länger keine Rolle mehr im Neugeschäft gespielt, Alte Leipziger, Stuttgarter und Basler setzen auf flexible Garantiemodelle.

Es dürfte angesichts anhaltend niedriger Zinsen nur eine Frage der Zeit sein, bis die klassischen Policen mit voller Garantie im Neugeschäft praktisch keine Rolle mehr spielen. Die Stiftung Warentest rät von Neuabschlüssen ab, ohne jedoch brauchbare Alternativen zu nennen. Begründung: Man erfahre nicht, wie viel vom Beitrag wirklich gespart wird. Außerdem sei die bei Vertragsschluss garantierte Leistung zu niedrig.

Das liegt aber nicht an den Versicherern, sondern an der EZB-Zinspolitik. Wie unter diesen finanzpolitischen Vorzeichen mit sicheren Kapitalanlagen überhaupt noch eine hohe garantierte Leistung möglich sein soll, beantwortet Finanztest nicht.

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